Bon A. Teichlein. II.
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der Entwürfe für den Campofanto, als Cornelius auf der Durchreife sie uns Münchenern im
„goldenen Hahn" aufgestellt hatte. Mehr noch als die großen symbolischen Kompositionen impo-
nirte mir damals die Neuheit, durch welche Cornelius gerade an den am öftesten behandelten Ge-
genständen (z. B. Grablegung und Geburt) die Ursprünglichkeit seines Genius bewährt. Doch was
wollen solche einzelne Bemerkungen sagen gegenüber einem so kolossalen Werk! Um mehr zn wagen
müßte man aber die sämmtlichen Kartons im Original vor sich Haben. Die Stiche geben einem
gewissenhaften Betrachter keinen ganz zuverlässigen Anhalt. Und so kann denn an dieser Stelle nur
Eines unsers Amtes sein, nämlich mit Riegel, mit Herman Grimm, mit Carriere und Melchior
Meyr, mit jedem, der irgend seine Stimme in Sachen des Meisters erhoben hat, auf Alles das zu
dringen, was der wachsenden Corneliusliteratur erst einen sicheren Boden bereiten muß.
Eine seltsamere Erscheinung hat wohl die Geschichte der Malerei bei keinem Volke und zu keiner
Zeit aufzuweisen als diese ist, daß der gefeiertste Meister einer Nation zwanzig Jahre lang Karton
zeichnet für ein Werk, das allem Anscheine nach niemals ausgeführt werden wird *). Da steht er, der
unverwüstliche Mann, und zeichnet und zeichnet fort und fort an den Entwürfen für diesen berühmten
Berliner Campofanto und vor seinen Augen liegt das kaum begonnene Bauwerk — als eine Ruine.
Die Geschichte ist unerhört, doch hat sie auch etwas Großartiges, Fatalistisches! Es soll uicht
anders sein, so scheint es, Cornelius der Dichter und Denker soll nur im Schattenrisse seiner Ent-
würfe, nur durch die Verheißung feines größten monumentalen Werkes unsterblich sein, die Aus-
sührung soll fehlen. Eine Geschichte wie diese, das ist gewiß, konnte nnr der deutschen Kunst
begegnen, ist nur in Deutschland möglich. Was aber selbst in Deutschland nicht aller Orten möglich
wäre, das ist in der „Weltstadt" Berlin möglich geworden, daß man selbst die Kartons des Meisters
worunter sich die der Glyptothek befinden und deren Besitzer der preußische Staat ist, seit 25 Jahren
in irgend einem Winkel aufgerollt liegen läßt. Ehre gebührt dem preußischen Abgeordnetenhause,
das die Genehmigung der Nationalgalerie einem „erheblichen Anstande" ausgesetzt erklärte, wenn
die Kartons von Cornelius in derselben nicht aufgestellt werden könnten, worauf die Regierung
betheuerte, daß sie Gelegenheit bieten werde, diesen Meisterwerken ein würdiges Unterkommen zu
schassen. Jndeß dieses Bauwerk wird besten Falles noch Jahre in Anspruch nehmen; mittlerweile
dauert der klägliche Zustand fort und Niegel versichert aus genauer Kenntniß der Sachlage aus-
sprechen zu können: „man will nicht!" daß es anders werde, und wiederholt: „man will nicht!"
Unter solchen Umständen wird denn der Wnnsch um so lebhafter, daß uns die Werke des Meisters
endlich durch eine würdige Gesammtausgabe wenigstens zugänglicher gemachtwerden möchten. Auch
dies freilich wäre eine schöne Aufgabe für den Staat und ein Nationalwerk in welchem man ein
Zeichen feines deutschen Berufes geben könnte. Doch für dergleichen Dinge ist wohl jetzt keine
Zeit, und so sei denn die Agitation für den Riegelffchen Vorschlag den Korrespondenten und Lesern
unserer Zeitschrift bestens empfohlen: die Gründung einer „Cornelius-Gesellschaft", welche
entweder aus Aktionären, die das Unternehmen auf eigene Rechnung ausführen, oder aus Abon-
nenten mit festen Jahresbeiträgen bestehen könnte, die den Geschäftsbetrieb einem oder mehreren
Verlegern anheimgeben. —
Wir kommen jetzt zur „Schlußbetrachtung"; nicht so fast zu der des Buches als zu unserer
eigenen. Auf jene können wir uns nur noch gelegentlich beziehen, diese aber glauben wir schuldig
zu sein, insofern wir uns dem besprochenen Werk mit einer selbständigen Ansicht über Cornelius
gegenüber gestellt Haben. Wenn wir schon die Riegel'sche Monographie nicht unbedingt anpreisen
können, so stellen wir doch keineswegs in Abrede, daß sie alle die Aufmerksamkeit und Hochachtung
verdient, welche jeder ernsten, nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführten Geistesarbeit gebührt.
Und mehr noch;.wer immer sich eingehend mit Cornelius beschäftigen will, wird zu wiederholten
Malen nach diesem Buche greifen müssen, und wir selbst werden es jedesmal mit der Ueberzeugung
*) Wie unseren Lesern bekannt, sind nach dem Tode des Meisters zugleich mit den Anstalten zur
Ausführung des neuen Domes in Berlin auch wieder Hoffnungen rege geworden, daß es denn doch noch
zur Ausführung der Domhofgemälde kommen werde. Wir wollen dieselben dankbarst registriren, ohne
jedoch uns vorderhand veranlaßt zu sehen, an den oben folgenden Worten etwas zu ändern.
