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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 31.1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.14170#0302
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BESPRECHUNGEN

mühungen heutiger Ästhetik ein, welche die Kunst und den Menschen, die Kunst
und das Sein zusammenzusehen bestrebt ist.

Riezlers These ist in Kürze folgende: Das Gute in der Kunst hat es mit Aus-
druck zu tun. Ausdruck wovon? Des Lebendigen. Für das Lebendige ist bezeich-
nend, daß es niemals nur dunkel, nur hell, nur ruhig, nur bewegt usw. ist, daß viel-
mehr das Eine im Andern stets mitgegenwärtig scheint. „Diese Mitgegenwart des
Anderen gründet in der Ganzheit eines Gefüges, in dem die Modi des Daseins, die
Seinsweisen der Seele, in Spannung und Verschränkung, Einigkeit und Diskrepanz
ineinander verschlungen sind" (S. 46). Auf dies Ganze richtet sich die Kunst.
„Die Kunst sucht das Ganze des Seins in der Besonderheit einer Sicht dieses Gan-
zen"; darum vermeidet sie das wesenlos Allgemeine: um der Lebendigkeit willen,
und vermeidet das Absonderliche: in Liebe zur Ganzheit des Seins. Für den Men-
schen aber hat die Kunst die Funktion, ihn das Ganze des Seins ahnen zu lassen.
Zwar mag es in seltenen Augenblicken geschehen, daß wir auch ohne die Kunst das
Ganze des Seins spüren. Aber „dann schwanken wir wieder im Trüben und sind
nur das eine oder das andere und sehen nur dies oder jenes, in der Scheinhaftigkeit
seines Nichtigen, weil Abgetrennten. Was da im Aufleuchten schon vergangen ist,
eben dies zwingt die Kunst, uns zu stehen — für jenen Augenblick der Eingebung,
dessen auch der Betrachter bedarf" (S. 202).

Die Entwicklung dieser Gedanken führt Riezler zu vielerlei Sonderfragen und
Sonderuntersuchungen. So ist in schöner und tiefer Weise die Rede etwa vom
leeren und vom erfüllten Schweigen (S. 149), von der Verschiedenartigkeit des Aus-
drucks und des Zeichens (S. 25 ff.), vom Geheimnis des Raums und der Zeit
(S. 114 ff.), vom Verhältnis der Sichtbarkeit und der Verborgenheit in der Dich-
tung (S. 188) usw. — kurz: weil die Kunst vom Menschen und vom Ganzen des
Seins her beurteilt wird, kommen die wesentlichen Probleine der Anthropologie
und Ontologie mit zur Sproache.

Bei allem Reichtum der Probleme und bei aller Spannkraft der Darstellung hat
Riezlers Traktat vom Schönen freilich auch seine spürbare innere Begrenzung; denn
es spricht aus ihm ein typischer Mensch unserer Zeit und ein typischer Denker —
ein typischer Mensch unserer Zeit, deren Philosophie mehr das Aufwerfen von
Fragen als die Grundlegung einer umfassenden Lehre leistet, ein typischer Denker,
da die Sicht auf das Sein und nicht der schöpferische Prozeß künstlerischer Fonn-
bildung den Mittelpunkt der Untersuchung bildet. So ist Riezlers Philosophieren über
Kunst aus dem Aufbruch geboren. Der Aufbruch überwindet vielgestaltige Situa-
tionen der Erstarrung, und das ist sein Gutes. Andererseits ist er noch fern dem
Ziel, und das gibt ihm etwas Vorläufiges. Jenseits einer Ästhetik des Aufbruchs
liegt, zielwärts gesehen, eine neue Gesamtanschauung des Schönen und des Künst-
lerischen, die, reich und geordnet, den Begriff der Sicht auf das Sein, des „Eidos",
in aller Tiefe verbindet mit dem Begriff des eigentlich künstlerischen Gestaltens, der
schöpferischen Formgebung.

Bonn. Heinrich Lützeler.

Liviu Rusu: Essai sur la Creation artistique, contribution
ä une esthetique dynamique. 1 vol. 460 pp. in — 8°, Paris, Alcan,
1935.

Der Verfasser dieses Werkes, Privatdozent an der Klausenburger Universität,
wünscht eine „dynamische Ästhetik" zu schreiben, womit er eine Ästhetik meint, die
vor allem eine Theorie des Schaffens sein soll; er glaubt (indem er, ohne Unrecht
 
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