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Korrespondenz.
Hafte, wie es nur der strengsten historischen Stilisirung erreichbar ist, ganz einbüßt, uns in voller
Greifbarkeit unmittelbar nahe gerückt wird. Das Abscheuliche und Widerwärtige, das Gräßliche
sind aber sehr mißliche Gegenstände für die Kunst, so oft sie auch verwendet wurden; nur der strengste
Adel der Form oder der Farbe kann durch seine Harmonie uns damit einigermaßen versöhnen. Hier
hat es der Künstler mit viel Geschick durch die Farbenstimmung versucht, aber am Ende doch nur
erreicht, daß man ihm einen harmloseren Stoff wünscht. Wie ist uns doch vor lauter Geistrührig-
keit, Bildung und Kritik die fröhliche, unbefangene Lust an der Schönheit der Natur abhauden ge-
kommen! Ist das Geschlecht wirklich so verdorben, daß nur noch der stärkste Pfeffer auf unsern
abgestumpften Gaumen wirkt? Gewiß ist das nicht so, alle Welt seufzt nach frifchem, klarem
Trunk aus dem reineu Quell der Schönheit, und die Künstler bieten uns beständig Tendenz-Schnaps,
den sie für Geist halten. Die Darstellung des Gräßlichen in aller Unmittelbarkeit hat ihr Recht
im Kampf, im Krieg; ein erschoßener oder verwundeter Soldat, wie schrecklich auch sein Leiden aus-
sehe, wird nie die widerwärtige Empfindung erregen, wie ein hülflos erwürgtes, schwaches Weib;
wir werden erschüttert, zum Mitleid .hingerisseu, aber nicht empört durch etwas Unnatürliches, denn
sie sind im ehrlichen Kampfe gefallen. So ist denn auch die Wirkung der großen Scene aus der
Schlacht von Solferino von Franz Adam eine in hohem Grade ergreifende, erschütternde, da wir
auf der hinter der Fronte der Oesterreicher gewählten Scene hauptsächlich das Zurückschleppen
eines endlosen Zuges Verwundeter, also das ganze unermeßliche Elend des Krieges in der fürchter-
lichsten Nähe mit einer schauerlichen Kraft und Wahrheit geschildert sehen. Das Furchtbare dieser
Darstellung sindet aber wieder fein Gleichgewicht theils durch neben und hinter dem Zuge der Ber-
wuudeten in voller Kampfeslust anstürmende Geschützzüge und Bataillone, theils durch die heroische
Fassung der meisten Verwundeten selber, so daß uns das Ganze eben den Eindruck eines großartigen
Schicksals, einer historischen Nothwendigkeit macht, nicht einer ebenso willkürlichen wie brutalen
Abscheulichkeit. Obwohl ich nicht wüßte, daß ich jemals das Schreckliche des Krieges ergreifender,
mit mehr unmittelbarer, schonungsloser Energie geschildert gesehen hätte, als in diesem, durch die
Meisterhaftigkeit der Charakteristik so eminenten Bilde, so ist doch die Totalwirkung eine ästhetische,
wenn auch in hohem Grade tragische. Der tragische Held ist aber hier die ganze österreichische Armee,
einzelne Helden, große Charaktere giebt es nicht in dieser Schlacht und daß sie fehlen, erhöht viel-
leicht die Wirkung, denn man fühlt, daß es zufällig ist, daß man so viel Heldenmuth nnd doch keinen
Helden sieht. Unstreitig liegt darin die Tragik des Ganzen, — man ahnt gerade deshalb trotz der
Unerschrockenheit der zum Kampfe Anstürmenden doch durchaus, daß die Schlacht verloren ist; es
spricht sich selbst in der traurigen, gewitterschwülen Stimmung des Bildes aus, das sich in lauter
einzelne Episoden auflöst, die jede wieder durch ihre merkwürdig schlichte Wahrheit unsere Bewunde-
rung herausfordern, und dem Künstler unstreitig einen Hervorragenden Platz unter den anderen
Schlachtenmalern sichern, ihn den Besten ebenbürtig an die Seite stellen.
Allerdings weniger unmittelbare Wahrheit, packende Wucht, tragische Kraft zeigt eine Bataille
zwischen Polen und Türken von Brandt, dem Schüler des eben besprochenen Meisters, ein unge-
wöhnliches Talent, das hier eine wohlthuende Totalwirkung voller Lebendigkeit und malerischen Reizes
erreicht hat, obgleich wir hier noch weniger als in den vorigen Bilde an irgend einer Person einen Her-
vorragenden Antheil zu nehmen vermögen, vielmehr das Ganze mit geringer Aenderung eben so
gut ein heiteres Manöver sein könnte, da man den Feind nur fo beitäusig in der Ferne sieht. Es
war dem Künstler offenbar mehr um das Malerifche der Erscheinung zu thun als um die Entwicke-
lung von Charakteren, denn während die Charakteristik bei Adam eine haarscharfe ist, so daß wir
jeden Einzelnen schon gesehen, seine Geschichte gekannt zu haben glauben, so sehen wir hier wohl
Führer in vollster Licht- und Farbenpracht, auch keineswegs ohne Lebendigkeit und individuelle
Charakteristik, aber beides spielt doch die zweite Rolle neben dem pittoresken Reiz des ganzen
Getümmels.
Liegt hier der Nachdruck also auf der malerischen Wirkung des Ganzen, die durch ihre Schön-
heit besticht, obwohl ihr eigentlich der Ernst fehlt, fo ist der Accent bei Seitz's Peter Vischer, der dem
Besteller sein Modell zum Sebaldusgrab zeigt, mehr auf das Einzelne, Kostümliche gelegt; die
Hofen und Röcke find offenbar zu gut für die Charaktere geratheu, welche wie die Stimmung des
Korrespondenz.
