Bon Carl Schnaase.
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Dazu gehört denn zweierlei: der Scharfblick und die Wahrheitsliebe, die Dinge au
und für sich aufzufassen, und dann doch wieder auch eine große Sympathie für jene Zeit
und ihre Leistungen. Ja diese Anforderung möchte den Vorrang einnehmen. Wer mit
Vorurtheilen oder auch nur mit der wohlfeilen Weisheit Herantreten wollte, daß die
Renaissance wie alle geschichtlichen Erscheinungen Licht und Schatten, daß sie neben dem
unsterblichen auch ein sterbliches Element habe, würde nie zum Verständniß kommen. In
künstlerischen Dingen kann man nur das verstehen, was man liebt, dem man wenigstens
mit dem Vertrauen entgegenkommt, daß Liebenswerthes, also Wahres und Gutes darin
sein werde. Wer, wie es heut zu Tage leider vorherrschend ist, gleich mit der Kritik
beginnt, beraubt sich einfach der Möglichkeit kiiustlerischen Verständnisses. Das gilt schon
bei einzelnen Knnftwerken, wie vielmehr denn bei großen weltgeschichtlichen Hergängen, die
ihrer Natur nach nicht ohne tiefe Berechtigung sein können.
Aber diese Liebe darf dann zweitens nicht ein einseitiges, eitles Vorurtheil, sonderu
muß mit der Fähigkeit verbunden sein, unter die Oberfläche zu driugen, die kulturhisto-
rische Wurzeln der künstlerischen Erscheinungen zu Tage zu förderu und aus ihnen heraus
die Leistungen zu erklären.
Sieht man sich unter den deutschen Kunsthistorikern um, so ist keiner, der diesen An-
forderungen in Beziehung auf das Heimatland der Renaissance, auf Italien, so sehr ent-
spräche, wie Jakob Burckhardt iu Bafel. Ich glaube kaum, daß ein zweiter existirt, der
sich rühmen kann, die Werke dieser Epoche, namentlich die Bauwerke, mit gleicher Liebe
uud gleichem Fleiße gesehen zu haben. Jeder, der ähnliche Studien in Italien gemacht
hat und sie mit denen vergleicht, die Burckhardt im Cicerone (1855) niedergelegt hat,
wird sich für besiegt erkennen und die Ausdauer, Genauigkeit und Empfänglichkeit bewun-
dern, womit er selbst minder bedeutenden Bauten ein Interesse abzugewinnen und die
Intentionen ihrer Meister zn erratheu gewußt hat. Wie hier eiue Fülle unmittelbarer
Anschauungen, zeigt er in einem zweiten Buche, in der Kultur der Renaissauce (1860)
eine Fülle literarischer Studien, eine Belesenheit in den zum Theil schwer zugänglichen,
weitschweifigen und wenig lohnenden Briefsammlungen und lateinischen Gedichten dieses
schreiblustigen Zeitalters, deren sich noch Wenigere rühmen können, und dabei ein geist-
reiches Verständniß für die kulturhistorischen Quellen des Kunstlebens und einen unermüd-
lichen Eifer des Forschens, dem man, selbst wenn man in den Resultaten nicht ganz über-
einstimmt, doch die vollste Anerkennung und den Dank für vielfache Belehrung und An-
regung nicht versagen kann. Diese Arbeit sollte, wie der Verfasser ausdrücklich aukündigte,
der Vorläufer eines besonderen Werkes über „die Kunst der Renaissance" sein, welches
daher von allen Freunden dieser Studien mit Begierde erwartet wurde. Reit diesem Titel
und in dem dadurch angedeuteten Umfange ist es nun zwar bisher nicht erschienen, viel-
leicht aber sind wir jetzt im Besitze wenigstens eines sehr wichtigen Abschnittes ans dem-
selben. Die Fortsetzung von Kugler's gründlicher und von allen Sachverständigen hoch-
geschätzter „Geschichte der Baukunst," die bekanntlich durch den frühen Tod ihres Verfas-
sers unterbrochen und nur bis zu dem dritteu, die gothische Architektur enthaltenden Bande
gediehen war, ist nämlich jetzt von Kngler's nahen Freunden, Burckhardt und Lübke,
nnd zwar in der Art übernommen, daß jener die „Renaissance von Italien", dieser die
übrigen Abschnitte der neueren Baukunst bearbeitet. Das Ganze soll nnr einen Band bilden,
von welchem Burckhardt's Antheil bereits vollständig erschienen ist*), und als ein in sich
I Geschichte der Baukunst von Franz Kugler. Vierter Band; auch unter dem Titel: Geschichte der
neueren Bankunst von Jakob Burckhardt und Wilhelm Lübke. Stuttgart 1867. Lieferung 1 und 2. Die
Renaissance in Italien. 332 Seiten. 8».
