Necensionen.
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eine solche Knnstweise, bei aller Wucht des Genius, bei aller Unerschöpflichkeit echt phantasievoller
Erfindung, womit sie aus der Klaue des Löwen hevorgegangen ist, unvermerkt einem allerdings
neuen, dem Charakter unserer Nation und Zeit entsprechenden Elemente das Uebergewicht giebt,
nämlich der Reflexion, das liegt denn doch wohl klar zu Tage. Somit vermögen wir das be-
wußte neue Element des allgemein künstlerischen Fortschrittes nicht mehr viel anders aufzufassen,
denn als ein Zeichen der Zeit, — einer Zeit, die eben nicht mehr jener ideellen Anspruchslosigkeit
fähig war, welcher nach der oben ausgesprochenen Ansicht die ideale Formvollendung jener Meister
der früheren „Heiteren" Denkungsart ihr Dasein verdankt. Aus ebeu diesem veränderten Zeit-
charakter und seiner gesteigerten Gedankenhaftigkeit erklären wir uns also nichts anderes, als die
sonst kanm begreifliche Erfcheinung, daß ein fo unzweifelhaft gewaltiger Bildnergeist, ein so aus-
dauernd nach dem Höchsten ringender Künstler wie Cornelius eine Unvollkommenheit der Form an
sich hat, die wir nur um so härter empfinden, zn je reineren Höhen fein dichterischer Schwung uns
fortreißt, und je empfindlicher für Schönheit uns die Tadellosigkeit seiner chklifchen Gesammtgestal-
tungen selbst gestimmt hat.
Rerensionen.
Winckelmann. Sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen. Bon Karl Justi.
Erster Baud. Leipzig, F. C. W. Vogel. 1866.
Ueber die Studien Winckelmanns in seiner vorrömischen Zeit. Bou Karl Justi. In
Friedr, v. Raumer's historischem Taschenbuch. Vierte Folge. Siebenter Jahrgang. Leipzig.
Brockhaus. 1865.
Eiu Jahrhundert ist mit nächstem Jahre verflossen, seitdem Winckelmann der Welt durch ein
tragisches Geschick entrissen wurde und nnn auf deutschem Boden noch, hart an der Gränze Italiens
ruht. Bis jetzt besaßen wir keine Lebens- nnd Geistesgeschichte von ihm, die nnr annähernd
den Forderungen historischer Kunst, dem Reize eines so vielfach dunkeln und räthselhaften Lebens,
wie es in Winckelmann gegeben war, endlich der ganzen umfassenden Bedeutung des Begründers der
alten und überhaupt der Kunstgeschichte, zugleich eines deutschen Klassikers entsprach. Goethe's und
seiner Freunde Schrift ans dem Jahre 1805: „Winckelmann und fein Jahrhundert" ist das Be-
deutendste geblieben, was über ihn veröffentlicht war und auch diese „Skizzen zu einer Schilderung
Winckelmann's" sind nur die Hälfte des entworfeueu Ganzen. Glücklich wenigstens, daß uns Goethe's
eigene, in kurzen Abschnitten niedergelegte Betrachtungen über den ihm so verwandten Geist gegeben
wurden und daß wir seinen herrlichen Schlußworten als dauernder Mahnung noch heute lauschen
können, wenn er ausspricht: „Nun genießt er im Andenken der Nachwelt den Bortheil als ein ewig
Tüchtiger und Kräftiger zu erscheinen, denn in der Gestalt, wie der Mensch die Erde verläßt, wandelt
er unter den Schatten und so bleibt uns Achill als ewig strebender Jüngling gegenwärtig. Daß Winckel-
mann früh hinwegschied, kommt auch uns zu Gute. Bou seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner
Kraft und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begann, mit Eifer und Liebe fort und
immer fortznsetzen." Unter den mannigfachen Reden, die Winckelmann's Andenken diesfeits und
jenseits der Alpen an dem Tage seiner Geburt, dem 9. December gefeiert Haben und gedruckt wurden,
nimmt unstreitig Otto Jahn's Rede, in Greifswalde 1844 gedruckt und ganz kürzlich in feinen bio-
graphischen Aufsätzen (Leipzig 1866) einem größeren Publikum neu dargeboteu, durch Frische und
seine Charakterisirung eine hervorragende Stelle ein.
