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Necensionen.
in fortwährendem Steigen sich befand, endlich unter August II. (dem Starken), unter Friedrich
August (August III.) ihreu Höhepunkt erreichte und auch in dem nur kurz regierenden Friedrich
Christian, dem eigentlichen Gönner Winckelmann's, lebhaft sich bethätigte. August der Starke,
von- Justi treffend mit dem Herzog Philipp von Orleans verglichen, durchaus Virtuos in seiner Er-
scheinung, entwirft felbst die Pläne feiner in Kunstwuth Hervorgezauberten Paläste, Höfe, Gär-
ten; er vertritt zugleich ganz den französischen Geschmack und verpflanzt aus Frankreich die
Schüler eines Lebrun, Lenotre als fremde Kolonie nach Dresden. Sein Nachfolger ist selbst
specieller Kenner der Malerei und des Kupferstiches, unter ihm sammelt sich jener Gemäldefchatz,
der noch heute Dresden über alle deutschen Residenzen erhebt; nun sind es aber die Italiener,
die in großer Zahl berufen werden, darunter besonders auch Bildhauer aus der Schule Bernini's.
Friedrich Christian hat mit dem Studium des Griechischen das entschiedenste Interesse für die
Antike und unter ihm wird die lange vorbereitete Kunstakademie wirklich gegründet, bei deren Jubel-
feier die inhaltreiche Schrift von Wießner (Die Akademie der bildenden Künste zu Dresden, 1864)
erschien, auch für unfern Verf. eine wichtige Ouelle seiner Nachrichten.
Justi schildert uns die Werke des Barockstiles zu Dresden in meisterhafter Weise, so den
Zwinger S. 256, diesen „Ballsaal, in den das Morgenlicht einbricht", diese „seierliche Polonaise
von Arkaden, die von Zeit zu Zeit in den Pavillons in einen bacchantischen Walzer hineingerissen
wird, aus dessen Tumult uus possenhafte Satyrfratzen angrinsen". Aber wir freuen uns auch mit
ihm des Fortschrittes und Gegensatzes zugleich an der Frauenkirche mit ihrer grandiosen einfachen
Kuppel, an dem japanischen Palais, an den Werken des Crubsacius gegenüber dem letzten groß-
artigen Vorposten des italienischen Jesuitenstiles in der Hofkirche ans nordischem Boden.
Die Gesichtspunkte, unter denen eine Sammlung wie die Dresdner und überhaupt die Gale-
rien früherer Zeit zusammengebracht wurden, stellt der Verf. S. 283 scharf den heutigen kunstge-
schichtlichen entgegen: „Unsere ernste, tiefsinnige, grüblerische Kritik, welche an die Kunst lauter
Gewisfensfragen stellt, hat vielleicht Recht, aber zugestehen muß man, daß sich grübelnder Ernst
mit Genuß schwer verträgt. Zum Genuß gehört Leichtigkeit des Lebens und Denkens. Das
Bedürfniß und die Fähigkeit des Genusses machte jeue Zeit zur klassischen Zeit der Galerien."
Winckelmann's Auge hat sich so recht vollgesogen an dem Anblick der Dresdner Gemäldegalerie
und er hat zuerst mit beredten Worten die Siptina Nasfael's, diesen eben aufgestellten, aber nur
von Wenigen gewürdigten Schatz gepriesen. Aber wie klein war verhältnißmäßig gegen diese Ge-
mäldereihe die Zahl der in Dresden vereinten und wirklich sichtbaren Antiken, und was hat er mit
diesen wenigen Werken, besonders den Herkulanerinnen, mit der sogen. Agrippina und einem Gyps-
abguß des Laokoon anzufangen gewußt? Wahrlich ein beschämendes Gefühl beschleicht uns, die
wir in den großen Hauptstädten Deutschlands bequem durch die Fülle der Gypsabgüsse aller Stile,
durch zahlreiche Autiken in wahren Prachtsälen schlendern und deren selbst eine kleine Universitäts-
stadt eine viel größere Zahl von Anschauungen darin bietet, als damals in Dresden der Schuppen
des Dresdner Großen Gartens mit seinen wie Heringe zusammengepackten Antiken!
Zu deu Kuustmäceueu, Küustleru und Kuustwerkeu treten als einflußreiche Mächte die Kunst-
kenner, Kunstforscher und Kuustlehrer hinzu, um die Kunstatmosphäre zu bestimmen und vor
Allem sind sie nns interessant, wenn es sich darum handelt, den Begründer der Kunstgeschichte in
seiner Entwickelung zu fassen. Dresden war nicht arm an solchen, vor allem nicht arm an deutschen
Kräften bedeutsamer Art. Au den vielseitigen Graf Algarotti und an den Stadtgouverneur Graf
Wackerbart reiht sich der einflußreiche Liebling des Grafen Brühl, K. H. von Heineken, eine
diktatorische Natur, der Schöpfer eines Planes für Kupferstichfammlungen, doch von bewunderns-
werther Fülle der Kenntnisfe, des Gegners unseres Winckelmann, weiter der reine Techniker
Mathias Oesterreich, der Galerieinspektor. In dem Legationsrath Christian Ludwig v. Hage-
dorn, dem „theuersten Freunde" Winckelmann's, lernen wir eine edle, friedfertige Persönlichkeit,
einen geschickten Kunstdilettanten und Sammler, vor allem aber den feinsinnigen, ersten deutschen
Schriftsteller — freilich zuerst auch in französischer Sprache — über die Malerei kennen, in dem
neben der Winckelmann ganz parallel gehenden Richtung auf Schönheit, auf einfache Größe, der
Necensionen.
