Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

DOI Artikel:
Del-Negro, Walter: Probleme vergleichender Stilgeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0346
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
332

BEMERKUNGEN.

Ganz anders im Abendland, wo Malerei und Musik die höchstentwickelten
Künste wurden, wo die Gotik auch in ihrer „klassischesten" Zeit von einem starken
Dynamismus erfüllt ist, wo sogar in der Zeit der Hochrenaissance das Helldunkel
Lionardos, die mystische Farbenpracht Grünewalds, die expressionistische Wucht
Michelangelos das Barock vorbereiten, wo dann Rembrandt, Vermeer und Ve-
lasquez auf verschiedenen Wegen zu den Gipfeln einer rein malerischen Kunst
emporleiten, die über Goya und Delacroix zu einer programmatisch formulierten
Nachblüte im Impressionismus des 19. Jahrhunderts fortgeführt wird. Gerade
Goya, in der Zeit des Klassizismus ebenso seltsam sich ausnehmend wie Grünewald
in der Zeit der Renaissance (weshalb ja auch beide so spät entdeckt wurden),
zeigt deutlich, wie sogar in Perioden kältester akademischer Gesinnung der
malerische Geist des Abendlandes — und nicht nur etwa des nordischen! — immer
wieder durchbricht. Wie Grünewald die unterirdische Verbindung zwischen Spät-
gotik und Barock herstellt, so Goya die zwischen Rokoko und Impressionismus;
und diese Unterströmungen gehörten fürwahr nicht zum Schlechtesten ihrer Zeit.

Einzig die Musik nimmt eine Ausnahmestellung insofern ein, als in ihr das
19. Jahrhundert, also die malerische Phase der neuzeitlichen musikalischen Ent-
wicklung, einen deutlichen Abstieg bringt. In der Lockerung der klassischen Form
kann dies nicht begründet sein, das beweist der Parallelfall der bildenden Kunst,
die gerade im Zeichen der „offenen" Form Höchstes geleistet hat, deutlich genug.
Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir die Ursache für diese auffällige Er-
scheinung im zivilisatorischen Geiste des 19. Jahrhunderts erblicken, der wahrhaft
schöpferische Kulturleistungen nicht mehr in dem Maße wie früher begünstigte.
 
Annotationen