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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Florentin: Der Raub der Polyrena
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0156

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Der Raub der Polyxeua.

Ein ebenso wichtiges Moment in den bildenden Künsten ist jedoch die künstlerische Be-
handlung des Stoffes, durch den sie wirken, des körperlichen Raumes. Denn alle Künste
wollen ihren Inhalt, die Ideen des Lebens und der Wirklichkeit, nicht nur geläutert, son-
dern auch in lauterer Form wiedergeben. Die bildenden Künste aber versinnlichen solche
Ideen im Raum. Am strengsten befolgt die Gesetze harmonischer Raumbehandlung die
Architektur, da diese nicht das Leben selbst verschönert wiedergeben will, sondern einer Ab-
straktion aus demselben, dem Bedürfniß des Menschen nach künstlich abgeschlossenen und
abgegrenzten Räumen Körper und Form verleiht. Malerei und Plastik wollen unmittelbar
die Idee des Lebens selbst im Raume darstellen und daher müssen sich hier die strengen
architektonischen Forderungen mit der Freiheit des Lebens zu einer neuen Harmonie ver-
söhnen. Die Malerei hat vermöge ihrer Natur nur für einen einzigen Standpunkt
Harmonie in der räumlichen Anordnung Herzustellen; die Plastik beschränkt sich entweder —
bei Reliefs und Statuen für hohle Nischen — ebenfalls nur auf Berücksichtigung eines
Standpunktes, oder sie mnß, — bei ihren ganz freistehenden Werken — - allen Stand-
punkten Rechnung tragen. Im letzteren Falle muß also ein Kunstwerk dem Beschauer,
der es umwandelt, stets Umrisse darbieten, die eine gleichmäßige Vertheilung der Massen zu
beiden Seiten der Achse in statischer Beziehung wie in der äußeren Ausdehnung erkennen
lassen; die beiden Hälften sollen nicht nur für die Waage, sondern auch für's Auge sich
gegenseitig im Gleichgewichte halten; die äußeren Umrisse sollen von beiden Seiten sich
möglichst symmetrisch der Achse nähern, um iu ihrem Scheitel zusammenzulaufen, und weder
durch große Vorsprünge noch Einklüftungen zerstört werden. Meisterhaft hat dieses Gesetz
Gian Bologna in seinem Ranb der Sabinerinnen beobachtet. Weniger befriedigt in dieser
Hinsicht Fedi's Gruppe, ja von hinten betrachtet, läßt sie in störender Weise ihre ganze
Masse nnd Schwere ans den Rand der Basis treten und darüber hinansragen. Stellt
man sich halbrechts vorne vor die Gruppe hiu, wie es bei der Aufnahme unseres Bildes
geschehen, so wird zwar dem Körper Polypena's durch Hekuba ein Gegengewicht entgegen-
gestellt, allein trotzdem ragt Polypena's Arm aus den Gesammtumrissen zu sehr hervor und
hätte, wenn nicht poetisch, so doch plastisch besser verwandt werden können. Auch bildet
sich zwischen Polypena's Schenkel und Pyrrhns' Knie eine eckige Lücke, die das Gewand
nnr scheinbar ausfüllt, da es wegen seiner Ueberflüssigkeit kaum bemerkt wird. Endlich
bildet des Pyrrhns Schwertgriff mit seinem Arm einen unangenehmen scharfen Winkel.
Ein zweites Ersorderniß bei einem plastischen Werke ist, daß dasselbe innerhalb seiner
Umrisse eine möglichst kompakte Masse bilde, und nicht zu viel Luft durchscheinen lasse.
Auch hiefür giebt Gian Bologna ein treffliches Muster in seinem Raub der Sabinerinneu,
während bei Fedi's Gruppe eine Lücke zwischen den Beinen des Pyrrhus abermals nur
nothdürftig mit Gewand ausgefüllt ist und von vorn rechts der Gruppe den Anschein eines
Mangels an festem Halt giebt.
Ebenso soll auch innerhalb der äußeren Umrisse eine möglichste Linienharmonie Herr-
schen. Fedi's Gruppe, von vorn gesehen, läßt zusehr eine Richtung von links nach rechts
in den Linien vorwalten, ja Hekuba's ganze Gestalt beschreibt ein gegen die Basis geneigtes
Parallelogramm.
Doch mit diesen abstrakten Liniengesetzen begnügt sich die Plastik nicht, sondern sie hat
auch Forderungen in Betreff der Anordnung und Detailausführung des darzustellenden Ge-
genstandes selbst zu erfüllen. Die Bewegungsmotive müssen klar erkannt und gesehen
werden, bei einer Gruppe darf eine Person nicht die andere verdecken, es muß nicht jede
Person einen eigenen Standpunkt verlangen, sondern womöglich sollen alle zugleich uud
von allen Seiten eine schöne Wirkung thun und klar und vollständig dem Blicke sich offen-
 
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