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Die französische Malerei seit 1848.
in ihrer Eigenthümlichkeit. Insbesondere aber ist sein Kolorit in seiner zarten nnd warmen,
meistens blonden Harmonie, die doch eine lebendige Farbigkeit nicht ausschließt, von an-
sprechender Wirkung. Was ihn endlich vor vielen Meistern auszeichnet, ist die feine vollen-
dende und doch freie Hand. — Bescheidenere Vorwürfe und geringere Sterbliche behandelt
Hegösippe Vetter mit geistreicher, bisweilen leis humoristischer Auffassung und recht
natürlichem Ausdruck.
Die zierlichen Persönchen aus den wolhabenden Ständen der Rokokoperiode weiß be-
kanntlich Ernest Meissonnier so überzeugend zu schildern, wie wenn er uns durch ein
Fenster, das nur er zu öffnen versteht, mitten in das 18. Jahrhundert blicken ließe. Fast
immer faßt er sie im behaglichen Genuß eines wohl geordneten Lebens, meistens allein, sel-
tener zu Zweien oder Dreien; runde gediegene Naturen von freier und liebenswürdiger
Bewegung, glückliche Menschen in beschränktem Kreise. Sie haben eine merkwürdige Wahr-
heit der Erscheinung und das eigene Leben einer schon verflossenen Zeit. Dabei eine Fein-
heit der Ausführung, die doch Breite und Energie der Behandlung, einen zugleich kräftigen
und geschmeidigen Vortrag nicht vermissen läßt. Nur im Kolorit ist nicht die gleiche
Meisterschaft. Es fehlt oft an der harmonisch umhüllenden Luft und den vermittelnden
Halbtönen; etwas grell und trocken sind die Lokalfarben hingesetzt oder in eine graue Ton-
leiter abgeschwächt.
Doch so tüchtig die Leistungen dieser Meister sind: die intime und unbefangene Wahr-
heit der alten Holländer, den tieferen Reiz ihrer Darstellung, welche auch in das Kleinste
ein bis zum Rande gefülltes Leben legt, vermögen sie nicht zu erreichen. Dem aufmerk-
samen Auge entgeht nicht, wie hier alle Mittel berechnet und herbeigezogen sind, um eine
tänschende Realität zu Stande zu bringen: wie der Maler dieser künstlich erneuerten Welt
fremd gegenübersteht nnd weder Seinesgleichen noch ideale Gestalten schildert, die aus der
allgemeinen Phantasie des Zeitalters ein frisches Leben haben. Daher fehlt doch den Dar-
stellungen jene lebensvolle Gewißheit, jener Gnß der Erscheinung aus einem Stück, der
lediglich aus dem innigen Wechselverhältniß der künstlerischen Anschauung mit dem Stoff
hervorgehen kann. —
Noch deutlicher zeigt sich das bei einer anderen Gattung des historischen Sittenbildes,
das lediglich der neuesten Kunst angehört: bei der genrehaften Schilderung antiker
Menschen und Sitten. Wie sich's im Alterthum gelebt hat, seine Erscheinungsweise,
seine Geräthe und Gewohnheiten, die kleineren anekdotischen Vorgänge seiner Geschichte:
das wird nun — unter lautem Beifall des Publikums — von einer ganzen Klaffe von
Malern, den „Neugriechen" behandelt, an deren Spitze bekanntlich Leon Gerome steht.
Nichts mehr von der alten akademischen Zubereitung der klassischen Welt ist in dieser
Kunst. Auch hier das Bestreben nach Realität in Form, Geberde und Ausdruck, um die
Schönheit der Antike greifbar uns nahe zu bringen durch den Schein des unmittelbaren
Lebens. Die griechischen Menschen läßt Gerome sich bewegen, wie Wenn es Leute von
gewöhnlicher Art und unserer Tage wären in klassischer Verhüllung. Dennoch sollen sie
den treuen Stempel ihrer eigenen Zeit tragen; mit archäologischer Genauigkeit ist daher
alles Beiwerk, Kleidung und Hausrath, nach antiken Mustern wiedergegeben. Allein das
reicht nicht aus, der Darstellung Reiz zu geben. Dazu muß — unter klassischem Aushänge-
schild — die Schönheit des entblößten Fleisches dienen in diesem oder jenem pikanten Ver-
Hältniß, das sich zugleich ein geschichtliches Ansehen giebt. Ein Hinterthürchen hat sich hier
gefunden, die greisenhafte Lüsternheit französischer Gesittung in die Kunst einzulassen. Und
so schildert Gerome bald ein griechisches Frauenhaus (1851), bald die nackte Phrhne
vor den vergnügt bewundernden Richtern (1861), oder die von Ghges heimlich erspähte
Die französische Malerei seit 1848.
in ihrer Eigenthümlichkeit. Insbesondere aber ist sein Kolorit in seiner zarten nnd warmen,
meistens blonden Harmonie, die doch eine lebendige Farbigkeit nicht ausschließt, von an-
sprechender Wirkung. Was ihn endlich vor vielen Meistern auszeichnet, ist die feine vollen-
dende und doch freie Hand. — Bescheidenere Vorwürfe und geringere Sterbliche behandelt
Hegösippe Vetter mit geistreicher, bisweilen leis humoristischer Auffassung und recht
natürlichem Ausdruck.
