Winckelmann. Bon Karl Justi.
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specisische Natursinn und die volle Empfänglichkeit für nordisches, bürgerliches Wesen in der male-
rischen Darstellung uns wohlthuend aumuthet. Und nun wieder Philipp Daniel Lippert, dies
Dresdner Bürgerkind, erst Glaserlehrling, dann in langer Lernzeit in der Dresdner Porzellanfabrik
und endlich Zeichnenmeister für das Artilleriecorps, auf einmal ganz erfüllt von Bewunderung für
die Antike in ihrer kleinsten Ausprägung, dem geschnittenen Stein, nun ein eifriger Sammler gewor-
den, noch mehr ein vortrefflicher Nachbildner der Gemmen im neuen Stoffe! Er fetzt sich selbst bin,
den erklärenden Katalog zu schreiben, läßt sich sein mangelhaftes Latein von Prof. Christ corrigiren,
nicht für die Gelehrten wird gearbeitet, sondern „zum Nutzen der schönen Künste und Künstler".
Er freut sich im Geiste, nun den Knaben der Lateinschulen ein Hülfsmittel in die Hände zu geben,
um die schwersten Autoren damit leicht zu versteheu. Niemand hat schließlich unter all diesen einen
größeren Einfluß auf Wiuckelmaun geübt, als sein Zeichueulehrer und freundlicher Hauswirth, seit-
dem er Nöthemtz verlassen, der Maler Ad. Friedr. Oeser. Die Beurtheilung Oeser's ist dadurch
so leicht schief und ungerecht, daß man die warmen, ja begeisterten Worte über ihn und fein Talent
aus dem Munde eines Winckelmann, später eines Goethe, der ihm ein Jahrzehnt und mehr später
so viel an Anregung und technischem Unterricht verdankte, einfach vergleicht mit seinen Malereien
in Leipziger Kirchen und Häusern, mit seinen Werken, die durchaus als Entwürfe, vorläufige
Dekoration gehalten, nur „Morgen- oder Abenddämmerungen" zu sein scheinen. Oeser's Bedeu-
tung liegt in dem ausgezeichneten Lehrtalent, in jener Gabe, Gemälde klar und anschaulich in
ihrer Schönheit ;n machen, in dem energischen Hinweis auf Einfachheit, Ruhe und zugleich auf das
Gedankenhafte, in jener rastlosen, überall helfend eingreifenden Thätigkeit des Dekorationszeichnens
der Muster und Entwürfe. In O. Iahn's oben erwähnten biographischen Aufsätzen ist der über-
Oeser mit Jufti's Darstellung zusammenzustellen.
Aus dem Leben mit diesen Kunstfreunden und für sie zunächst bestimmt ging die erste Schrift
Winckelmanns hervor, das Erstlingswerk im achtunddreißigsten Lebensjahr, zugleich die ruhmvolle
Einführung als eines Schriftstellers ersten Ranges und der Abschied an die deutsche Heimath, die
er zu verlasseu im Begriff staud. Justi hat die Schrift „Ueber die Nachahmung der griechi-
schen Werke in der Bildhauerkunst und Malerei" mit ihren Anhängen einer sehr eingehenden Be-
trachtung unterworfen (S. 382 — 445), nach Entstehung, Tendenz und Inhalt, Fremdem und
Eigenem, ihrem Stil, ihrer Ausnahme im Publikum; er hat sie scharf kritisirt in ihrem Abschnitte
über die Allegorie als den Kunstinhalt und in dem von W. gemachten technischen Vorschläge, das
Modell ans den Marmor zu übertragen, wobei die betreffende Stelle in Vasari über Michelangelos
Weise erst zum vollen Verständniß gebracht wird und das angenommene Verfahren als ein bildlicher
Vergleich sich erweist. Wir müssen uns versagen, hier auf einzelne Fragen und Bedenken unserer-
seits näher einzugehen, sondern nehmen mit dem Verf. im „Rückblick" Abschied von dem Winckelmann
diesseits der Alpen, mit dem Eindrücke einer wahrhaft spontanen Natur, welche die große Maxime:
„bleibe dir selbst treu", „eigeneu Sinn laß dir nicht rauben" trotz aller Widerwärtigkeiten und Ver-
lockungen an sich bewährt hat. Ja „in Winckelmann's Werken brennt eine stille, unvergängliche
Flamme, an der sich noch immer, wie dazumal, als er alle Leser mit sich fortriß, das höhere Ver-
stäudniß und die Liebe der alten Kunst entzünden kann". Daß diese Flamme neu angefacht werde,
dazu hat der Verf. dieses Werkes das Seine schon beigetragen und wird es in noch reicherem Maße
bei der Fortsetzung desselben thuu, nachdem er auf dem Boden Italiens selbst den Spuren des
Winckelmann'schen Geistes mit derselben Liebe und demselben Glücke nachgegangen sein wird.
