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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Korrespondenz. Aus München
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0129

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Aus München.

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die Architekten selber. Sie unterscheiden sich indessen von Saturn insofern vortheilhaft, als dieser
die eigenen Kinder fraß, sie aber nur die Anderer zu vernichten trachten.
Ich weiß nicht, ob es vielleicht letzterer Eigenthümlichkeit zuzuschreiben ist, wenn gegen die
Ausführung des herrlichen Modells, welches Semper zu den vom König beabsichtigten Bau eines
großen Festtheaters kürzlich hierher gebracht, bereits auch schon Stimmen laut geworden sind, ob-
wohl ein solches großes bauliches Unternehmen zu einer Zeit, wo die Privatbauthätigkeit fast ganz ruht,
wahrlich des höchsten Dankes werth wäre, auch wenn es nicht eine fo wunderschöne Zierde der Stadt
zu werden verspräche, als es bei dieser genialen Komposition, die wohl die beste sein möchte, die
Semper überhaupt gelungen, in der That der Fall ist. Wenigstens übertrifft sie sowohl sein Dresdener
Theater als sein Museum dort bei weitem an sicherer Meisterschaft, an freier Handhabung und
großartiger Gliederung des architektonischen Stoffes, in der sie von den wenigsten Kompositionen
der Neuzeit erreicht, von keiner übertroffen werden möchte. Auch die strengsten Fachmänner habe
ich mit Bewunderung von dem herrlichen Werke fprechen hören, über welches dieß Blatt hoffentlich
bald ausführlicher zu berichten im Stande fein wird, als es hier der Raum gestattet.
In der Hauptsache aus einem halbrund vortretenden Mittelbau und zwei mäßig langen Flügeln
bestehend, die eine durchlaufende doppelte Arkadenreihe, etwa wie die Bibliothek des Sansovin in
Venedig, zeigen, nur daß die uutere Bogenreihe durch Doppelpilaster, die obere durch doppelte
Säulen einfacher gegliedert wird, erhält das Ganze durch das Ueberrageu des den Bühnenraum
enthaltenden Mittelbaues eine eigenthümlich fchöne Silhouette. Auf der die Stadt beherrschenden
Höhe des Gasteigberges ausgeführt und durch eine vortrefflich komponirte großartige Treppenanlage
mit einer ebenfalls neu projektirteu Brücke und Straße in Verbindung gesetzt, die parallel mit der
neuen Maximiliansstraße direkt zur Residenz führen soll, würde diese Anlage den ganzen Stadttheil
aufs Vortheilhafteste umwandeln nnd München einen Reiz verleihen, wie ihn in dieser Art von
organischer Verbindung grandioser Prachtbauten mit den reizendsten, durch die mannichfaltigsten
Aussichtspunkte geschmückten, längs eines höchst malerischen Flusses, aus sonniger Höhe sich hin-
ziehenden Parkanlagen, sicherlich keine einzige deutsche Stadt iu höherem Maaße aufzuweisen hätte,
selbst Dresden mit seiner weltberühmten Brühl'schen Terrasse nicht ausgenommen. Bürklein's unver-
gängliches Verdienst, die so glückliche Anlage der neuen Maximiliansstraße, erhielte erst ihre noth-
wendige Ergänzung durch diesen Parallelbau, der wieder in die Stadt, aus der sie setzt ziemlich
verbindungslos ausmündet, hereinführen und damit das Ganze vollständig befriedigend ab-
schließen würde.
So meisterhaft benutzt Sempers Projekt die Vortheile des Terrains, erscheint daher so natür-
lich und selbstverständlich, daß es sicherlich jedenfalls mit der Zeit in irgend einer Weise zur Aus-
führung kommt, selbst wenn es mancherlei Einflüssen gelingen sollte, dieselbe jetzt zu hintertreiben.
Ohne die unbestreitbare Existenz gewisser Antipathien wäre es geradezu unbegreiflich, daß ein könig-
liches Vorhaben, das in fo hohem Grade den Dank der Münchener Bevölkerung verdiente, da es
ihr eine Fülle von Vortheilen aller Art zuwendet in einer Zeit, wo sie derselben bei der Stockung
aller Künste und Gewerbe am dringendsten benöthigt ist, statt begeisterten Dankes überhaupt
irgendwo noch Opposition finden kann.
Dieselbe steift sich vorzugsweise darauf, daß das Gebäude kein Bedürfniß sei, da man ja
schon zwei Theater habe, und übersieht dabei leider nur, daß es sich hier überhaupt weit mehr um
ein Gebäude zur Dekoration, wie das Siegesthor, die Ruhmeshalle oder die Propyläen, als um
ein modernes Theater handelt, was das Gebäude im Gegentheil gar nicht sein soll; ferner übersieht
sie, daß alles Schöne entbehrlich ist, daß es seiner Natur nach erst mit dem Schmuck, dem lieber-
flüssigen anfängt, und daß es doch wieder das Nothwendigste, Nützlichste aller Produktion, ja das
Fruchtbringendste ist. Denn ohne Blüthe giebt es keine Frucht, das Kunstschöue ist aber nichts als
die Blüthe der Kulturarbeit überhaupt.
Wäre der Semper'sche Bau eine Kirche statt eines Tempels für große Kunstfeste aller Art, —
die ausschließliche Bestimmung desselben für Wagner'sche Opern ist ein von den Gegnern allerdings
klug ersonnener Mythus, — so hätte in dem trotz aller gelegentlichen Fehler ihrer Häupter der
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