Einige Worte über Vr. Ernst Försters „Raphael"*).
Von Otto Mündler.
Herr Vr. Ernst Förster hat uns vor Kurzem mit dem 1. Bande einer Geschichte Rasfael's
beschenkt, ich könnte sagen überrascht, indem wohl die Wenigsten dem Verfasser der Geschichte der
(alten und neuen) deutschen Kunst in 5 Bänden, dem Herausgeber des noch im Erscheinen begriffenen
umfangreichen Gesammtwerkes über die Denkmäler deutscher Kunst zugetraut hätten, daß er in
demselben Augenblicke, wo er durch solche, den ganzen Mann in Anspruch nehmende Beschäftigungen
auf dem vaterländischen Boden sestgehalten wird, auch Zeit finden würde, nach der Versicherung seiner
Vorrede, „vieljährige vorbereitende Studien" diesem neuen Gegenstände, und zwar „mit stets
wachsender Liebe" zuzuwenden. Als ein „gewagtes Unternehmen" ist denn auch dem Vers, selbst
die Veröffentlichung dieses Buches erschienen, wiewohl aus anderen, als den so eben angedeuteten
Gründen. Es ist unzählige Male wiederholt worden, daß der in Frage stehende Gegenstand durch
das seit drei Jahrhunderten darüber Geschriebene, insbesondere aber durch I. D. Passavant's be-
kanntes Werk so vollständig erschöpft fei, daß für ein Menschenalter und darüber hinaus ein aber-
maliges Behandeln desselben als überflüssig, ja in gewissem Sinn als unmöglich erachtet werden
könne. Dem Verfasser des vorliegenden Werkes liegt daher ob, diese Ansicht zu widerlegen und
neue Gesichtspunkte auszufinden, welche die Veröffentlichung von abermals zwei Bänden über Raffael
und sein Wirken rechtfertigen können, und er findet die Veranlassung zu dieser neuen Auffassung
und Ausführung der Lebensgeschichte Rasfael's zunächst in der Nothwendigkeit, den Zusammenhang
des Künstlers mit seiner und mit der ihm vorangehenden Zeit sich im Einzelnen gegenwärtig zu
erhalten, sodann „wenigstens einen Ueberblick über die Leistungen früherer Künstler" und schließlich
auch eine kurzgefaßte Geschichte der italienischen Literatur, uamentlich der Dichtkunst, voranzuschicken,
in einer Art und Weise, und mit einer Ausführlichkeit, die Passavant's Plane fern lag. Anderer-
seits findet der Vers., bei näherer Prüfung von Passavant's Werk, dessen große Verdienste, ja Un-
entbehrlichkeit für die Lebensgeschichte Raffaels er vollkommen anerkennt, daß seiner „Darstellung
doch die wirksame Einheit fehlt, daß vieles, was offenbar zusammen gehört, auseinander gerissen,
vieles wichtige Baumaterial nicht zum Bau selbst verwendet, sondern nebenbei gelegt worden" sei. —
Ein neues Werk also verspricht uns Vr. Förster dem Inhalte, wie der Form nach: auf breiter,
kulturhistorischer Grundlage will er den wohldurchdachten und schöngefügten Tempelbau der Lebens-
geschichte des größten Künstlergenius der neueren Zeit errichten. Das Vorhaben ist sicher ein löb-
liches; gegen die Prämissen ist im Allgemeinen wohl kaum etwas einzuwenden; nur kann ich eine
leise Besorgniß nicht unterdrücken, daß, nach heutiger Art zu bauen, der Anlauf zu groß genommen,
das Maß der Kräfte und Mittel nicht reiflich erwogen, und ans den großartigen Unterbau schließ-
lich ein hastig zusammengetragenes, mageres, ungenügendes Gebäude, ohne Reinheit der Verhält-
nisse, ohne strenges Maß und ohne gehörige Durchbildung errichtet werden dürfte; abgesehen
davon, daß der neue Bearbeiter des Lebens Rasfael's doch schließlich genöthigt ist, sein Baumaterial
von Passavant zu entlehnen, indem kaum Jemand sich wird schmeicheln können, mit mehr Fleiß,
kritischem Scharfblick, Eifer und Gewissenhaftigkeit, als Passavant es gethan, die einzelnen Umstände
von Raffael's Leben, namentlich aber jedes feiner Werke und dessen Geschichte, nebst allem, was
sich daran knüpft, erforscht zu Haben. Herr Vr. Förster gesteht denn auch von vornherein ein, daß in
Bezug auf Raffael's Studien und Handzeichnungen, dann auf die Kopien nach seinen Werken und
auf die unächten oder zweifelhaften Bilder er ganz einfach auf Pasfavant's sehr ausführliche Ver-
zeichnisse verweise. Passavant's Werk wird daher immer noch nicht bei Seite gelegt werden können;
im Gegentheil steht dessen Unentbehrlichkeit als Handbuch zum Nachschlagen erst recht fest, und das
neue Werk giebt sich, Alles angeschlagen und wohl erwogen, für ein literarisch sorgfältiger ans-
V Erster Band. gr. 8. Leipzig, T. O. Weigel.
