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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Teichlein, Anton: Betrachtungen über Dr. H. Riegel's Buch: "Cornelius, der Meister der deutschen Malerei"[2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0246
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194 Betrachtungen über Vr. H. Riegel's Buch: „Cornelius, der Meister der deutschen Malerei".
mit etwas mehr Vorsicht auf kunstgeschichtliche Erscheinungen übertragen. Noch andere Wege
als die bisher eingeschlagenen müssen zum Verständniß der merkwürdigen Epoche führen; welche?
Auf diese Frage haben wir hier nicht Nede zu stehen. Einen Punkt aber wollen wir doch noch
besonders reiflicher Erwägung empfehlen. Es ist der Einfluß, welchen man der nationalen Erhebung
zufchreibt, die nm die nämliche Zeit die Fremdherrschaft in Deutschland brach, als Cornelius und
seine Freunde in Rom „die Bahnen von Jahrhunderten" durchmaßen. Im Hinweise auf die
doppelt begeisterte Wechselwirkung der politischen und der künstlerischen Bewegung, welche sich wie
in einem Brennpunkte zu allseitigem nationalen Aufschwung vereinigten, haben wir stets den Refor-
mator als den „Befreiungskämpfer" in der Kunst gefeiert. Es war schön und ist wohl auch
recht und billig, daß dieser Punkt auch von Riegel stark betont wird. Und dennoch wäre es der
Mühe werth, eine genaue Untersuchung darüber anzustellen, in wie weit denn von einem Einflüsse
der politischen Erhebung auf die künstlerische als solcke die Rede sein könne. Denn nur allzu-
geueigt ist man heut zu Tage, insbesondere wenn uns Vaterland und Freiheit zu Kopfe steigen, sich
die Wirkung politischer Ereignisse auf ästhetische Gestaltungen vielleicht doch etwas gar zu direkt
vorzustellen. Anßer Frage steht wenigstens, daß unsere große Musik- wie unsere große Literaturepoche
jener Folie der Befreiungskämpfe entbehren und trotzdem zu reicherer und nachhaltigerer Blüte
gelangt sind, als unsere Kunstepoche, welche man sich von der nationalen Erhebung in so hohem
Grade begünstigt zu denken liebt.
Cornelius ist und bleibt uns bei alledem ein so großer Genius, wie nur jemals einer geboren
wurde. In gewissem Sinne ist er auch das Alpha und das Omega unserer Kunst. Ja, er ist der
Anfang und das Ende der Dinge, unser Giotto und unser Michelangelo in einer Person. Den
ersten übertrifft er weitaus an Freiheit der Bewegung und Energie des Ausdruckes. Den zweiten
wird wohl niemals ein nachgeborener Meister an Kenntniß und Beherrschung der Form übertressen.
Im Ganzen und Großen aber erscheint uns Cornelius fast wie ein Moses. Er hat sein Volk aus
Aegypten geführt und ihm Gesetze gegeben, aber das gelobte Land, das er ihm verheißen hat, sollte er
selbst nur erblicken, nicht völlig erreichen. Ob jemals eine Zeit kommen werde, da Israel einziehen
wird in Canaan, das bleibe dahin gestellt. Heine sah in der Hand des Cornelius „die letzte Maler-
hand" und sein Wort fuhr mir durch den Sinn, als mir in Paris Delacroix die Hand zum Ab-
schied reichte. Die Kunstphilosophen freilich glauben unter allen Umständen an den Fortschritt und
„das höhere Dritte". Ein gewöhnliches Menschenauge von einigermaßen künstlerisch geübtem Blick
vermag vorlausig selbst iu den genialsten Kunsterscheinungen der Neuzeit nur weit auseinander
gerissene, bis zur Uuversönlichkeit aus ihre äußerste und letzte Spitze getriebene Gegensätze
zu erblicken. Dürfen wir uns an dieser Stelle einen vergleichenden Ausblick auf die beiden Hanpt-
entwicklungsphafen moderner Kunst gestatten, so möchte sich allenfalls sagen lassen: diesseits des
Rheines ist die bildende Kunst mit Cornelius in weltweise Poesie übergegangen, jenseits
der deutschen Westgrenze näherte sich die Malerei mit Delacroix ihrer Auslösung in Musik. Dort
blieb die Kunst auf ihren höchsten Höhen beim Kontour und Karton stehen, und das Mittel-
gut blieb stecken in einer mehr oder weniger conventionellen Handschrist, gerade noch aus-
reichend für illustrative Zwecke. Hier erhoben sich die coloristisch vollkommensten Werke nicht
über den Charakter des skizzenhaften, und die kleineren Talente versanken in Virtuosität.
Zum vollkommenen klassischen Meisterwerk der Malerei, das den Vergleich mit den Alten nicht
zu scheuen hätte, wäre es demnach nirgend gekommen. Was aber nichtsdestoweniger die genial-
sten der Genialen diesseits wie jenseits über dem Wasser hält, das ist die Macht des per-
sönlichen Ausdrucks ihrer Küuftlerindividualitäten, welche sie, mit grundverschiedenen Aus-
drucksmitteln, aber mit gleichschwer wiegender Intensität erreicht haben, weil sie beide gleich
muthvoll diesem ersten und letzten künstlerischen Zwecke zu Liebe sich niemals gescheut Haben,
„große Fehler zu begehen." Beiderseits also möchte denn doch geworden sein, was irgend
auf den gegebenen nationalen Grundlagen das Genie in diesem Jahrhundert zu leisten ver-
mocht hat. Späterhin haben bekanntlich Transaktionen stattgefunden und die Bestrebungen
gewisser vermittelnder Talente, welche unsrerseits ausgetreten sind, verdienen alle Achtung und
Beachtung. So hoch aber vermag selbst derjenige unsere koloristischen Fortschritte nicht anzu-
 
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