Das schöne Werk ist aber auch mit schätzenswerthen Beigaben ausgestattet, mit einer werthvollen
Auslese aus dem haudschriftlichen Materiale für diese Lebensperiode, mit einem gelungenen Stiche
von Rudolf Rahn nach Winckelmann's Bilde von Angelika Kaufmann, das sich in dem Museum zu
Zürich jetzt befindet und drittens mit einem Vortrag Justi's über Laokoon (S. 450—477). Au dem
historischen Faden der Beurtheilungen des Laokoon von Winckelmann und Lessing bis zu den neue-
sten Verurtheilern derselben führt der Vers, uns vor allem die gänzliche Veränderung des zu Grunde
gelegten Maßstabes vor Augen, leitet aber zugleich über zu seiner feinsinnigen Beurtheilung und
beantwortet sich die Frage: „Was War der Laokoon in der hellenischen Kunst selbst?" mit den
Worten: „Der letzte Punkt, zu dem sie im Durchlaufeu des ihr bestimmten Kreises im Streben
Zeitschrift für bildende Kunst. II. 1g
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specisische Natursinn und die volle Empfänglichkeit für nordisches, bürgerliches Wesen in der male-
rischen Darstellung uns wohlthuend aumuthet. Und nun wieder Philipp Daniel Lippert, dies
Dresdner Bürgerkind, erst Glaserlehrling, dann in langer Lernzeit in der Dresdner Porzellanfabrik
und endlich Zeichnenmeister für das Artilleriecorps, auf einmal ganz erfüllt von Bewunderung für
die Antike in ihrer kleinsten Ausprägung, dem geschnittenen Stein, nun ein eifriger Sammler gewor-
den, noch mehr ein vortrefflicher Nachbildner der Gemmen im neuen Stoffe! Er fetzt sich selbst bin,
den erklärenden Katalog zu schreiben, läßt sich sein mangelhaftes Latein von Prof. Christ corrigiren,
nicht für die Gelehrten wird gearbeitet, sondern „zum Nutzen der schönen Künste und Künstler".
Er freut sich im Geiste, nun den Knaben der Lateinschulen ein Hülfsmittel in die Hände zu geben,
um die schwersten Autoren damit leicht zu versteheu. Niemand hat schließlich unter all diesen einen
größeren Einfluß auf Wiuckelmaun geübt, als sein Zeichueulehrer und freundlicher Hauswirth, seit-
dem er Nöthemtz verlassen, der Maler Ad. Friedr. Oeser. Die Beurtheilung Oeser's ist dadurch
so leicht schief und ungerecht, daß man die warmen, ja begeisterten Worte über ihn und fein Talent
aus dem Munde eines Winckelmann, später eines Goethe, der ihm ein Jahrzehnt und mehr später
so viel an Anregung und technischem Unterricht verdankte, einfach vergleicht mit seinen Malereien
in Leipziger Kirchen und Häusern, mit seinen Werken, die durchaus als Entwürfe, vorläufige
Dekoration gehalten, nur „Morgen- oder Abenddämmerungen" zu sein scheinen. Oeser's Bedeu-
tung liegt in dem ausgezeichneten Lehrtalent, in jener Gabe, Gemälde klar und anschaulich in
ihrer Schönheit ;n machen, in dem energischen Hinweis auf Einfachheit, Ruhe und zugleich auf das
Gedankenhafte, in jener rastlosen, überall helfend eingreifenden Thätigkeit des Dekorationszeichnens
der Muster und Entwürfe. In O. Iahn's oben erwähnten biographischen Aufsätzen ist der über-
Oeser mit Jufti's Darstellung zusammenzustellen.