In Or. KarlJusti, einem jungen Gliede jener bekannten Marburger Gelehrtenfamilie, ist nun
aber jetzt für Winckelmann ein Biograph erstanden, dessen sich die deutsche Nation wahrhast freuen kann
und durch dessen in dem ersten Theile uns vorliegendes Werk die Gestalt des bisher mehr verehrungs-
voll genannten als gekannten und noch weniger in seinen Werken von der deutschen gebildeten Welt
studirten Mannes auf dem reichen Hintergründe der Geistesgefchichte des vorigen Jahrhunderts be-
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eine solche Knnstweise, bei aller Wucht des Genius, bei aller Unerschöpflichkeit echt phantasievoller
Erfindung, womit sie aus der Klaue des Löwen hevorgegangen ist, unvermerkt einem allerdings
neuen, dem Charakter unserer Nation und Zeit entsprechenden Elemente das Uebergewicht giebt,
nämlich der Reflexion, das liegt denn doch wohl klar zu Tage. Somit vermögen wir das be-
wußte neue Element des allgemein künstlerischen Fortschrittes nicht mehr viel anders aufzufassen,
denn als ein Zeichen der Zeit, — einer Zeit, die eben nicht mehr jener ideellen Anspruchslosigkeit
fähig war, welcher nach der oben ausgesprochenen Ansicht die ideale Formvollendung jener Meister
der früheren „Heiteren" Denkungsart ihr Dasein verdankt. Aus ebeu diesem veränderten Zeit-
charakter und seiner gesteigerten Gedankenhaftigkeit erklären wir uns also nichts anderes, als die
sonst kanm begreifliche Erfcheinung, daß ein fo unzweifelhaft gewaltiger Bildnergeist, ein so aus-
dauernd nach dem Höchsten ringender Künstler wie Cornelius eine Unvollkommenheit der Form an
sich hat, die wir nur um so härter empfinden, zn je reineren Höhen fein dichterischer Schwung uns
fortreißt, und je empfindlicher für Schönheit uns die Tadellosigkeit seiner chklifchen Gesammtgestal-
tungen selbst gestimmt hat.
Rerensionen.
Winckelmann. Sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen. Bon Karl Justi.
Erster Baud. Leipzig, F. C. W. Vogel. 1866.
Ueber die Studien Winckelmanns in seiner vorrömischen Zeit. Bou Karl Justi. In
Friedr, v. Raumer's historischem Taschenbuch. Vierte Folge. Siebenter Jahrgang. Leipzig.
Brockhaus. 1865.
Eiu Jahrhundert ist mit nächstem Jahre verflossen, seitdem Winckelmann der Welt durch ein
tragisches Geschick entrissen wurde und nnn auf deutschem Boden noch, hart an der Gränze Italiens
ruht. Bis jetzt besaßen wir keine Lebens- nnd Geistesgeschichte von ihm, die nnr annähernd
den Forderungen historischer Kunst, dem Reize eines so vielfach dunkeln und räthselhaften Lebens,
wie es in Winckelmann gegeben war, endlich der ganzen umfassenden Bedeutung des Begründers der
alten und überhaupt der Kunstgeschichte, zugleich eines deutschen Klassikers entsprach. Goethe's und
seiner Freunde Schrift ans dem Jahre 1805: „Winckelmann und fein Jahrhundert" ist das Be-
deutendste geblieben, was über ihn veröffentlicht war und auch diese „Skizzen zu einer Schilderung
Winckelmann's" sind nur die Hälfte des entworfeueu Ganzen. Glücklich wenigstens, daß uns Goethe's
eigene, in kurzen Abschnitten niedergelegte Betrachtungen über den ihm so verwandten Geist gegeben
wurden und daß wir seinen herrlichen Schlußworten als dauernder Mahnung noch heute lauschen
können, wenn er ausspricht: „Nun genießt er im Andenken der Nachwelt den Bortheil als ein ewig
Tüchtiger und Kräftiger zu erscheinen, denn in der Gestalt, wie der Mensch die Erde verläßt, wandelt
er unter den Schatten und so bleibt uns Achill als ewig strebender Jüngling gegenwärtig. Daß Winckel-
mann früh hinwegschied, kommt auch uns zu Gute. Bou seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner
Kraft und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begann, mit Eifer und Liebe fort und
immer fortznsetzen." Unter den mannigfachen Reden, die Winckelmann's Andenken diesfeits und
jenseits der Alpen an dem Tage seiner Geburt, dem 9. December gefeiert Haben und gedruckt wurden,
nimmt unstreitig Otto Jahn's Rede, in Greifswalde 1844 gedruckt und ganz kürzlich in feinen bio-
graphischen Aufsätzen (Leipzig 1866) einem größeren Publikum neu dargeboteu, durch Frische und
seine Charakterisirung eine hervorragende Stelle ein.
In Or. KarlJusti, einem jungen Gliede jener bekannten Marburger Gelehrtenfamilie, ist nun
aber jetzt für Winckelmann ein Biograph erstanden, dessen sich die deutsche Nation wahrhast freuen kann
und durch dessen in dem ersten Theile uns vorliegendes Werk die Gestalt des bisher mehr verehrungs-
voll genannten als gekannten und noch weniger in seinen Werken von der deutschen gebildeten Welt
studirten Mannes auf dem reichen Hintergründe der Geistesgefchichte des vorigen Jahrhunderts be-