I. Danzig.
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glieder in frischer Luft, trauliche Plätzchen, oft reizend mit Blumen geziert. Nach der
Straße zu, ihn schirmend gegen das Andrängen der Fußgänger und Wagen, gürten den Bei-
schlag Sandstein-Geländer in ost kunstvollster zierlich durchbrochener Steinhanerarbeit,
oder Sandstein-Mauern von sinnvollen Reliefs wechselnd geschmückt. Aus ihrer Mitte
sührt die breite, flache Steintreppe zur Straße nieder, wo Riesen-Quadern oder K'ngeln,
Adler oder grimme Lenen die Bauzierden des Hauses würdig beschließen. Oft indeß
opferte mau den traulichen Familienplatz dem Vortheile des Handels, überbaute den
Beischlag bis zum ersten Stock hinauf, und in dem so gewonnenen Vorbau eröffnet sich Hand-
werksstätte oder Laden. Auch Bäume in reicher Zahl heben sich Straßen auf und nieder
zwischen den Beischlägen empor, die rechten Genossen traulichen Beisammenseins vor dem
Hanse, die rechten Geschwister der Architektur. Doppelt schon lugt nun der alte Kellerhals
neben ihnen hervor mit seinem wunderbaren Arabesken, malerisch steigt die reich verzierte
Steintreppe unter ihren Zweigen nieder und vom Giebel grüßt ihre Wipfel eine Urne, eine
Bildsäule, ein Thier. Das ist das alte Danzig und die italische Fülle seiner Kunst.
Freilich gilt dieses Bild nur für die Rechtstadt, den Mittelpunkt des heutigen Danzig
und seines kaufmännischen Großhandels. Je weiter von ihr sich die Straßen, enger, will-
kürlicher gewunden, ärmlicher in die entfernteren Stadttheile hinziehen, desto kahler wird
ihr Angesicht, desto spärlicher ihre Kunstzierde. So bedecken das slavische Hakelwerk, der
älteste, aber auch ärmlichste Stadttheil, dann die verzweigte Altstadt mit den vielen
schmutzigen Armen der Radaune nach Norden hin, im Süden das stille Langgarten und
die sumpfige Niederstadt mit ihren eintönigen langen Arbeiterwohnungen und zahlreichen
Kanälen für den Holztransport, zwischen denen erst spärlich sich stattlichere Gebäude zu
erheben wagen, dann der südwestliche Stadttheil voll dichtgedrängter Häuschen der kleinen
Gewerbtreibenden in Lastadie (von 1n8tnZiuin) und vorstädtischem Graben, Fleischergasse
nnd dem ominösen „Poggenpsuhl" rings um die Rechtstadt her bis zu den weit ausgreifenden
grünen Wällen gelagert ein viel größeres Territorium als jener, aber den Kunstfreund
locken fie wenig. Nur die alten gothischen Hallenkirchen, fast alle — wie wir noch näher
erörtern — rohe Backsteinbauten der herabgekommenen Spätgothik aus dem 14. bis 16.
Jahrhundert, doch fast alle von mächtigen Dimensionen, sind neben den wenig kunstvollen
kargen Resten der Ordensburg am altstädtischen Fischmarkte selbst über jene entfernten und
tnnstarmen Stadttheile in überraschend reicher Zahl vertheilt und bezengen hier, mit den
gewaltigen Thürmen nnd dunkelbraunen eintönigen Manerflächen hoch nnd massig über die
winkligen Gassen emporragend, sehr verständlich, wie viel größer nnd volkreicher vor den
furchtbaren Belagerungen der Stadt von 1734 (durch die russ.-sächf. Armee), 1807 (durch
die Franzosen), 1813—14 (durch das preuß.-russ. Heer) sich Danzig auch nach diesen
Seiten hin ausbreitete. So kommen auf die Altstadt allein sechs Gotteshänser, wovon eins,
die Katharineukirche, bereits vor 1329, die übrigen feit 1400 errichtet wurden, und dazu
liegen vor den Kirchen der Rechtstadt nicht weniger als drei an der Grenze jenes selben
Stadttheils. Aber nein, eine Reliquie der Altstadt Danzig — anßer den Kirchen — darf
hier nicht unerwähnt bleiben, die städtische „Große Mühle" mit ihren 18 Mahlgängen,
wie schon der deutsche Orden sie 1340 erbaute. Mitten auf der breiten Schildinsel in
der Radaune steht sie da, das riesige Dach nach echter Mühlenart fast bis znr Erde auf
beiden Seiten, Alles rings in Mehlstaub gehüllt, und in das unermüdliche Klapp Klapp
zwitschern hente noch wie vor fünf Jahrhunderten die alten Genojsen des Müllers, die Spatzen,
die unter den runden Dachziegeln wohnen. Tranlich reihen sich rings umher neue Häuser,
Brücken und Straßen, mitten heraus grüßen aus ihnen ein paar Altersgenossen zum
