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A. HACKEL
Das russische Italienerlebnis bildet einen wesentlichen Bestandteil der-
jenigen Geisteshaltung, die man als „russisches Europäertum" bezeich-
nen kann.
Dieses russische Europäertum ist — geistesgeschichtlich gesehen —
das Ergebnis der schöpferischen Tat Peters des Großen.
Zwar bestanden auch vor Peter dem Großen Beziehungen zwischen
Moskowien und Europa3). Doch erst durch die gewaltsame Europäisie-
rung Rußlands wurden die Bedingungen geschaffen, die den Einstrom
europäischer Gedanken und Lebensformen in Rußland möglich machten.
Die Geistesstruktur des mittelalterlichen Russen ist nicht von den
Mächten geprägt worden, die die Grundlage des westeuropäischen Kul-
turbewußtseins bilden.
Die Antike war für das vorpetrinische Rußland niemals tiefste geistige
Wirklichkeit gewesen. Von Byzanz übernahm Rußland das Christentum,
in dem alle Kräfte der Antike ein für alle Male gebannt und verwandelt
worden waren. Daher kannte auch das mittelalterliche Rußland nie die
3) Die kulturellen und künstlerischen Beziehungen Italiens zu Rußland in ihrem
ganzen Ausmaße hier zu schildern, würde den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Es
genügt darauf hinzuweisen, daß bereits im 15. Jahrhundert Italien Künstler und
Kunstformen nach dem moskowitischen Rußland importiert. Waren doch die Erbauer
der beiden großartigen Kathedralen im Moskauer Kreml zwei Italiener: Aristotele
Fiorovanti aus Bologna und Alviso Novi aus Mailand. Über den Eindruck, den diese
Kirchenbauten auf die Moskowiter jener Zeit machte, berichtet der Chronist: „Diese
Kirche (die Uspenskij Kathedrale) erschien wundervoll durch ihre Majestät, durch
ihre Höhe und Helligkeit und durch den Klang und den Raum. Früher gab es in
Rußland solche Kirchen nicht, außer den Kirchen von Wladimir". (Alpatow-Brunow,
üeschichte der altrussischen Kunst. Augsburg 1932, S. 99. auch N. Brunow, Due
catedrali del Kremlino costuite da italiani in „Archittura e arti decorative, VI. 1926.
Ph. Schweinfurth, A. Fiorovanti, Die ital. Forschung und das Buch von Snegirew
im Jhb. f. Gesch. Osteuropas. 1937. H. 2, S. 413—33.)
In den wechselseitigen Beziehungen der beiden Länder spielten neben künstleri-
schen auch kirchen-politische Momente eine große Rolle. Seit dem Florentinischen
Konzil (1439) suchte der Hl. Stuhl stets Einfluß auf russische Geistlichkeit zu
erlangen. (Vgl. Pierling, La Russie et le S. Siege. B. I—V. Paris 1912. V. J. A. van
Son, Autour de Krizanic. Paris 1934. E. Schmurlo, Le S. Siege et l'Orient ortho-
doxe russe [1609—1654]. Prag 1928. Ders.: Briefe und Berichte der Jesuiten aus
Rußland im XVII. Jahrhundert und aus dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts.
Petersburg 1904. [Russisch.])
Auch die ehemaligen handelspolitischen Beziehungen mit Genua und Venedig
wurden im 17. Jahrhundert wieder aufgenommen und durch eine besondere Gesandt-
schaft, die Genua, Florenz und Venedig aufsuchte, gefördert. S. A. Brückner, Bei-
träge zur Kulturgeschichte Rußlands im 17. Jahrhundert. Leipzig 1887. Eine russi-
sche Gesandtschaft nach Italien im 17. Jahrhundert. Ferner: Denkmäler der kul-
turellen und diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und Italien. B. I (157S
bis 1584), herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften. Leningrad 1925.
E. Schmurlo, Rußland und Italien. B. I—IV. Petersburg 1907—1924. Vgl. auch
Ustrjalow. Geschichte Peters des Großen. B. II, S. 58 und S. 316.