Aus dem Leben mit diesen Kunstfreunden und für sie zunächst bestimmt ging die erste Schrift
Winckelmanns hervor, das Erstlingswerk im achtunddreißigsten Lebensjahr, zugleich die ruhmvolle
Einführung als eines Schriftstellers ersten Ranges und der Abschied an die deutsche Heimath, die
er zu verlasseu im Begriff staud. Justi hat die Schrift „Ueber die Nachahmung der griechi-
schen Werke in der Bildhauerkunst und Malerei" mit ihren Anhängen einer sehr eingehenden Be-
trachtung unterworfen (S. 382 — 445), nach Entstehung, Tendenz und Inhalt, Fremdem und
Eigenem, ihrem Stil, ihrer Ausnahme im Publikum; er hat sie scharf kritisirt in ihrem Abschnitte
über die Allegorie als den Kunstinhalt und in dem von W. gemachten technischen Vorschläge, das
Modell ans den Marmor zu übertragen, wobei die betreffende Stelle in Vasari über Michelangelos
Weise erst zum vollen Verständniß gebracht wird und das angenommene Verfahren als ein bildlicher
Vergleich sich erweist. Wir müssen uns versagen, hier auf einzelne Fragen und Bedenken unserer-
seits näher einzugehen, sondern nehmen mit dem Verf. im „Rückblick" Abschied von dem Winckelmann
diesseits der Alpen, mit dem Eindrücke einer wahrhaft spontanen Natur, welche die große Maxime:
„bleibe dir selbst treu", „eigeneu Sinn laß dir nicht rauben" trotz aller Widerwärtigkeiten und Ver-
lockungen an sich bewährt hat. Ja „in Winckelmann's Werken brennt eine stille, unvergängliche
Flamme, an der sich noch immer, wie dazumal, als er alle Leser mit sich fortriß, das höhere Ver-
stäudniß und die Liebe der alten Kunst entzünden kann". Daß diese Flamme neu angefacht werde,
dazu hat der Verf. dieses Werkes das Seine schon beigetragen und wird es in noch reicherem Maße
bei der Fortsetzung desselben thuu, nachdem er auf dem Boden Italiens selbst den Spuren des
Winckelmann'schen Geistes mit derselben Liebe und demselben Glücke nachgegangen sein wird.
Das schöne Werk ist aber auch mit schätzenswerthen Beigaben ausgestattet, mit einer werthvollen
Auslese aus dem haudschriftlichen Materiale für diese Lebensperiode, mit einem gelungenen Stiche
von Rudolf Rahn nach Winckelmann's Bilde von Angelika Kaufmann, das sich in dem Museum zu
Zürich jetzt befindet und drittens mit einem Vortrag Justi's über Laokoon (S. 450—477). Au dem
historischen Faden der Beurtheilungen des Laokoon von Winckelmann und Lessing bis zu den neue-
sten Verurtheilern derselben führt der Vers, uns vor allem die gänzliche Veränderung des zu Grunde
gelegten Maßstabes vor Augen, leitet aber zugleich über zu seiner feinsinnigen Beurtheilung und
beantwortet sich die Frage: „Was War der Laokoon in der hellenischen Kunst selbst?" mit den
Worten: „Der letzte Punkt, zu dem sie im Durchlaufeu des ihr bestimmten Kreises im Streben
Zeitschrift für bildende Kunst. II. 1g