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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Teichlein, Anton: Betrachtungen über Dr. H. Riegel's Buch: "Cornelius, der Meister der deutschen Malerei"[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0176

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134 Betrachtungen über Vr. H. Riegel's Buch: „Cornelius, der Meister der deutschen Malerei".

und der Bibel vorerst abgezogen und zu Homer und den hellenischen Tragikern gewiesen wurde. —
Denn „die Ueberlieserungen des Alterthums, sagt sein Biograph mit Recht, bringen uns die er-
habenste Poesie bereits in vollkommenster Ausgestaltung des Stosses entgegen." Und dies
war in der That der große Dienst, den nach unserm Dafürhalten keine andere Stossreihe in gleichem
Maße wie die antike ihm leisten konnte, daß die Götter und Helden der Glyptothek seinen urkräftigen
Genius zwangen, sich in die Bedingungen einer „fertigen Welt" zu fügen. Und schwellen ihm
auch hier in Behandlung des Nackten die Formen über das Maß antiker Schönheit hinaus zu einem
michelangelesken Kraftanfwande, welcher, wie man ihm so oft nachgesagt hat, womöglich noch einige
Muskeln mehr aufbieten möchte, als dem menschlichen Leibe zu Gebote stehen; — und fließen auch
hier nicht immer die Gewandungen mit griechischer Geschmeidigkeit: in einem Punkte wenigstens hat
er sich hier immerhin mit echt künstlerischem Maße, echt klassischer Einfachheit und Klarheit als ein
Meister gezeigt, dessen schwungvolle, himmelstürmende Seele auch weiser Selbstbeschränkung mächtig
ist, nämlich in der Konception der cyklischen Bildergesammtheit und der unvergleichlichen Schön-
heit ihrer Gliederung und Raumtheilung. Diesen Punkt weiß auch Riegel, wie es nicht
anders zu erwarten war, vollkommen zu würdigen, und wir widersprechen ihm nicht, wenn er ge-
radezu (S. 92) sagt: Die Raumtheilung der Glyptothek ist von so wunderbarer Eurhythmie, von
solcher Strenge des Stiles, das selbst unter den Meisterwerken italienischer Monumentalmalerei sich
ihres Gleichen kaum finden könnte." Unserm Gefühle nach mag dies insbesondere vom Göttersaale
gelten, den wir seinem Totaleindrucke nach für den vorzüglicheren halten. Nicht minder klar und
organisch gedacht, aber weniger schön hinsichtlich der Raumtheilung erscheint uns der Heldensaal,
wo der Nibelungenrecke, dem die Gestalten und also auch die Malflächen nicht leicht kolossal genug
sind, selbst was die Raumverhältnisse anbelangt, wieder einigermaßen sich Platz macht. Doch dies
sind Nebenbemerkungen. Die Glyptothek ist und bleibt uns, wir wiederholen es, das klassischste
Werk neuerer Monumentalmalerei.
Nach alledem wird man nun vielleicht erwarten, daß wir dem Biographen anch beistimmen,
wenn er in eben dieser „strengeren Theilung des Raumes und einer glücklicheren Füllung der ein-
zelnen Räume durch die Komposition iu der Glyptothek" uubedingt ,,das neue Element des all-
gemein künstlerischen Fortschrittes" erkennen will (S. 93). Und doch könnten wir ihm hierin
nur sehr bediugt beipflichten. Für's Erste ist die ganze Behauptung nur zur Hälfte zuzugeben,
nämlich hinsichtlich der Raumtheilung. Daß Cornelins aber auch glücklicher in der Füllung
der einzelnen Räume durch die Kompositiou sei als die Alten, das möchte denn doch eine gar zu
kühue Auuahme seines Panegyrikers sein. Mag er ihnen in diesem Bezug nicht selten gleich stehen,
übertroffen hat er sie schwerlich — ,,denn wer vermöchte Rafsael zu übertreffen!" — Gesetzt
aber auch, wir wollteu die ganze Behauptung einräumen, so gilt es doch noch immer die Tragweite
dieses neuen Elementes des allgemein künstlerischen Fortschrittes vorsichtig zu ermessen und seine
Konsequenzen zu prüfen, wobei sich denn leicht herausstellen könnte, daß der vermeintliche und in
einer Richtung nicht zu bestreiteude Fortschritt, nach einer andern und zwar nach der wesentlichsten
Seite in der künstlerischen Praxis nahezu unvermeidlich einen Rückschritt zur Folge habe. Es gilt
hier keine leichte Auseinandersetzung. Um der Sache ans den Grund zu kommen, haben wir aber
von den Riegel'schen Ausführungen auch uoch iu Betracht zu zieheu, was wir bis jetzt geflissentlich
bei Seite ließen: das Ideelle des Vorgangs.
Des Verfassers ganz richtige Bemerkungen über die unvergleichliche „Raumtheilung nnd
Eurhythmie" der Glyptothek fließen selbstverständlich ans der an und für sich gleich richtigen Er-
kenntniß, daß all diese Wahlordnung von innen heraus geschasfeu, d. H. dem großen Gedanken des
Ganzen, der sinnvollen Gruppirung seiner Glieder und den Feinheiten ihrer geistigen Wechselbezüge
entsprungen ist. In soweit sind wir natürlich ganz seiner Meinung. Nun folgt aber der gewagte
Vergleich mit den Alten und der darauf gebaute Schluß, seine Lehre vom neuen Element des
allgemein künstlerischen Fortschrittes, die wir untersuchen wollen. S. 92 und 93 ist Folgendes
zu lesen:
„Der Charakter der Decke in der Sixtina wie der Fresken in der Farnesina ist ein anderer; Corne-
lius war in seiner Glyptothek der Composition nach strenger und ruhiger als dort Michelangelo, der gei-
 
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