A. HACKEL
Das russische Italienerlebnis bildet einen wesentlichen Bestandteil der-
jenigen Geisteshaltung, die man als „russisches Europäertum" bezeich-
nen kann.
Dieses russische Europäertum ist — geistesgeschichtlich gesehen —
das Ergebnis der schöpferischen Tat Peters des Großen.
Zwar bestanden auch vor Peter dem Großen Beziehungen zwischen
Moskowien und Europa3). Doch erst durch die gewaltsame Europäisie-
rung Rußlands wurden die Bedingungen geschaffen, die den Einstrom
europäischer Gedanken und Lebensformen in Rußland möglich machten.
Die Geistesstruktur des mittelalterlichen Russen ist nicht von den
Mächten geprägt worden, die die Grundlage des westeuropäischen Kul-
turbewußtseins bilden.
Die Antike war für das vorpetrinische Rußland niemals tiefste geistige
Wirklichkeit gewesen. Von Byzanz übernahm Rußland das Christentum,
in dem alle Kräfte der Antike ein für alle Male gebannt und verwandelt
worden waren. Daher kannte auch das mittelalterliche Rußland nie die
3) Die kulturellen und künstlerischen Beziehungen Italiens zu Rußland in ihrem
ganzen Ausmaße hier zu schildern, würde den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Es
genügt darauf hinzuweisen, daß bereits im 15. Jahrhundert Italien Künstler und
Kunstformen nach dem moskowitischen Rußland importiert. Waren doch die Erbauer
der beiden großartigen Kathedralen im Moskauer Kreml zwei Italiener: Aristotele
Fiorovanti aus Bologna und Alviso Novi aus Mailand. Über den Eindruck, den diese
Kirchenbauten auf die Moskowiter jener Zeit machte, berichtet der Chronist: „Diese
Kirche (die Uspenskij Kathedrale) erschien wundervoll durch ihre Majestät, durch
ihre Höhe und Helligkeit und durch den Klang und den Raum. Früher gab es in
Rußland solche Kirchen nicht, außer den Kirchen von Wladimir". (Alpatow-Brunow,
üeschichte der altrussischen Kunst. Augsburg 1932, S. 99. auch N. Brunow, Due
catedrali del Kremlino costuite da italiani in „Archittura e arti decorative, VI. 1926.
Ph. Schweinfurth, A. Fiorovanti, Die ital. Forschung und das Buch von Snegirew
im Jhb. f. Gesch. Osteuropas. 1937. H. 2, S. 413—33.)
In den wechselseitigen Beziehungen der beiden Länder spielten neben künstleri-
schen auch kirchen-politische Momente eine große Rolle. Seit dem Florentinischen
Konzil (1439) suchte der Hl. Stuhl stets Einfluß auf russische Geistlichkeit zu
erlangen. (Vgl. Pierling, La Russie et le S. Siege. B. I—V. Paris 1912. V. J. A. van
Son, Autour de Krizanic. Paris 1934. E. Schmurlo, Le S. Siege et l'Orient ortho-
doxe russe [1609—1654]. Prag 1928. Ders.: Briefe und Berichte der Jesuiten aus
Rußland im XVII. Jahrhundert und aus dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts.
Petersburg 1904. [Russisch.])
Auch die ehemaligen handelspolitischen Beziehungen mit Genua und Venedig
wurden im 17. Jahrhundert wieder aufgenommen und durch eine besondere Gesandt-
schaft, die Genua, Florenz und Venedig aufsuchte, gefördert. S. A. Brückner, Bei-
träge zur Kulturgeschichte Rußlands im 17. Jahrhundert. Leipzig 1887. Eine russi-
sche Gesandtschaft nach Italien im 17. Jahrhundert. Ferner: Denkmäler der kul-
turellen und diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und Italien. B. I (157S
bis 1584), herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften. Leningrad 1925.
E. Schmurlo, Rußland und Italien. B. I—IV. Petersburg 1907—1924. Vgl. auch
Ustrjalow. Geschichte Peters des Großen. B. II, S. 58 und S. 316.