in fortwährendem Steigen sich befand, endlich unter August II. (dem Starken), unter Friedrich
August (August III.) ihreu Höhepunkt erreichte und auch in dem nur kurz regierenden Friedrich
Christian, dem eigentlichen Gönner Winckelmann's, lebhaft sich bethätigte. August der Starke,
von- Justi treffend mit dem Herzog Philipp von Orleans verglichen, durchaus Virtuos in seiner Er-
scheinung, entwirft felbst die Pläne feiner in Kunstwuth Hervorgezauberten Paläste, Höfe, Gär-
ten; er vertritt zugleich ganz den französischen Geschmack und verpflanzt aus Frankreich die
Schüler eines Lebrun, Lenotre als fremde Kolonie nach Dresden. Sein Nachfolger ist selbst
specieller Kenner der Malerei und des Kupferstiches, unter ihm sammelt sich jener Gemäldefchatz,
der noch heute Dresden über alle deutschen Residenzen erhebt; nun sind es aber die Italiener,
die in großer Zahl berufen werden, darunter besonders auch Bildhauer aus der Schule Bernini's.
Friedrich Christian hat mit dem Studium des Griechischen das entschiedenste Interesse für die
Antike und unter ihm wird die lange vorbereitete Kunstakademie wirklich gegründet, bei deren Jubel-
feier die inhaltreiche Schrift von Wießner (Die Akademie der bildenden Künste zu Dresden, 1864)
erschien, auch für unfern Verf. eine wichtige Ouelle seiner Nachrichten.
Justi schildert uns die Werke des Barockstiles zu Dresden in meisterhafter Weise, so den
Zwinger S. 256, diesen „Ballsaal, in den das Morgenlicht einbricht", diese „seierliche Polonaise
von Arkaden, die von Zeit zu Zeit in den Pavillons in einen bacchantischen Walzer hineingerissen
wird, aus dessen Tumult uus possenhafte Satyrfratzen angrinsen". Aber wir freuen uns auch mit
ihm des Fortschrittes und Gegensatzes zugleich an der Frauenkirche mit ihrer grandiosen einfachen
Kuppel, an dem japanischen Palais, an den Werken des Crubsacius gegenüber dem letzten groß-
artigen Vorposten des italienischen Jesuitenstiles in der Hofkirche ans nordischem Boden.
Die Gesichtspunkte, unter denen eine Sammlung wie die Dresdner und überhaupt die Gale-
rien früherer Zeit zusammengebracht wurden, stellt der Verf. S. 283 scharf den heutigen kunstge-
schichtlichen entgegen: „Unsere ernste, tiefsinnige, grüblerische Kritik, welche an die Kunst lauter
Gewisfensfragen stellt, hat vielleicht Recht, aber zugestehen muß man, daß sich grübelnder Ernst
mit Genuß schwer verträgt. Zum Genuß gehört Leichtigkeit des Lebens und Denkens. Das
Bedürfniß und die Fähigkeit des Genusses machte jeue Zeit zur klassischen Zeit der Galerien."
Winckelmann's Auge hat sich so recht vollgesogen an dem Anblick der Dresdner Gemäldegalerie
und er hat zuerst mit beredten Worten die Siptina Nasfael's, diesen eben aufgestellten, aber nur
von Wenigen gewürdigten Schatz gepriesen. Aber wie klein war verhältnißmäßig gegen diese Ge-
mäldereihe die Zahl der in Dresden vereinten und wirklich sichtbaren Antiken, und was hat er mit
diesen wenigen Werken, besonders den Herkulanerinnen, mit der sogen. Agrippina und einem Gyps-
abguß des Laokoon anzufangen gewußt? Wahrlich ein beschämendes Gefühl beschleicht uns, die
wir in den großen Hauptstädten Deutschlands bequem durch die Fülle der Gypsabgüsse aller Stile,
durch zahlreiche Autiken in wahren Prachtsälen schlendern und deren selbst eine kleine Universitäts-
stadt eine viel größere Zahl von Anschauungen darin bietet, als damals in Dresden der Schuppen
des Dresdner Großen Gartens mit seinen wie Heringe zusammengepackten Antiken!
Zu deu Kuustmäceueu, Küustleru und Kuustwerkeu treten als einflußreiche Mächte die Kunst-
kenner, Kunstforscher und Kuustlehrer hinzu, um die Kunstatmosphäre zu bestimmen und vor
Allem sind sie nns interessant, wenn es sich darum handelt, den Begründer der Kunstgeschichte in
seiner Entwickelung zu fassen. Dresden war nicht arm an solchen, vor allem nicht arm an deutschen
Kräften bedeutsamer Art. Au den vielseitigen Graf Algarotti und an den Stadtgouverneur Graf
Wackerbart reiht sich der einflußreiche Liebling des Grafen Brühl, K. H. von Heineken, eine
diktatorische Natur, der Schöpfer eines Planes für Kupferstichfammlungen, doch von bewunderns-
werther Fülle der Kenntnisfe, des Gegners unseres Winckelmann, weiter der reine Techniker
Mathias Oesterreich, der Galerieinspektor. In dem Legationsrath Christian Ludwig v. Hage-
dorn, dem „theuersten Freunde" Winckelmann's, lernen wir eine edle, friedfertige Persönlichkeit,
einen geschickten Kunstdilettanten und Sammler, vor allem aber den feinsinnigen, ersten deutschen
Schriftsteller — freilich zuerst auch in französischer Sprache — über die Malerei kennen, in dem
neben der Winckelmann ganz parallel gehenden Richtung auf Schönheit, auf einfache Größe, der