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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Mitberichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0428

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DAS EXOTISCHE IN DER MODERNEN MUSIK. 421

Mitberichte.

Philipp Jarnach:

Das Exotische in der modernen Musik.

Das natürliche musikalische Gefühl, d. h. die uns eigentümliche
Art, Musik zu empfinden und auch hervorzubringen, ist nicht allein
durch ererbte Neigungen und Fähigkeiten bedingt. Die Erziehung, die
Beeinflussung durch ein bestimmtes musikalisches Milieu spielen hier
eine Rolle, die um so entscheidender wird, je vielgestaltiger und reicher
sich die Kunst entwickelt. Eine dauernde, allgemeine Beschäftigung
mit exotischer Musik müßte also zweifellos Wirkungen zeitigen, die,
unter Umständen, das Gesicht der neueren abendländischen Tonkunst
stark verändern könnten, vorausgesetzt, daß es gelänge, die fremden
Elemente so zu assimilieren, daß sie, ihres bloßen sinnlichen Reizes
entkleidet, dem Kreis unseres künstlerischen Erschauens wirklich an-
gehörten. Die formale Unsicherheit heutiger Kunst hat diese und ähn-
liche Fragen in den Vordergrund gerückt; vielleicht nur vorübergehend.
— Daß hier Möglichkeiten vorliegen, ist nicht zu bestreiten. Nur er-
scheint mir eine solche Entwicklung, wenigstens für die nächste Zu-
kunft, nicht sehr wahrscheinlich. Die Beziehungen des Schaffenden
zur Literatur seiner Kunst sind tiefer und mannigfacher Art; er be-
herrscht sie und muß doch immer wieder auf sie zurückgreifen. Er
ist genötigt, um sich frei zu fühlen, sich zu allen großen Erscheinungen
in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen, das aber nur provisorisch sein
kann. Denn schon bei der nächsten Wegwende zeigen sie ihm ein
neues Gesicht, bieten eine Fülle neuer Probleme, von deren Klärung
sein weiteres Wirken zum Teil abhängt. Das Erlebnis am Genie ist
auf jeder Stufe ein anderes; ob wir uns dessen bewußt oder unbe-
wußt sind, dies scheinbar Abgeschlossene ragt, trotz seiner stofflichen
Begrenzung, stets bis in unsere selbständigste Regung hinein. Nun ist
zwar ein Zustand der Erschöpfung denkbar, in welchem das schöpfe-
rische Interesse an organisch gewachsener Kunstmusik sich dermaßen
ausgewirkt hätte, daß das Bedürfnis nach durchgreifender Erneuerung,
nach einer Verjüngung von außen her sich fühlbar machen würde.
Bevor der Fall einträte, müßte aber unsere Musikkultur einen Grad
der Entfaltung erreicht haben, von dem sie nach meiner Ansicht noch
sehr weit entfernt ist. Wir müßten einen Zustand überwunden haben,
Hl dem die verbrauchtesten Stilrequisiten zur Formulierung des neuen
Ausdruckswillens herangezogen werden, was ein Widerspruch ist. Die
Frage, also gesehen, wäre demnach im wesentlichen die: ob unsere
abendländische Musik den Gipfel ihrer eigenen Möglichkeiten bereits
überschritten hat oder nicht.
 
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