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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0372

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DER MUSIKLOSE TANZ. 365

Fritz Böhme:
Der musiklose Tanz.

Als Ergänzung dessen, was soeben zu Ihnen an Grundlegendem
gesprochen wurde, möchte ich hier für die wenigen Minuten meines
Sprechens ein Problem in den Mittelpunkt stellen, von dem aus sich
eine Reihe anderer Probleme der Tanzkunst beleuchten läßt: den
musiklosen Tanz. Ich nehme an, daß die Mehrzahl von Ihnen schon
diese Form des Tanzes erlebt hat. Sie ist das unerhörteste, für den
Laien unbegreiflichste Phänomen des neuen Kunsttanzes, das mutvollste
Wagnis der Künstler, die mit dem, was sie erkannten und in sich
fühlten, Ernst machten. Denn der musiklose Tanz ist recht eigentlich
die Erscheinungsform des Tanzes als eigener Kunst: rücksichtslos,
unsentimental und konsequent sind alle fremden Hilfsmittel beiseite
gelassen und das tänzerische Werk spricht allein durch die Gewalt seiner
Gestaltungen.

Wie konnte unsere Zeit zu dieser Form kommen, was ist damit
erreicht, ist sie End- oder Anfangsform?

Es handelt sich beim musiklosen Tanz nicht um einen verblüffen-
den Varietetrick, auch nicht um die Versessenheit eines Fanatikers — son-
dern um die bewußte Absage an eine ganze Tradition, um den Ver-
such, jenseits eines alten versandeten Weges wieder auf die Urquellen
des Bewegungskunstwerks zu stoßen. Er ist das Sinnbild der Tanz-
revolution, die wir zurzeit erleben. Aber nicht von Anfang an kämpfte
man unter diesem Zeichen. Wir müssen einen Augenblick zurück-
schauen.

Die Revolution auf dem Gebiet der Tanzkunst wandte sich gegen
die Erstarrungs- und Verkümmerungsformen des Balletts. Man wollte
nicht mehr die vorgeschriebenen Pas und Pirouetten, man wollte
natürlich tanzen, man wollte die echte ungekünstelte Bewegung
wieder zu ihrem Recht kommen lassen. Man suchte nach einem un-
mittelbaren, uneingeschränkten Ausdruck der Gewalten, die man in
s'ch spürte. Das Ziel war schon tänzerische Eigenkunst. Man wußte
nur keinen Weg. Man warf das Gute, das das Ballett, wenn auch
verkümmert und erstarrt besaß, nämlich die systematische Bereitmachung
des Körpers, fort und behielt das Schlechte in Händen: die Musik,
und glaubte mit Hilfe der Musik zu dem Tanz als eigener Kunst
kommen zu können. Man kam auch zu einer eigenartigen Beweglich-
keit des Körpers, merkte es aber nicht, daß man den Tanz keineswegs
aus der Sphäre der angewandten Kunstfertigkeit herausgehoben hatte,
und daß nur die Bewegungsformen, das Reagieren auf die Musik,
 
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