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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0251

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244 HERMANN MICHEL.

M i t b e r i c h t e.
Hermann Michel:

Es ist mir zweifelhaft, ob der Ausgangspunkt der fesselnden
Darlegungen Dr. Everths richtig ist, aber ich will nicht dagegen pole-
misieren, denn das hieße, das Problem der Strukturpsychologie von
neuem erörtern. Ich würde nicht vom Erzähler ausgehen, um das
Wesen des Epischen zu finden, sondern von der epischen Leistung;
nicht vom Subjekt, sondern vom Objekt: wobei zu fragen bliebe, ob
das Epische ohne weiteres dem Erzählerischen gleichzusetzen sei.
Immerhin möchte ich auf die Schwierigkeit aufmerksam machen, daß
gegebenenfalls in einem Dichter zwei strukturpsychologische Typen
enthalten sein können. Ich denke vor allem an Kleist. Auch wer seinen
dramatischen Werken so kritisch gegenübersteht wie Gundolf, leugnet
doch nicht, daß Kleist ein großer Dramatiker gewesen ist. Und wie
stimmt nun dazu, daß er zugleich mustergültige, »wesentliche« Erzäh-
lungen geschrieben hat? War seine Lebenshaltung vorwiegend dra-
matisch oder war sie episch? Ähnlich bei Otto Ludwig. Entspräche
der spezifisch epische Charakter wirklich einem Lebenstypus, einer
inneren Haltung zur Welt — wie ließe sich begreifen, daß hervor-
ragende Erzähler immer wieder versucht haben, auch als Dramatiker
Vollwertiges zu schaffen? Gewiß ist das z. B. einem Manne wie Paul
Heyse, der zahlreiche Dramen verfaßt hat, so wenig gelungen wie
Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer, die über Vorstudien
und Fragmente nicht hinausgekommen sind. Aber ob der Grund in
ihrer inneren Haltung zur Welt lag, scheint mir sehr fraglich.

Keller ist ein gutes Beispiel für die von Dr. Everth betonte Ver-
wandtschaft von Erzählergabe mit pädagogischen Anlagen und Nei-
gungen, die sich ja nicht notwendig im Lehrerberuf auszuwirken
brauchen. Namentlich in der Schweiz ist die Personalunion von Er-
zähler und Erzieher oft anzutreffen. Wenn man an Pestalozzi denkt,
an Gottheit, von Modernen etwa an den jüngst verstorbenen Boßhart,
könnte man auf den Gedanken kommen, daß hier eine originär volks-
mäßige oder nationale Struktur vorliege. Allein, von anderem abgesehen,
schon Zschokke, der Mitteldeutsche, der in der Schweiz zum lehr-
haften Erzähler wird, beweist, wie verkehrt diese Deutung wäre. Es
wird genügen, hier den Einfluß des Milieus zu konstatieren, also
einen soziologischen Zusammenhang anzunehmen.

Gottheit war, der Hauptsache nach, Naturalist und konnte er-
zählen. Mag sein, daß der deutsche Naturalismus von 1890 keinen

dort im 4. Kapitel Gesagte hier verzichtet und glaubt deshalb zu diesem Hinweis
verpflichtet zu sein.
 
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