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glieder in frischer Luft, trauliche Plätzchen, oft reizend mit Blumen geziert. Nach der
Straße zu, ihn schirmend gegen das Andrängen der Fußgänger und Wagen, gürten den Bei-
schlag Sandstein-Geländer in ost kunstvollster zierlich durchbrochener Steinhanerarbeit,
oder Sandstein-Mauern von sinnvollen Reliefs wechselnd geschmückt. Aus ihrer Mitte
sührt die breite, flache Steintreppe zur Straße nieder, wo Riesen-Quadern oder K'ngeln,
Adler oder grimme Lenen die Bauzierden des Hauses würdig beschließen. Oft indeß
opferte mau den traulichen Familienplatz dem Vortheile des Handels, überbaute den
Beischlag bis zum ersten Stock hinauf, und in dem so gewonnenen Vorbau eröffnet sich Hand-
werksstätte oder Laden. Auch Bäume in reicher Zahl heben sich Straßen auf und nieder
zwischen den Beischlägen empor, die rechten Genossen traulichen Beisammenseins vor dem
Hanse, die rechten Geschwister der Architektur. Doppelt schon lugt nun der alte Kellerhals
neben ihnen hervor mit seinem wunderbaren Arabesken, malerisch steigt die reich verzierte
Steintreppe unter ihren Zweigen nieder und vom Giebel grüßt ihre Wipfel eine Urne, eine
Bildsäule, ein Thier. Das ist das alte Danzig und die italische Fülle seiner Kunst.
Freilich gilt dieses Bild nur für die Rechtstadt, den Mittelpunkt des heutigen Danzig
und seines kaufmännischen Großhandels. Je weiter von ihr sich die Straßen, enger, will-
kürlicher gewunden, ärmlicher in die entfernteren Stadttheile hinziehen, desto kahler wird
ihr Angesicht, desto spärlicher ihre Kunstzierde. So bedecken das slavische Hakelwerk, der
älteste, aber auch ärmlichste Stadttheil, dann die verzweigte Altstadt mit den vielen
schmutzigen Armen der Radaune nach Norden hin, im Süden das stille Langgarten und
die sumpfige Niederstadt mit ihren eintönigen langen Arbeiterwohnungen und zahlreichen
Kanälen für den Holztransport, zwischen denen erst spärlich sich stattlichere Gebäude zu
erheben wagen, dann der südwestliche Stadttheil voll dichtgedrängter Häuschen der kleinen
Gewerbtreibenden in Lastadie (von 1n8tnZiuin) und vorstädtischem Graben, Fleischergasse
nnd dem ominösen „Poggenpsuhl" rings um die Rechtstadt her bis zu den weit ausgreifenden
grünen Wällen gelagert ein viel größeres Territorium als jener, aber den Kunstfreund
locken fie wenig. Nur die alten gothischen Hallenkirchen, fast alle — wie wir noch näher
erörtern — rohe Backsteinbauten der herabgekommenen Spätgothik aus dem 14. bis 16.
Jahrhundert, doch fast alle von mächtigen Dimensionen, sind neben den wenig kunstvollen
kargen Resten der Ordensburg am altstädtischen Fischmarkte selbst über jene entfernten und
tnnstarmen Stadttheile in überraschend reicher Zahl vertheilt und bezengen hier, mit den
gewaltigen Thürmen nnd dunkelbraunen eintönigen Manerflächen hoch nnd massig über die
winkligen Gassen emporragend, sehr verständlich, wie viel größer nnd volkreicher vor den
furchtbaren Belagerungen der Stadt von 1734 (durch die russ.-sächf. Armee), 1807 (durch
die Franzosen), 1813—14 (durch das preuß.-russ. Heer) sich Danzig auch nach diesen
Seiten hin ausbreitete. So kommen auf die Altstadt allein sechs Gotteshänser, wovon eins,
die Katharineukirche, bereits vor 1329, die übrigen feit 1400 errichtet wurden, und dazu
liegen vor den Kirchen der Rechtstadt nicht weniger als drei an der Grenze jenes selben
Stadttheils. Aber nein, eine Reliquie der Altstadt Danzig — anßer den Kirchen — darf
hier nicht unerwähnt bleiben, die städtische „Große Mühle" mit ihren 18 Mahlgängen,
wie schon der deutsche Orden sie 1340 erbaute. Mitten auf der breiten Schildinsel in
der Radaune steht sie da, das riesige Dach nach echter Mühlenart fast bis znr Erde auf
beiden Seiten, Alles rings in Mehlstaub gehüllt, und in das unermüdliche Klapp Klapp
zwitschern hente noch wie vor fünf Jahrhunderten die alten Genojsen des Müllers, die Spatzen,
die unter den runden Dachziegeln wohnen. Tranlich reihen sich rings umher neue Häuser,
Brücken und Straßen, mitten heraus grüßen aus ihnen ein paar Altersgenossen zum
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