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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Wetzel, Justus Hermann: Einfache und mehrfache Stimmführung: mit Bezug auf Ehrenfried Muthesius, Logik der Polyphonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0269
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Bemerkungen.

Einfache und mehrfache Stimmführung

mit Bezug auf Ehrenfried Muthesius, Logik der Polyphonie.
Beiträge zu einer philosophischen Musiktheorie*).

Von

Justus Hermann Wetze 1.

Unter Homophonie und Polyphonie versteht der Musiker üblich nicht den ein-
stimmigen bzw. mehrstimmigen Tonsatz. Sondern: beide Begriffe gelten der mehr-
stimmigen Musik und wollen für sie besagen, daß der homophone (harmonisch-poly-
phone) Tonsatz eine Stimme als Führerin vor den Neben- und Begleitstimmen
durch melodisch organisierte, tonal- und gliedbaulich geschlossene Gestaltung aus-
zeichnet; ja, der homophone Satz nimmt von dieser erstgeborenen Melodie seinen
Ausgang und hört in ihrer Bevorzugung sein künstlerisches Ziel.

Im eigentlich polyphonen (kontrapunktischen Tonsatz) dagegen bestimmt nicht
eine Hauptstimme (die Melodie) überwiegend das Verhalten der andern. Vielmehr
geht hier die melodische Führung kurzfristig wechselnd auf alle Stimmen über. Sie
alle tragen eine melodische Phrase in wörtlicher oder abwandelnder Wiederholung
vor. Solche Polyphonie, die man homöophon nennen könnte, wird also von der Ten-
denz beherrscht, die Stimmen durch abwechselndes Wegweisen und Sichnachahmen
einander anzugleichen und zugleich gegen einander zu verselbständigen, indem jede
mit den Schwestern um melodische Gleichberechtigung ringt.

Neben solcher angleichenden (homöophonen) Polyphonie muß es dann eine hetero-
phone Polyphonie geben, bei der die Stimmen des Tonsatzes ihre melodische Eigen-
wüchsigkeit, ihre Verschiedenartigkeit bisweilen bis zur Fremdartigkeit und zum
Widersachertum steigern und zu behaupten trachten.

Bedingt kann schon die homophone (melodiegeführte) Polyphonie zur hetero-
phonen Stimmführung gehören, insofern ihre Tendenz zur Heraushebung der Füh-
rerin durch Unterordnung der Begleiter ein ausgesprochen stimmsonderndes Moment
bedeutet; der überragende Deklamationswille der Melodie sichert jedoch den Eindruck
überwiegender Einhelligkeit.

Der einstimmigeTonsatz (Melodik, Monodie, Unisono) scheint nur mit
sich selbst beschäftigt, ist das aber in Wahrheit nicht völlig. Zwar bietet er nur
eine, scheinbar in sich kreisende, aus und an sich selber wachsende Tonlinie; der
tiefer Hörende überhört aber dabei nicht die in jeder Melodie ruhende leise Vergesel-

*) In: Episteme, Arbeiten zur Philosophie und zu ihren Grenzgebieten, her-
ausgegeben von Nicolai Hartmann, Richard Kroner und Julius Stenzel. 3. Heft. Ber-
lin 1934. Junker & Dünnhaupt, Verlag (137 S.).
 
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