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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 36.1942

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Riemschneider-Hoerner, Margarete: Die Raumanschauung bei Pindar
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https://doi.org/10.11588/diglit.14218#0108
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98 MARGARETE RIEMSCHNEIDER-HOERNER

unter die Erde ging! Er weiß des Lebens Ende, er weiß den gottgege-
benen Anfang"10). Was aber weiß er von dem Leben selbst? Geraeint
ist natürlich ein ganzes erfülltes Leben, es genügt aber die Konturen zu
ziehen. Damit ist Klarheit und Geschlossenheit erreicht. Oder es steht
da: „die Anfänge wurden von den Göttern gegründet... im guten Ge-
lingen besteht die Spitze des allseitigen Ruhmes"11). Daß man das Ziel
als Wichtigstes nennt, ist weniger erstaunlich, als daß der Anfang nie
vergessen wird. Eines ohne das andere fällt gleichsam ins Leere. Anfang
und Erfüllung, Wurzel und Krone bedingen die endgültige feste Gestalt.

Wir könnten diese Art der Raumvorstellung linear nennen als ein
Sehen in Umrissen, wobei die Innenzeichnung fehlt, aber eine solch pedan-
tische Übertragung der Wölfflinchen Grundbegriffe ist weder glücklich
noch nötig. Nicht die Grenze als solche ist hier das Wesentliche, sondern
die Umgrenzung, um eine Überschaubarkeit zu erreichen, um die Dinge
zusammenzuhalten, damit sie nicht ins Fließen kommen, sich nicht im
Unbestimmten verlieren. Denn das Wichtigste bleibt die Einheit, die Homo-
genität des Umgrenzten. Goethe sagt in den Wahlverwandtschaften:
„denn indem man die Kinder für einen weiteren Kreis zu bilden gedenkt,
treibt man sie leicht ins Grenzenlose, ohne im Auge zu behalten, was denn
eigentlich die innere Natur fordert." Diese innere Natur ist das, was
Pindar qmq. nennt, „aus eigenem Wesen". „Weise ist, wer vieles weiß aus
eigenem Wesen"12). Auch für ihn ist nichts tadelnswerter als ein Mann
„von ziellosem Gemüt", vocp ä-ceXei13). Weltanschauung und Raumanschau-
ung lassen sich nicht trennen. Wir werden auf die Gegründetheit, auf
die Enge des Blickfeldes in der klassischen Raumanschauung noch zu-
rückkommen. Hier handelt es sich nur um das Umspannen der Grenzen
vom Ausgangspunkt aus, so wie der Zirkel seine Kreise nur schlagen
kann, wenn er mit einem Fuß fest im Boden ruht.

Die Furcht vor dem Grenzenlosen, das Verwurzeltsein im engen Kreise,
das ist es, was auch jeder klassischen Kolossalität, jedem Superlativ, jeder
Übertreibung doch noch irgendwo eine Grenze setzen läßt. Pindar
möchte die Glückseligkeit dessen, der sich Ruhm erwirbt, gewiß nicht
verkleinern, wenn er von ihm sagt, daß er, ein Gottgeehrter, „an den
äußersten Grenzen der Glückseligkeit seinen Anker wirft"14). Er tut es

10) F. Dornseiff, Pindar übersetzt und erläutert, Leipzig 1931. 'OXßiog,öaugid6n
ixelva y.olXav slaiv vnö zd'dva' olösv /xev ßiöv -teXemäv, olösv de öiöoöozov ägzdv.

la) N 1, ägxal de ß&ß"/.r\vzai fleäv ..'. sau ö'iv eiwxCi} navöo^lag är.gov. Vgl. auch
fr. deov öb öel^avvog ägyav exaazov &v ngäyog, eißela öij neXevd'og ügeräv eXelv %eXev-
%al re xaXXdoveq.

12) O 2, 94 ooqpög ö ivoXXä eida>g qpvq..

«) N 3, 24

14) I 6, 11 iaxavi-äg i'jdrj ngög öP.ßov ßdXP.ev' äyxvgav i3'£dw/,(,og icöv.
 
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