Hafte, wie es nur der strengsten historischen Stilisirung erreichbar ist, ganz einbüßt, uns in voller
Greifbarkeit unmittelbar nahe gerückt wird. Das Abscheuliche und Widerwärtige, das Gräßliche
sind aber sehr mißliche Gegenstände für die Kunst, so oft sie auch verwendet wurden; nur der strengste
Adel der Form oder der Farbe kann durch seine Harmonie uns damit einigermaßen versöhnen. Hier
hat es der Künstler mit viel Geschick durch die Farbenstimmung versucht, aber am Ende doch nur
erreicht, daß man ihm einen harmloseren Stoff wünscht. Wie ist uns doch vor lauter Geistrührig-
keit, Bildung und Kritik die fröhliche, unbefangene Lust an der Schönheit der Natur abhauden ge-
kommen! Ist das Geschlecht wirklich so verdorben, daß nur noch der stärkste Pfeffer auf unsern
abgestumpften Gaumen wirkt? Gewiß ist das nicht so, alle Welt seufzt nach frifchem, klarem
Trunk aus dem reineu Quell der Schönheit, und die Künstler bieten uns beständig Tendenz-Schnaps,
den sie für Geist halten. Die Darstellung des Gräßlichen in aller Unmittelbarkeit hat ihr Recht
im Kampf, im Krieg; ein erschoßener oder verwundeter Soldat, wie schrecklich auch sein Leiden aus-
sehe, wird nie die widerwärtige Empfindung erregen, wie ein hülflos erwürgtes, schwaches Weib;
wir werden erschüttert, zum Mitleid .hingerisseu, aber nicht empört durch etwas Unnatürliches, denn
sie sind im ehrlichen Kampfe gefallen. So ist denn auch die Wirkung der großen Scene aus der
Schlacht von Solferino von Franz Adam eine in hohem Grade ergreifende, erschütternde, da wir
auf der hinter der Fronte der Oesterreicher gewählten Scene hauptsächlich das Zurückschleppen
eines endlosen Zuges Verwundeter, also das ganze unermeßliche Elend des Krieges in der fürchter-
lichsten Nähe mit einer schauerlichen Kraft und Wahrheit geschildert sehen. Das Furchtbare dieser
Darstellung sindet aber wieder fein Gleichgewicht theils durch neben und hinter dem Zuge der Ber-
wuudeten in voller Kampfeslust anstürmende Geschützzüge und Bataillone, theils durch die heroische
Fassung der meisten Verwundeten selber, so daß uns das Ganze eben den Eindruck eines großartigen
Schicksals, einer historischen Nothwendigkeit macht, nicht einer ebenso willkürlichen wie brutalen
Abscheulichkeit. Obwohl ich nicht wüßte, daß ich jemals das Schreckliche des Krieges ergreifender,
mit mehr unmittelbarer, schonungsloser Energie geschildert gesehen hätte, als in diesem, durch die
Meisterhaftigkeit der Charakteristik so eminenten Bilde, so ist doch die Totalwirkung eine ästhetische,
wenn auch in hohem Grade tragische. Der tragische Held ist aber hier die ganze österreichische Armee,
einzelne Helden, große Charaktere giebt es nicht in dieser Schlacht und daß sie fehlen, erhöht viel-
leicht die Wirkung, denn man fühlt, daß es zufällig ist, daß man so viel Heldenmuth nnd doch keinen
Helden sieht. Unstreitig liegt darin die Tragik des Ganzen, — man ahnt gerade deshalb trotz der
Unerschrockenheit der zum Kampfe Anstürmenden doch durchaus, daß die Schlacht verloren ist; es
spricht sich selbst in der traurigen, gewitterschwülen Stimmung des Bildes aus, das sich in lauter
einzelne Episoden auflöst, die jede wieder durch ihre merkwürdig schlichte Wahrheit unsere Bewunde-
rung herausfordern, und dem Künstler unstreitig einen Hervorragenden Platz unter den anderen
Schlachtenmalern sichern, ihn den Besten ebenbürtig an die Seite stellen.
Allerdings weniger unmittelbare Wahrheit, packende Wucht, tragische Kraft zeigt eine Bataille
zwischen Polen und Türken von Brandt, dem Schüler des eben besprochenen Meisters, ein unge-
wöhnliches Talent, das hier eine wohlthuende Totalwirkung voller Lebendigkeit und malerischen Reizes
erreicht hat, obgleich wir hier noch weniger als in den vorigen Bilde an irgend einer Person einen Her-
vorragenden Antheil zu nehmen vermögen, vielmehr das Ganze mit geringer Aenderung eben so
gut ein heiteres Manöver sein könnte, da man den Feind nur fo beitäusig in der Ferne sieht. Es
war dem Künstler offenbar mehr um das Malerifche der Erscheinung zu thun als um die Entwicke-
lung von Charakteren, denn während die Charakteristik bei Adam eine haarscharfe ist, so daß wir
jeden Einzelnen schon gesehen, seine Geschichte gekannt zu haben glauben, so sehen wir hier wohl
Führer in vollster Licht- und Farbenpracht, auch keineswegs ohne Lebendigkeit und individuelle
Charakteristik, aber beides spielt doch die zweite Rolle neben dem pittoresken Reiz des ganzen
Getümmels.
Liegt hier der Nachdruck also auf der malerischen Wirkung des Ganzen, die durch ihre Schön-
heit besticht, obwohl ihr eigentlich der Ernst fehlt, fo ist der Accent bei Seitz's Peter Vischer, der dem
Besteller sein Modell zum Sebaldusgrab zeigt, mehr auf das Einzelne, Kostümliche gelegt; die
Hofen und Röcke find offenbar zu gut für die Charaktere geratheu, welche wie die Stimmung des