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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Wohlfarth, Paul: Die Frau am Fenster
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0078
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BEMERKUNGEN

ihren thronenden Madonnen als Hintergrund einen prächtig gewirkten Teppich geben,
von dem die Mütterlich-Jungfräuliche sich nun in ihrer ganzen Hoheit, Schlichtheit,
Lieblichkeit abhebt, so ist es dasselbe Unterstreichen, Einrahmen, Herausheben, das
ein Abschweifen des Blicks, der Anteilnahme nicht zuläßt, von außen nach innen die
Hingabe steigert, bis sie ihren wahren Mittelpunkt findet. Auch muß es, im Bereich
des Baulichen, nicht gerade ein Fenster sein, das den Rahmen bildet, eine Tür tut oft
dieselben Dienste, wie die Verkündungen des Dirk Bouts (Marienaltar, Prado) und
Petrus Christus (New York, Metropolitan) zeigen, die Berliner Madonna des Jan van
Eyck ist von einem Querjoch des Mittelschiffs umrahmt, und Rogier van der Weydens
Frankfurter Madonna mit den Arztheiligen Cosmas und Damian tritt aus einem Zelt,
dessen zurückgeschlagene Linnen zwei schwebende Englein hochhalten. Ähnlich
Botticellis Anbetung in der Ambrosiana. Immer ist es das Motiv des Rahmens, das
in seiner Schlichtheit und Gegebenheit alle diese Maler so bevorzugten, ohne es zu
einem toten Baugliede zu machen, das freilich die künstlerischen Möglichkeiten des
Fensters bei weitem nicht erschöpft.

Denn es gehört ja zum Wesen des Fensters, daß wir, aus ihm blickend, eine Welt
vor uns erstehen sehen, die wir uns reich und lebendig wünschen oder träumen, und
so ist es denn auch dieser Hintergrund, vor dem die Gottesmutter vor allem uns in
ungezählten Darstellungen erscheint. Der Teppich, dessen bunte Pracht die Thronende
von der Umwelt abhob, dem die Maler alle Schönheit und Köstlichkeit geben, damit
er der zärtlich Verehrten würdig sei, ist nun zum wahren Teppich des Lebens ge-
worden. Wohl trennt das Fenster dessen Reichtum und Buntheit von der Lieblichen,
zugleich aber vermählt es sie der Erde, bringt sie, aus den unermeßlichen Höhen ihrer
himmlischen Existenz, menschlicher Anbetung nahe. Wieder ist es die Verkündung
vor allem, der so oft das Fenster mit dem Blick auf Wälder und Wiesen, Flüssen und
Bergen, Dörfern und Burgen Hintergrund und Schmuck bildet. Die Italiener der
Frührenaissance besonders, Filippino Lippi, Perugino, Lorenzo di Credi, Botticelli,
haben dieser Vision, die in ihrer vollkommenen Einmaligkeit geheimnisvoll und doch
vertraut eine Zukunft äußerster Erhebung und Entsagung, höchsten Jubels und
Schmerzes umfaßt, den Ausblick auf eine Landschaft gesellt, die in ihrer fast rühren-
den Zartheit, den im ersten Grün sprossenden Bäumen, dem sanften Glanz eines mild-
strahlenden Himmels, dem leisen Verklingen in weiten Fernen so recht das Abbild der
eben noch Kindlichen zu sein scheint. Doch ist es nicht die Verkündung allein, der
jene Maler das Fenstermotiv beigeben. Die Heimsuchung, ihr nahestehend, wird nicht
minder gern, wenn auch nicht so zahlreich, mit Ausblicken ähnlicher Gestaltung ver-
bunden, und wenn Perugino die Madonna dem heiligen Bernhard erscheinen läßt, so
erschließt das Fenster den Blick auf einen Fluß, an dessen Ufern bewaldete Höhen
emporsteigen. Sehr zahlreich auch Darstellungen der Madonna mit dem Kind, im
Hintergrund, vom Fenster umrahmt, das Grün der Landschaft. So die Botticellis im
Museo Poldo Pezzoli in Mailand und in der Sammlung Gardener in Boston, Filippo
Lippis Madonna in den Uffizien und der schöne Perugino daselbst. Vereinzelt ist
auch dem Tode der Maria ein Fenster beigegeben, wie in Mantegnas Gemälde in
Madrid.

Reichere und weltlichere Ausblicke lassen die Maler des Nordens aus dem Fenster
der Rückwand vor uns erstehen. So baut Rogier van der Weyden, wenn er den heiligen
Lukas die Madonna malen läßt, im Ausschnitt des Fensters eine stolze Stadt mit
Türmen, Mauern, Prachtbauten, von einem breiten Strom durchflössen vor uns auf.
Ähnlich Jan van Eyck in der Rollin-Madonna des Louvre. Und in Gerard Davids un-
endlich rührenden Suppenmadonna erscheint im Fenster eine reiche und mächtige
Wasserburg. Auch Barthel Behams schönster und seltenster Stich, die Madonna am
 
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