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Dazu gehört denn zweierlei: der Scharfblick und die Wahrheitsliebe, die Dinge au
und für sich aufzufassen, und dann doch wieder auch eine große Sympathie für jene Zeit
und ihre Leistungen. Ja diese Anforderung möchte den Vorrang einnehmen. Wer mit
Vorurtheilen oder auch nur mit der wohlfeilen Weisheit Herantreten wollte, daß die
Renaissance wie alle geschichtlichen Erscheinungen Licht und Schatten, daß sie neben dem
unsterblichen auch ein sterbliches Element habe, würde nie zum Verständniß kommen. In
künstlerischen Dingen kann man nur das verstehen, was man liebt, dem man wenigstens
mit dem Vertrauen entgegenkommt, daß Liebenswerthes, also Wahres und Gutes darin
sein werde. Wer, wie es heut zu Tage leider vorherrschend ist, gleich mit der Kritik
beginnt, beraubt sich einfach der Möglichkeit kiiustlerischen Verständnisses. Das gilt schon
bei einzelnen Knnftwerken, wie vielmehr denn bei großen weltgeschichtlichen Hergängen, die
ihrer Natur nach nicht ohne tiefe Berechtigung sein können.
Aber diese Liebe darf dann zweitens nicht ein einseitiges, eitles Vorurtheil, sonderu
muß mit der Fähigkeit verbunden sein, unter die Oberfläche zu driugen, die kulturhisto-
rische Wurzeln der künstlerischen Erscheinungen zu Tage zu förderu und aus ihnen heraus
die Leistungen zu erklären.
Sieht man sich unter den deutschen Kunsthistorikern um, so ist keiner, der diesen An-
forderungen in Beziehung auf das Heimatland der Renaissance, auf Italien, so sehr ent-
spräche, wie Jakob Burckhardt iu Bafel. Ich glaube kaum, daß ein zweiter existirt, der
sich rühmen kann, die Werke dieser Epoche, namentlich die Bauwerke, mit gleicher Liebe
uud gleichem Fleiße gesehen zu haben. Jeder, der ähnliche Studien in Italien gemacht
hat und sie mit denen vergleicht, die Burckhardt im Cicerone (1855) niedergelegt hat,
wird sich für besiegt erkennen und die Ausdauer, Genauigkeit und Empfänglichkeit bewun-
dern, womit er selbst minder bedeutenden Bauten ein Interesse abzugewinnen und die
Intentionen ihrer Meister zn erratheu gewußt hat. Wie hier eiue Fülle unmittelbarer
Anschauungen, zeigt er in einem zweiten Buche, in der Kultur der Renaissauce (1860)
eine Fülle literarischer Studien, eine Belesenheit in den zum Theil schwer zugänglichen,
weitschweifigen und wenig lohnenden Briefsammlungen und lateinischen Gedichten dieses
schreiblustigen Zeitalters, deren sich noch Wenigere rühmen können, und dabei ein geist-
reiches Verständniß für die kulturhistorischen Quellen des Kunstlebens und einen unermüd-
lichen Eifer des Forschens, dem man, selbst wenn man in den Resultaten nicht ganz über-
einstimmt, doch die vollste Anerkennung und den Dank für vielfache Belehrung und An-
regung nicht versagen kann. Diese Arbeit sollte, wie der Verfasser ausdrücklich aukündigte,
der Vorläufer eines besonderen Werkes über „die Kunst der Renaissance" sein, welches
daher von allen Freunden dieser Studien mit Begierde erwartet wurde. Reit diesem Titel
und in dem dadurch angedeuteten Umfange ist es nun zwar bisher nicht erschienen, viel-
leicht aber sind wir jetzt im Besitze wenigstens eines sehr wichtigen Abschnittes ans dem-
selben. Die Fortsetzung von Kugler's gründlicher und von allen Sachverständigen hoch-
geschätzter „Geschichte der Baukunst," die bekanntlich durch den frühen Tod ihres Verfas-
sers unterbrochen und nur bis zu dem dritteu, die gothische Architektur enthaltenden Bande
gediehen war, ist nämlich jetzt von Kngler's nahen Freunden, Burckhardt und Lübke,
nnd zwar in der Art übernommen, daß jener die „Renaissance von Italien", dieser die
übrigen Abschnitte der neueren Baukunst bearbeitet. Das Ganze soll nnr einen Band bilden,
von welchem Burckhardt's Antheil bereits vollständig erschienen ist*), und als ein in sich
I Geschichte der Baukunst von Franz Kugler. Vierter Band; auch unter dem Titel: Geschichte der
neueren Bankunst von Jakob Burckhardt und Wilhelm Lübke. Stuttgart 1867. Lieferung 1 und 2. Die
Renaissance in Italien. 332 Seiten. 8».