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der Entwürfe für den Campofanto, als Cornelius auf der Durchreife sie uns Münchenern im
„goldenen Hahn" aufgestellt hatte. Mehr noch als die großen symbolischen Kompositionen impo-
nirte mir damals die Neuheit, durch welche Cornelius gerade an den am öftesten behandelten Ge-
genständen (z. B. Grablegung und Geburt) die Ursprünglichkeit seines Genius bewährt. Doch was
wollen solche einzelne Bemerkungen sagen gegenüber einem so kolossalen Werk! Um mehr zn wagen
müßte man aber die sämmtlichen Kartons im Original vor sich Haben. Die Stiche geben einem
gewissenhaften Betrachter keinen ganz zuverlässigen Anhalt. Und so kann denn an dieser Stelle nur
Eines unsers Amtes sein, nämlich mit Riegel, mit Herman Grimm, mit Carriere und Melchior
Meyr, mit jedem, der irgend seine Stimme in Sachen des Meisters erhoben hat, auf Alles das zu
dringen, was der wachsenden Corneliusliteratur erst einen sicheren Boden bereiten muß.
Eine seltsamere Erscheinung hat wohl die Geschichte der Malerei bei keinem Volke und zu keiner
Zeit aufzuweisen als diese ist, daß der gefeiertste Meister einer Nation zwanzig Jahre lang Karton
zeichnet für ein Werk, das allem Anscheine nach niemals ausgeführt werden wird *). Da steht er, der
unverwüstliche Mann, und zeichnet und zeichnet fort und fort an den Entwürfen für diesen berühmten
Berliner Campofanto und vor seinen Augen liegt das kaum begonnene Bauwerk — als eine Ruine.
Die Geschichte ist unerhört, doch hat sie auch etwas Großartiges, Fatalistisches! Es soll uicht
anders sein, so scheint es, Cornelius der Dichter und Denker soll nur im Schattenrisse seiner Ent-
würfe, nur durch die Verheißung feines größten monumentalen Werkes unsterblich sein, die Aus-
sührung soll fehlen. Eine Geschichte wie diese, das ist gewiß, konnte nnr der deutschen Kunst
begegnen, ist nur in Deutschland möglich. Was aber selbst in Deutschland nicht aller Orten möglich
wäre, das ist in der „Weltstadt" Berlin möglich geworden, daß man selbst die Kartons des Meisters
worunter sich die der Glyptothek befinden und deren Besitzer der preußische Staat ist, seit 25 Jahren
in irgend einem Winkel aufgerollt liegen läßt. Ehre gebührt dem preußischen Abgeordnetenhause,
das die Genehmigung der Nationalgalerie einem „erheblichen Anstande" ausgesetzt erklärte, wenn
die Kartons von Cornelius in derselben nicht aufgestellt werden könnten, worauf die Regierung
betheuerte, daß sie Gelegenheit bieten werde, diesen Meisterwerken ein würdiges Unterkommen zu
schassen. Jndeß dieses Bauwerk wird besten Falles noch Jahre in Anspruch nehmen; mittlerweile
dauert der klägliche Zustand fort und Niegel versichert aus genauer Kenntniß der Sachlage aus-
sprechen zu können: „man will nicht!" daß es anders werde, und wiederholt: „man will nicht!"
Unter solchen Umständen wird denn der Wnnsch um so lebhafter, daß uns die Werke des Meisters
endlich durch eine würdige Gesammtausgabe wenigstens zugänglicher gemachtwerden möchten. Auch
dies freilich wäre eine schöne Aufgabe für den Staat und ein Nationalwerk in welchem man ein
Zeichen feines deutschen Berufes geben könnte. Doch für dergleichen Dinge ist wohl jetzt keine
Zeit, und so sei denn die Agitation für den Riegelffchen Vorschlag den Korrespondenten und Lesern
unserer Zeitschrift bestens empfohlen: die Gründung einer „Cornelius-Gesellschaft", welche
entweder aus Aktionären, die das Unternehmen auf eigene Rechnung ausführen, oder aus Abon-
nenten mit festen Jahresbeiträgen bestehen könnte, die den Geschäftsbetrieb einem oder mehreren
Verlegern anheimgeben. —
Wir kommen jetzt zur „Schlußbetrachtung"; nicht so fast zu der des Buches als zu unserer
eigenen. Auf jene können wir uns nur noch gelegentlich beziehen, diese aber glauben wir schuldig
zu sein, insofern wir uns dem besprochenen Werk mit einer selbständigen Ansicht über Cornelius
gegenüber gestellt Haben. Wenn wir schon die Riegel'sche Monographie nicht unbedingt anpreisen
können, so stellen wir doch keineswegs in Abrede, daß sie alle die Aufmerksamkeit und Hochachtung
verdient, welche jeder ernsten, nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführten Geistesarbeit gebührt.
Und mehr noch;.wer immer sich eingehend mit Cornelius beschäftigen will, wird zu wiederholten
Malen nach diesem Buche greifen müssen, und wir selbst werden es jedesmal mit der Ueberzeugung
*) Wie unseren Lesern bekannt, sind nach dem Tode des Meisters zugleich mit den Anstalten zur
Ausführung des neuen Domes in Berlin auch wieder Hoffnungen rege geworden, daß es denn doch noch
zur Ausführung der Domhofgemälde kommen werde. Wir wollen dieselben dankbarst registriren, ohne
jedoch uns vorderhand veranlaßt zu sehen, an den oben folgenden Worten etwas zu ändern.
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