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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Abert, Hermann: Geistlich und Weltlich in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0404

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GEISTLICH UND WELTLICH IN DER MUSIK.

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Becking hat den Begriff »Spannung« in anderem Sinne gefaßt als Mersmann.
Im Gegensatz zu Wetzel meint Mersmann, auch auf der Basis der von ihm aus-
geführten Gedanken zu einer Einheit des Bewußtseins zu gelangen.

Mit »Phänomenologie« im Sinne Pleßners hat Mersmann, wie er schon in seinem
Referat betonte, nichts zu tun. Auch Pleßners Gedankengänge genügen nur zur
Begründung der akustischen Phänomene, reichen nicht an die Analyse des Kunst-
werks selbst heran.

Hermann Abert:
Geistlich und Weltlich in der Musik.

Unserem Thema, das ja bekanntlich in alter und neuer Zeit un-
zählige Male erörtert worden ist, möchte ich heute als Historiker eine
neue Seite abzugewinnen versuchen, indem ich seine Formgestaltung
einmal in ihrem geschichtlichen Wandel darstelle. Ist doch auf rein
musikalisch-stilkritischem Wege eine Lösung all dieser Probleme über-
haupt nicht möglich. Denn hinter ihnen steht ein Stück Menschheits-
geschichte, von dem die musikalischen Phänomene nur eine letzte Aus-
strahlung sind. Nun schließt ja die Fassung Geistlich und Weltlich
eine Begrenzung in sich, insofern der Begriff Geistlich vom Christen-
tum geschaffen ist und ihm allein angehört. Aber auch das Christen-
tum ist eine geschichtliche Erscheinung, und gerade die Entwicklung
des musikalischen Empfindens lehrt uns deutlicher als manches andere
die geistigen Mächte erkennen, aus denen es schließlich hervorgegangen
ist. Das klassische Altertum kennt nur eine kultische Musik, die genau
wie die übrigen Riten eng an den Dienst der einzelnen Gottheit ge-
bunden ist und für das außerkultische Leben keine Bedeutung mehr
hat. Bedenkt man außerdem, daß die griechischen Götter nicht wie
z. B. die semitischen, einen außerweltlichen Charakter tragen, daß ferner
dem griechischen Priestertum niemals ein besonderes religiöses Gepräge
anhaftete, so zeigt sich deutlich, daß für das klassische Hellenentum
unser Problem überhaupt nicht vorhanden war. Eine spezielle Eigen-
tümlichkeit der Kultmusik war nur die, daß sich hier die alten
physiologischen Wirkungen der Musik weit länger behauptet haben,
als in der außerkultischen, wo sie sehr bald ins Psychologische über-
gingen. Die Ethoslehre dagegen, der Kern der griechischen Musik-
ästhetik, kennt religiöse Wirkungen der Tonkunst überhaupt nicht,
sondern nur ihre gemeinschaftsbildende Macht im Dienste der antiken
Polis.

Mit dem klassischen Ideal der Polis geht aber auch die Ethoslehre
•n ihrem eigentlichen Sinne zu Grabe. Aristoteles ist wie in der Staats-
theorie, so auch in der Musikästhetik der letzte Vertreter der altgrie-
chischen Anschauung. Nach ihm bildet sich allmählich ein neues Musik-
ideal heraus, das in schroffem Gegensatz zu der weltlich gerichteten
 
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