Die französische Malerei seit 1848,
mit Berücksichtigung des Salons von 1866.
Von Julius Weyer.
III.
Her Realismus. Die Schilderung des Volks- und Aauernleöens.
Die realistische Anschauung, welche in der neuesten Malerei eine so große Rolle
spielt, hat sich insbesondere in Frankreich mit großer Schärfe und Energie ausgebildet.
Eine Richtung ist dort aufgetreten, welcher als das Wirkliche nur erscheint, was sie mit
eigenen Sinnen empfindet und anschaut; und auch hiervon gilt ihr als wahres Objekt
nur was, noch nicht von künstlicher Bildung und Sitte zersetzt, sich den Charakter derber
und franker Natur bewahrt hat. In den kleinen und niederen Kreisen des menschlichen
Daseins, zumal im Volks- und Bauernleben findet daher diese Kunstweise ihre Stoffe.
Dabei aber beschränkt sie sich nicht auf den bescheidenen Rahmen des Sittenbildes. Sou-
dern ihr gilt jene alltägliche Realität für würdig, in lebensgroßem Maßstabe verherrlicht
zu werden und an der Stelle aller mythischen Götter, aller historischen Helden den Thron
der Kunst eiuzunehmen. Ihr Grundsatz ist also, die vulgäre Wirklichkeit genau so wieder-
zugeben, wie sie dieselbe findet, in der gemeinen Gewöhnung ihres gleichförmigen Daseins,
ohne adelnde Empfindung, ohne Humor und ohne Leidenschaft. Dies aber in voller ma-
lerischer Gegenwart, im unmittelbaren Schein der Naturwahrheit, täuscheud wie aus dem
Leben herausgeschnitten. In geraden Gegensatz stellt sich folglich diese Richtung zu jeder
Ueberlieferung und akademischen Regel, sowie zum neuesten Idealismus, der doch immer
noch auf dem Rechte der schönen Gestalt als solcher besteht.
An ihrer Spitze steht bekanntlich Gustave Courbet. Auch in Deutschland ist sein
Begräbniß zu Ornans, das 1851 die Pariser Kunstwelt in Aufregung versetzte, bekannt
geworden. Mit brutaler Wucht der Erscheinung tritt hier eine der trübseligsten Sceuen
aus der Prosa des Provinzlebens vor Augen; mit trostloser Genauigkeit sind alle Fi-
guren, vom litanirenden Pfaffen und dem philiströsen Bürgermeister bis herab zu den Chor-
knaben, nach dem Leben beobachtet. Im Ausdruck überall die stumpfe Gleichgültigkeit roher
Seelen oder kleinlicher Jammer. Ganz in derselben Weise waren die übrigen Bilder, womit
der Künstler in den fünfziger Jahren immer den heftigsten Widerspruch und doch allmälig
eine kleine Partei talentvoller Anhänger fand. So die Steinklopfer, klobige Gestalten im
lumpigsten Aufzug, bei ihrer Arbeit auf staubiger Landstraße; drei Landpomeranzen in
kleinstädtischem Putz, die auf grünem Weidegrunde einer Viehmagd ein Stück Kuchen
anbieten. Doch auch wie das Nackte zu malen sei, und was der Realist nnter der Schön-
heit des menschlichen Leibes verstehe, wollte Courbet zeigeu. In den Salon von 1853
brachte er zwei badende Weiber, wovon die Eine, vom Rücken gesehen, eine so fabelhafte
Fleischmasse präsentirt, daß sogar ihre sich erst auskleidende Gefährtin eines lachenden
Staunens sich nicht erwehren kann. Auf einem anderen Bilde zwei nackte Ringer, nicht
etwa Abkömmlinge römischer Palästriten, sondern ein Paar stämmiger Kerle, die im Hippo-
drome mit ihrer Körperkraft Kunststücke treiben.
16*
mit Berücksichtigung des Salons von 1866.
Von Julius Weyer.
III.
Her Realismus. Die Schilderung des Volks- und Aauernleöens.
Die realistische Anschauung, welche in der neuesten Malerei eine so große Rolle
spielt, hat sich insbesondere in Frankreich mit großer Schärfe und Energie ausgebildet.
Eine Richtung ist dort aufgetreten, welcher als das Wirkliche nur erscheint, was sie mit
eigenen Sinnen empfindet und anschaut; und auch hiervon gilt ihr als wahres Objekt
nur was, noch nicht von künstlicher Bildung und Sitte zersetzt, sich den Charakter derber
und franker Natur bewahrt hat. In den kleinen und niederen Kreisen des menschlichen
Daseins, zumal im Volks- und Bauernleben findet daher diese Kunstweise ihre Stoffe.
Dabei aber beschränkt sie sich nicht auf den bescheidenen Rahmen des Sittenbildes. Sou-
dern ihr gilt jene alltägliche Realität für würdig, in lebensgroßem Maßstabe verherrlicht
zu werden und an der Stelle aller mythischen Götter, aller historischen Helden den Thron
der Kunst eiuzunehmen. Ihr Grundsatz ist also, die vulgäre Wirklichkeit genau so wieder-
zugeben, wie sie dieselbe findet, in der gemeinen Gewöhnung ihres gleichförmigen Daseins,
ohne adelnde Empfindung, ohne Humor und ohne Leidenschaft. Dies aber in voller ma-
lerischer Gegenwart, im unmittelbaren Schein der Naturwahrheit, täuscheud wie aus dem
Leben herausgeschnitten. In geraden Gegensatz stellt sich folglich diese Richtung zu jeder
Ueberlieferung und akademischen Regel, sowie zum neuesten Idealismus, der doch immer
noch auf dem Rechte der schönen Gestalt als solcher besteht.
An ihrer Spitze steht bekanntlich Gustave Courbet. Auch in Deutschland ist sein
Begräbniß zu Ornans, das 1851 die Pariser Kunstwelt in Aufregung versetzte, bekannt
geworden. Mit brutaler Wucht der Erscheinung tritt hier eine der trübseligsten Sceuen
aus der Prosa des Provinzlebens vor Augen; mit trostloser Genauigkeit sind alle Fi-
guren, vom litanirenden Pfaffen und dem philiströsen Bürgermeister bis herab zu den Chor-
knaben, nach dem Leben beobachtet. Im Ausdruck überall die stumpfe Gleichgültigkeit roher
Seelen oder kleinlicher Jammer. Ganz in derselben Weise waren die übrigen Bilder, womit
der Künstler in den fünfziger Jahren immer den heftigsten Widerspruch und doch allmälig
eine kleine Partei talentvoller Anhänger fand. So die Steinklopfer, klobige Gestalten im
lumpigsten Aufzug, bei ihrer Arbeit auf staubiger Landstraße; drei Landpomeranzen in
kleinstädtischem Putz, die auf grünem Weidegrunde einer Viehmagd ein Stück Kuchen
anbieten. Doch auch wie das Nackte zu malen sei, und was der Realist nnter der Schön-
heit des menschlichen Leibes verstehe, wollte Courbet zeigeu. In den Salon von 1853
brachte er zwei badende Weiber, wovon die Eine, vom Rücken gesehen, eine so fabelhafte
Fleischmasse präsentirt, daß sogar ihre sich erst auskleidende Gefährtin eines lachenden
Staunens sich nicht erwehren kann. Auf einem anderen Bilde zwei nackte Ringer, nicht
etwa Abkömmlinge römischer Palästriten, sondern ein Paar stämmiger Kerle, die im Hippo-
drome mit ihrer Körperkraft Kunststücke treiben.
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