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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Petsch, Robert: Was heißt: "Allgemeine Literaturwissenschaft"? : einführende Bemerkungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0268
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Bemerkungen.

Was heißt: „Allgemeine Literaturwissenschaft"?
Einführende Bemerkungen.

Von

Robert Petsch.

In Raimunds Zauberposse „Das Mädchen aus der Feenwelt" nimmt die Jugend
feierlichen Abschied von dem Bauern Fortunatus Wurzel, der als Millionär hart-
herzig geworden ist und der jetzt das verrinnende Leben zäh festhalten möchte.
Dabei erklingen zwei Verse von schlichter und doch großer Schönheit, in dem
Liede „Brüderlein fein, muß nicht bös' mir sein". Die beiden Verse lauten:

„Scheint die Sonne noch so schön,

Einmal muß sie untergehn."
Diese Verse sind oft angeführt worden, um Menschenseelen zu beruhigen über ent-
schwindendes Glück. Sie können z. B. mit gütiger Hingabe, aber auch mit ober-
flächlichem Achselzucken ausgesprochen werden. In beiden Fällen bleibt der Spre-
cher im praktischen Leben stecken und greift nach der Dichtung nur, um ihr einen
Gedanken für die besondere Lage zu entlehnen oder einem eigenen Gedanken be-
sondere Prägung zu geben. Keinesfalls verhält er sich „poetisch". Ebenso wenig
tut das der tiefer von einem Verlust ergriffene Mensch, der die Verse mit einer ge-
wissen Feierlichkeit ausspricht als Ausdruck einer ganzen wehmütigen Weltanschau-
ung. Er kann der philosophischen Haltung sehr nahe kommen, um so stärker weicht
er aber der poetischen aus. Nur wenn ich mich willig dem Zauber der beiden
Zeilen hingebe und diese, mitsamt ihrer Umgebung, möglichst auch im Rahmen
der ganzen Szene oder der dramatischen Handlung auf mich wirken, wenn ich mich
von ihnen als einem Kraftpunkt dichterischen Schauens und Gestaltens durchdringen
lasse, erst dann vermitteln sie etwas von der besonderen, der dichterischen Wirkung,
deren sie fähig sind. Nun erst fasse ich sie poetisch auf und stelle eine innere Ver-
bindung zwischen mir und dem Dichter her, der in diesem Augenblicke für mich ganz
lebendig wird.

Ich kann aber von hier aus weitergehen. Ich kann mir der Wirkung der Verse
(auf mein Gefühl, auf meine innere Anschauung, auf meine ganze augenblickliche
Seelenhaltung) bewußt werden. Ich kann auch darüber nachdenken und meine ersten
Eindrücke vertiefen. Freilich wenn das Bewußtsein zu rasch verfliegt, so besteht
nur die Gefahr, daß der erste, reine Eindruck zerstört wird durch eine Fülle von
andringenden, außerdichterischen Vorstellungen und daß er nie wieder ganz her-
gestellt werden kann. Denn bei jeder Wiederholung des Gedichtes wird dieses rein
dichterische Erlebnis schwächer, werden die Nebenwirkungen stärker und mannig-
faltiger, wird der Gesamteindruck verworrener und unerheblicher zugleich.

Andererseits kann sich das Bewußtsein von dem Erlebten in mehrfacher Rich-
tung zum Nachdenken steigern. Ich kann versuchen, meine Betrachtung in irgend-
 
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