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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Die französische Malerei seit 1848: mit Berücksichtigung des Salons von 1866[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0033

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Die französische Malerei seit 1848.

die Stelle der Politischen Revolution ist eine geistige getreten, welche gründlicher als Barri-
kaden nnd Straßenkämpfe aufzuräumen verspricht mit dem Gerümpel der Vergangenheit,
das noch unseren jungen Haushalt beschwert. Freilich, in Frankreich scheint dem nicht
ganz so zu sein, wie in Deutschland. Die kurze republikanische Täuschung schlug bald um
in die grobe Realität des napoleonischen Cäsarismus, in dem die Träume und Hofsnungen
eines neuen Staates und neuer Gesittung einen raschen Untergang fanden. Wie zu diesem
plötzlichen Rückgang der Dinge die allgemeine Genußsucht und Erschlaffung mitwirkten, wie
hierin das kaiserliche Regiment mit der Gesinnung und den Bedürfnissen des Geschlechtes
znsammentraf, ist schon oben bemerkt. Aber dennoch, so verfestigt auch der gegenwärtige
Zustand, fo wenig Neigung und Spannkraft in den Gemüthern zu einem Umschwung zu
sein scheint, dieses Kaiserthum ist sicher nicht das letzte Wort von Frankreich und nur eines
aus der Reihe von Momenten, welche die moderne Geschichte dort noch durchzumachen hat.
Und so ist auch hier unter der schweren Decke des eisernen Regiments und des materiellen
Lebens ein heimliches Gähren nnd Ringen, die verborgene Arbeit eines Prozesses, der aus
überlebten Formen nene Keime zu treibeu beginnt.
Die Knnft der beiden letzten Jahrzehnte trägt vorwiegend die Züge dieses
äußerlich fertigen, aber innerlich ungewissen und suchenden Zustandes an sich. Sie erntete
nach der einen Seite die Früchte der vorangegangenen Entwickelung: das gebildete Auge
für Form und Farbe, wozu die Malerei in den verschiedenen Schulen gelangt war, die
Fertigkeit der Hand, das Geschick malerischer Darstellung, die technischen Fortschritte. An-
dererseits aber legt ihr jetzt der Inhalt mehr Schwierigkeiten in den Weg, als je zuvor.
Um so hemmeuder tritt ihr nun das Halbe der Staats- nnd Kultnrverhältniffe entgegen,
als die Regierung jede unabhängige Regung niederhält und der ganze Zuschnitt des Lebens
große allgemeine Interessen kaum aufkommen läßt. So wird das Gemüth von ernsten
Empfindungen nicht bewegt, die Anschauung durch umfassende Gesichtspunkte nicht gehoben.
Daher sacht die Kunst in der nngemeffenen Weite der ihr vorliegenden Stoffwelt so ziem-
lich ansts Gerathewohl nnd ohne innere Nöthigung nach mehr oder minder dankbaren
Vorwürfen. Es besteht kein tieferes Verhältniß mehr zwischen Stoff und Form; jener ist
zum gleichgültigen Mittel für die malerische Erscheinung geworden, und so fehlt es schließ-
lich dieser am Inhalt, am seelenvollen Kern. Mit diesem Uebelstand hängt die durchgängige
Zersplitterung der neuesten Kunst eng zusammen. Eine Zersplitterung doppelter Art. Denn
mit der inneren Beziehung znr Welt der Gegenstände hat sich zugleich der feste Verbaud
der Schulen gelöst, mit dem Ideal ist anch die Zucht eines ernsten gemeinsamen Strebens
nntergegangen. Jede der obenerwähnten Kunstweisen hatte ihr Ideal, auch die romantische,
wie jede, auch die letztere bei aller Willkür, an gewissen Gesetzen, gewissen Grundzügen der
Anschauung festhielt. Nichts mehr von dem ist in den Künstlern der jüngsten Tage. In
kurzer Lehrzeit sucheu sie unter der äußeren Anleitung namhafter Meister die äußeren Er-
rnngenschaften jener Schulen sich anzueignen, nm dann so schnell wie möglich vor allen Ge-
nossen durch überrascheude Werke ganz besonderer Art sich ausznzeichnen. Seit Jahren er-
geht sich die französische Kritik über diese Zerfahrenheit in Klagen. „Jeder setzt", so sagt
einmal treffend TH. Gautier, „seiue eigenste Individualität an's Licht; statt Gedanken kom-
men Träume zu Tage; man versucht, tastet, studirt, eignet sich die Recepte der Vergangen-
heit an oder erfindet neue. Weun der Kopf unsicher ist, fo ist die Hand um so fester; die
Gewandtheit ist Allen als Erbe zu,gefallen; ein Ungeschickter ist eine Seltenheit, und wenn
alle diese Lente etwas auszudrücken hätten, wie gut würden sie es ausdrücken." Was eine
solche, von keiner objektiven Macht erfüllte und getriebene Individualität zu Stande bringt,
das sind natürlich — Lei allem Reiz der Ansführnng — keine durchgebildeten Kunstwerke,
 
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