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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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Bruchhagen, Paul: Der Sinn der Musik : eine Problemerörterung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0294
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274

BEMERKUNGEN

Form". Also Sinngebung durch das erlebende Subjekt (durch Einfühlung,

innere Nachahmung, Psychisierung).
B. Der Objektivismus:

Grundsatz: Die Musik ist nicht bloße Form, sondern objektiv sinnerfüllte Form.
Zwei wesentlich auf diesem Grundsatz basierende Meinungsrichtungen:
I. Der Sinn ist immanent.

II. Der Sinn ist transzendent. —
Der dritte Gegensatz:

1. Der Sinn ist an und für sich,

2. Der Sinn ist an sich, aber nur für uns.

Schließlich der vierte hierher gehörige, auf keine Gruppe festgelegte Gegensatz:

a) Der Sinn ist in sich bestimmt, eindeutig.

b) Der Sinn ist nicht in sich bestimmt, sondern mehrdeutig.
Zwischen den Extremen rinden sich Übergänge.

II.

Die Einführung in die Problemlage muß, um dem Zwecke näher zu kommen,
die im § 1 gegebene Skizze näher ausführen.

Der Subjektivismus gründet im Formalismus. Die These, Musik sei „bloße
Form", glaubt er von Hanslick herleiten zu können. Jede tiefer eindringende Analyse
des Hauptwerkes von Hanslick gibt solcher Meinung dem Buchstaben, nicht aber der
Sache nach recht'1). Darf Hanslick nun auch nicht als Nothelfer des musikästhetischen
Formalismus gelten, so ist damit freilich noch nichts gegen den Formalismus als
solchen getan. Die Frage, ob Musik bloße Form, d. h. als Geformtes an sich sinnvoll
sei bzw. ob es Musik gebe, die bloße Form sei, bleibt demnach offen. In der Beant-
wortung derselben kann zur sachlichen Analyse von musikalischen Kunstwerken fort-
gegangen werden. Das Ergebnis ist bezeichnend: eine Menge von Beispielen scheint
die These des Formalismus und also auch die psychologische Ästhetik zu stützen,
die meisten widerstreiten ihr, andere werden von ihr überhaupt nicht betroffen. Der
Theorie bleibt nichts weiter zu tun als anzuerkennen, daß es Musik gibt, die als
„bloße Form" sinnvoll ist, wogegen es andererseits auch Tongebilde gibt, an denen
die These offenbar scheitert. Die Theorie muß sich zu diesem Anerkenntnis ent-
schließen, wenn sie im Ernste den Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben will. Es
gibt gewisse Musik, die als „bloße Form" sinnvoll ist. Die Folge dieser Wesens-
erkenntnis ist der Zwang, die formalistische Ansicht von der Musik als die einzig
mögliche fallen zu lassen und ihren relativen Wert zuzugeben. Zugleich damit
relativiert sich die psychologische Ästhetik. Sie relativiert an sich schon den For-
malismus. Sie bleibt bei der extrem formalistischen Ansicht nicht stehen. Form muß
Form von etwas sein. Hanslick, wiewohl kein Formalist, hat durch die Art seiner
Beweisführung den in jenem Satze ausgesprochenen Wesensverhalt in einer Weise
verschleiert, daß man jene alltägliche Wahrheit verkannte. Ihm wurde der Fehler als
solcher nicht bewußt, weil er von Formen sprach und Gestalten meinte. Die psycho-

3) Vgl. die Forschungen Rudolf Schäfkes (Eduard Hanslick und die Musik-
ästhetik, Lpzg. 1922) im Anschluß an die Weltanschauungslehre der Kunst von Her-
mann Nohl. Vergl. dessen Abhandlungen: Typische Kunststile in Dichtung und Mu-
sik, Jena 1915, Neudruck in: Stil und Weltanschauung, Jena 1920; Die mehrseitige
Funktion der Kunst, Vierteljahrsschrift f. Litwiss. und Geistesgeschichte II, 1924.
Ober den metaphysischen Sinn der Kunst, in ders. Ztschrft. I. — Vergl. Paul Bruch-
hagen, Hanslick und die spekulative Ästhetik, Ztschrft. f. Ästhetik, XXX. Bd., 1936,
S. 270 ff.
 
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