Zeitschrift für bildende Kunst. II. 27
Von Otto Mündler.
Herr Vr. Ernst Förster hat uns vor Kurzem mit dem 1. Bande einer Geschichte Rasfael's
beschenkt, ich könnte sagen überrascht, indem wohl die Wenigsten dem Verfasser der Geschichte der
(alten und neuen) deutschen Kunst in 5 Bänden, dem Herausgeber des noch im Erscheinen begriffenen
umfangreichen Gesammtwerkes über die Denkmäler deutscher Kunst zugetraut hätten, daß er in
demselben Augenblicke, wo er durch solche, den ganzen Mann in Anspruch nehmende Beschäftigungen
auf dem vaterländischen Boden sestgehalten wird, auch Zeit finden würde, nach der Versicherung seiner
Vorrede, „vieljährige vorbereitende Studien" diesem neuen Gegenstände, und zwar „mit stets
wachsender Liebe" zuzuwenden. Als ein „gewagtes Unternehmen" ist denn auch dem Vers, selbst
die Veröffentlichung dieses Buches erschienen, wiewohl aus anderen, als den so eben angedeuteten
Gründen. Es ist unzählige Male wiederholt worden, daß der in Frage stehende Gegenstand durch
das seit drei Jahrhunderten darüber Geschriebene, insbesondere aber durch I. D. Passavant's be-
kanntes Werk so vollständig erschöpft fei, daß für ein Menschenalter und darüber hinaus ein aber-
maliges Behandeln desselben als überflüssig, ja in gewissem Sinn als unmöglich erachtet werden
könne. Dem Verfasser des vorliegenden Werkes liegt daher ob, diese Ansicht zu widerlegen und
neue Gesichtspunkte auszufinden, welche die Veröffentlichung von abermals zwei Bänden über Raffael
und sein Wirken rechtfertigen können, und er findet die Veranlassung zu dieser neuen Auffassung
und Ausführung der Lebensgeschichte Rasfael's zunächst in der Nothwendigkeit, den Zusammenhang
des Künstlers mit seiner und mit der ihm vorangehenden Zeit sich im Einzelnen gegenwärtig zu
erhalten, sodann „wenigstens einen Ueberblick über die Leistungen früherer Künstler" und schließlich
auch eine kurzgefaßte Geschichte der italienischen Literatur, uamentlich der Dichtkunst, voranzuschicken,
in einer Art und Weise, und mit einer Ausführlichkeit, die Passavant's Plane fern lag. Anderer-
seits findet der Vers., bei näherer Prüfung von Passavant's Werk, dessen große Verdienste, ja Un-
entbehrlichkeit für die Lebensgeschichte Raffaels er vollkommen anerkennt, daß seiner „Darstellung
doch die wirksame Einheit fehlt, daß vieles, was offenbar zusammen gehört, auseinander gerissen,
vieles wichtige Baumaterial nicht zum Bau selbst verwendet, sondern nebenbei gelegt worden" sei. —
Ein neues Werk also verspricht uns Vr. Förster dem Inhalte, wie der Form nach: auf breiter,
kulturhistorischer Grundlage will er den wohldurchdachten und schöngefügten Tempelbau der Lebens-
geschichte des größten Künstlergenius der neueren Zeit errichten. Das Vorhaben ist sicher ein löb-
liches; gegen die Prämissen ist im Allgemeinen wohl kaum etwas einzuwenden; nur kann ich eine
leise Besorgniß nicht unterdrücken, daß, nach heutiger Art zu bauen, der Anlauf zu groß genommen,
das Maß der Kräfte und Mittel nicht reiflich erwogen, und ans den großartigen Unterbau schließ-
lich ein hastig zusammengetragenes, mageres, ungenügendes Gebäude, ohne Reinheit der Verhält-
nisse, ohne strenges Maß und ohne gehörige Durchbildung errichtet werden dürfte; abgesehen
davon, daß der neue Bearbeiter des Lebens Rasfael's doch schließlich genöthigt ist, sein Baumaterial
von Passavant zu entlehnen, indem kaum Jemand sich wird schmeicheln können, mit mehr Fleiß,
kritischem Scharfblick, Eifer und Gewissenhaftigkeit, als Passavant es gethan, die einzelnen Umstände
von Raffael's Leben, namentlich aber jedes feiner Werke und dessen Geschichte, nebst allem, was
sich daran knüpft, erforscht zu Haben. Herr Vr. Förster gesteht denn auch von vornherein ein, daß in
Bezug auf Raffael's Studien und Handzeichnungen, dann auf die Kopien nach seinen Werken und
auf die unächten oder zweifelhaften Bilder er ganz einfach auf Pasfavant's sehr ausführliche Ver-
zeichnisse verweise. Passavant's Werk wird daher immer noch nicht bei Seite gelegt werden können;
im Gegentheil steht dessen Unentbehrlichkeit als Handbuch zum Nachschlagen erst recht fest, und das
neue Werk giebt sich, Alles angeschlagen und wohl erwogen, für ein literarisch sorgfältiger ans-
V Erster Band. gr. 8. Leipzig, T. O. Weigel.
Zeitschrift für bildende Kunst. II. 27