Die zierlichen Persönchen aus den wolhabenden Ständen der Rokokoperiode weiß be-
kanntlich Ernest Meissonnier so überzeugend zu schildern, wie wenn er uns durch ein
Fenster, das nur er zu öffnen versteht, mitten in das 18. Jahrhundert blicken ließe. Fast
immer faßt er sie im behaglichen Genuß eines wohl geordneten Lebens, meistens allein, sel-
tener zu Zweien oder Dreien; runde gediegene Naturen von freier und liebenswürdiger
Bewegung, glückliche Menschen in beschränktem Kreise. Sie haben eine merkwürdige Wahr-
heit der Erscheinung und das eigene Leben einer schon verflossenen Zeit. Dabei eine Fein-
heit der Ausführung, die doch Breite und Energie der Behandlung, einen zugleich kräftigen
und geschmeidigen Vortrag nicht vermissen läßt. Nur im Kolorit ist nicht die gleiche
Meisterschaft. Es fehlt oft an der harmonisch umhüllenden Luft und den vermittelnden
Halbtönen; etwas grell und trocken sind die Lokalfarben hingesetzt oder in eine graue Ton-
leiter abgeschwächt.
Doch so tüchtig die Leistungen dieser Meister sind: die intime und unbefangene Wahr-
heit der alten Holländer, den tieferen Reiz ihrer Darstellung, welche auch in das Kleinste
ein bis zum Rande gefülltes Leben legt, vermögen sie nicht zu erreichen. Dem aufmerk-
samen Auge entgeht nicht, wie hier alle Mittel berechnet und herbeigezogen sind, um eine
tänschende Realität zu Stande zu bringen: wie der Maler dieser künstlich erneuerten Welt
fremd gegenübersteht nnd weder Seinesgleichen noch ideale Gestalten schildert, die aus der
allgemeinen Phantasie des Zeitalters ein frisches Leben haben. Daher fehlt doch den Dar-
stellungen jene lebensvolle Gewißheit, jener Gnß der Erscheinung aus einem Stück, der
lediglich aus dem innigen Wechselverhältniß der künstlerischen Anschauung mit dem Stoff
hervorgehen kann. —
Noch deutlicher zeigt sich das bei einer anderen Gattung des historischen Sittenbildes,
das lediglich der neuesten Kunst angehört: bei der genrehaften Schilderung antiker
Menschen und Sitten. Wie sich's im Alterthum gelebt hat, seine Erscheinungsweise,
seine Geräthe und Gewohnheiten, die kleineren anekdotischen Vorgänge seiner Geschichte:
das wird nun — unter lautem Beifall des Publikums — von einer ganzen Klaffe von
Malern, den „Neugriechen" behandelt, an deren Spitze bekanntlich Leon Gerome steht.
Nichts mehr von der alten akademischen Zubereitung der klassischen Welt ist in dieser
Kunst. Auch hier das Bestreben nach Realität in Form, Geberde und Ausdruck, um die
Schönheit der Antike greifbar uns nahe zu bringen durch den Schein des unmittelbaren
Lebens. Die griechischen Menschen läßt Gerome sich bewegen, wie Wenn es Leute von
gewöhnlicher Art und unserer Tage wären in klassischer Verhüllung. Dennoch sollen sie
den treuen Stempel ihrer eigenen Zeit tragen; mit archäologischer Genauigkeit ist daher
alles Beiwerk, Kleidung und Hausrath, nach antiken Mustern wiedergegeben. Allein das
reicht nicht aus, der Darstellung Reiz zu geben. Dazu muß — unter klassischem Aushänge-
schild — die Schönheit des entblößten Fleisches dienen in diesem oder jenem pikanten Ver-
Hältniß, das sich zugleich ein geschichtliches Ansehen giebt. Ein Hinterthürchen hat sich hier
gefunden, die greisenhafte Lüsternheit französischer Gesittung in die Kunst einzulassen. Und
so schildert Gerome bald ein griechisches Frauenhaus (1851), bald die nackte Phrhne
vor den vergnügt bewundernden Richtern (1861), oder die von Ghges heimlich erspähte