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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Ingres
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0217

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Ingres.

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Empfindungen, welche unser Zeitalter bewegen. Er hat bewiesen, daß die ans einer läu-
ternden Phantasie geborene Formenschönheit auch jetzt noch ihren Zauber habe; aber diese
Gestalten, die in vollendetem Leib eine ungebrochene Seele tragen, sie gehören unserer Zeit
an mehr als Erzeugnisse der Bildung denn als der freie Ausdruck der im Jahrhundert
selber wirkenden Lebenskräfte.
Jean Auguste Dominique Ingres, geb. zu Montauban (im südwestlichen Frankreich)
am 29. August 1780, ward von seinem Vater, der Zeichen- und Musiklehrer war, zu beiden
Künsten frühzeitig angehalten. Nachdem er dann in Toulouse seine erste Studienzeit zuge-
bracht, kam er noch nm letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts nach Paris in David's Atelier.
Dieser, der damals die gesammte Kunst beherrschte, stand selber unter dem Zwang jener
von römischen Mustern abgezogenen klassischen Anschauung, von der unter der Revolution
das ganze Leben seine Formen empfing. Diesen Einflüssen unterlag auch der junge Ingres;
fein Preisbild vom I. 1801, „Achilles empfängt in seinem Zelte die Gesandten Agamem-
nons," ist nach der David'schen Schablone mit klassischer Regelfertigkeit ausgefährt. Dennoch
verräth sich schon hier ein nicht gewöhnliches Talent, was wohl den englischen Bildhauer
Flapmanu damals zu der Aeußerung veranlaßte, es sei das schönste Gemälde, das er zu
Paris gesehen habe.
Erst 1806 konnte Ingres seine italienische Reise antreten, da auch die Schule in Rom
unter der finanziellen Zerrüttung des Landes zu leiden Hatte. Noch folgte er in dieser
Zwischenzeit den David'schen Spuren, wenn er schon für das Gespreizte und Leblose in
dessen Manier nicht mehr blind war. In Rom aber, unter den Meisterwerken der Antike
und der Renaissance, gingen ihm vollends die Augen ans. Er traf in die Zeit, da eben
Lord Elgin die Skulpturen vom Parthenon nach Rom brachte und ein Thorwaldseu an der
wiederentdeckten Schönheit des griechischen Ideals die Plastik zu erneuern suchte. Auch der
junge Maler sah nun, daß die Antike der Natur weit näher stand, als die Kunst der
römischen Kaiserzeit hatte ahnen lassen. Hier war sowohl die warme Hülle des Fleisches
wie das feste Maß des inneren Baues ausgesprochen, mit der Schönheit der rein ent-
wickelten Gattung der individuelle Charakter zur Fülle des Lebens verschmolzen. Von dem
Vorbild aus zweiter Haud, daran sich David begeistert, der Hadrianischen Plastik und den
Vasengemälden, machte sich Ingres nun ein- für allemal los, um jenem ursprünglichen
Ideal zu folgen. Dazu genügten ihm die einfachsten Vorwürfe; denn nach nichts Anderem
strebte er, als nach der Schönheit wohlgebildeter Körper, worin sich einfache Lebenszustände
klar und voll versinnlichen. So entstanden 1806—1808 drei Bilder, die als Komposition
über den Charakter von Studien kaum hinausgeheu: eine nackte weibliche Figur, als Badende
gedacht, eine Venus Anadhomene — woran der Künstler indeß erst 1848 die letzte
Hand gelegt — und ein Oedipus vor der Sphhnp. In diesen Gestalten herrscht die
Strenge der plastischen Anschauung noch vor; doch ist sie schon gemildert durch eine gewisse
Weichheit der Erscheinung, sowie durch das Individuelle in den Zügen und der Bewegung.
Insbesondere ist der Oedipus in der Durchbildung seiner Formen griechisch empfunden und
doch in Stellung und Ausdruck wie nach der Natur belauscht in diesem bestimmten Mo-
mente seines Daseins.
Auch blieb Ingres nicht Lei dem Vorbild der Antike stehen. In den Stanzen und
Loggien des Vatikans brachte er bald einen guten Theil seiner Tage zu, und auf das Leb-
hafteste beschäftigte ihn nun Raffael. Was er anstrebte, fand er in dem Urbinaten erreicht:
die Lebendigkeit der Natur vermählt mit dem Ebenmaß der Antike, und daraus eine neue,
malerische Schönheit entsprossen, welche mit dem Adel der Formen seelischen Ausdruck und
Wahrheit des Charakters verbindet. So wurde neben der Kunst des Phidias, worin er
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