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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Allesch, Gustav Johannes von: Die Grundkräfte des Expressionismus
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Aussprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0125

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118 MAX DESSOIR.

pressionismus wird übernommen. Aber auch hier ist nun wieder eine
Strömung zur Ordnung, zur Lebensnotwendigkeit, zur schlichten Grund-
legung in Fluß gekommen.

Aussprache.

Max Dessoir:

Der Bericht des Herrn v. Allesch, der durch eine Folge geistreicher Bilderklä-
rungen so angenehm belebt war, läßt einige Fragen offen. Bei der Kürze der Zeit
wird es zwar nicht möglich sein, alle diese Fragen aufzuwerfen oder gar zu beant-
worten. Aber es darf wenigstens auf das Wichtigste hingewiesen werden. Zunächst
scheint mir, daß der Herr Vortragende nicht genügend die dem Expressionismus
eigene Rückkehr zur Primitivität betont hat. Diese Rückkehr ist ja nicht bloß da-
durch bedingt, daß die Formen- und Farbengebung der Primitiven besonders aus-
druckskräftig ist, sondern sie entspricht dem Drange, der sich auf vielen Gebieten
unseres gegenwärtigen Lebens bemerkbar macht: Wurzelhaftigkeit, Ursprünglichkeit,
unverstümmelte Erlebnisfähigkeit zurückzuerobern. Dieses Streben nach Ursprüng-
lichkeit liegt den von Herrn v. Allesch hervorgehobenen zwei Hauptabsichten der
expressionistischen Kunst zugrunde, nämlich der Absicht, stärksten Gefühlsgehalt
zu geben und das Wesen der Erscheinungen auszuschöpfen.

Wenn gesagt worden ist, expressionistisch sei eine Kunst, die um des Ausdrucks
willen deutlich und bewußt von der Natur abweiche, so ist damit der Expressionis-
mus auf die Bildkunst eingeschränkt worden. Denn wie könnte diese Begriffsbestim-
mung auf die expressionistische Musik angewendet werden? Bei ihr verhält es sich
eher so, daß von der Überlieferung abgewichen wird, deren Gesetzlichkeit aller-
dings fast die Kraft einer Naturgesetzlichkeit gewonnen hatte. Wenn in Schönbergs
Tonsprache die Tonalität aufgehoben ist, und zwar, wie er selbst sagt, durch einen
Zwang seines Ausdrucksbedürfnisses, so bedeutet das eine ebenso entschiedene
Abkehr von früher heiliger Gesetzmäßigkeit wie die Abwendung des Expressionisten
von dem gewohnten Bilde der Natur. Ein zweites Merkmal des Expressionismus
scheint mir daher, daß er mit dem sowohl physisch als auch historisch Gegebenen
ganz rücksichtslos umgeht. Auch der Idealismus gestattet sich Veränderungen des
Gegebenen. Aber er ist niemals so weit gegangen, das Vorhandene völlig zu zer-
schlagen. Im expressionistischen Künstler lebt das Gefühl, daß er nicht anders zum
Wesenhaften zu gelangen vermag, als durch Vernichtung der in Zufallsformen er-
starrten Oberfläche.

Herr v. Allesch hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß die Enttäuschung
vort den Leistungen des Expressionismus manchen zu einem seltsamen Konstruk-
tivismus getrieben hat. In der Tat verhält es sich so innerhalb der bildenden Künste.
Während HcJtjger und Pölzig bei ihren Bauten expressionistische Tendenzen zur
Darstellung bringen, zeigen die neuesten Bauten, die Peter Behrens in Gemeinschaft
mit der Firma Breest & Co. entworfen hat, nichts anderes als restlose Anpassung
an Zweckbedingtheit. Auch die Gruppe Erik Mendelson, Mies v. d. Rohe, Mahlberg
konstruiert ganz aus dem Technischen heraus. Eine seltsame Verbindung dieses
von den Elementen her aufbauenden Konstruktivismus mit dem zur Atomisierung
gelangten Expressionismus zeigt eine Richtung innerhalb der Dichtkunst, sofern
man sie überhaupt noch zur Dichtkunst rechnen kann. Ich denke beispielsweise an
Hans Arp, von dem rühmend gesagt wird, er schaffe »das Hohe Lied der Spalt-
hirnigkeit, die Edda der Schizophrenie«, denn er bringe zur Darstellung den Zustand
»schöpferischer Rastlosigkeit, in dem wir uns während des Schlafes befinden, und
aus dem wir gelegentlich mit einem Stichwort, mit einer Gebärde und Bilderreihe
 
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