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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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R., M.: Städtebilder[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0289
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I. Danzig.

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Aber auf dem Holze (Traften, Flöße) senden die unerschöpflichen Hinterländer Galizien
nnd Polen das zweite und köstlichere Produkt ihres Bodens, Getreide, seit Jahrhunderten
die Weichsel abwärts in die rege Seestadt. Nnr ans das andere User der Mottlan branchen
wir zn schanen, da liegt vor ans ein neuer origineller Stadttheil gerade zwischen Nieder-
stadt und Rechtstadt auf einer großen Insel der Mottlan, die Speicherstadt auf der Speicher-
iusel, das Schatzkästlein des Danziger Kanfmanns. Straßen, Plätze hat der Stadttheil,
wie nur ein anderer, große Höfe nnd hier und da ein verstecktes Gärtchen, viele Brücken
verbinden ihn mit den rings um mündenden Straßen der Stadt; statt der Häuser aber
reiht sich düster in mächtig dicken, breiten und hohen Manern Speicher an Speicher, jeder
mit den öde blickenden Luken, den gewaltigen Lagerräumen durch die ganzen Etagen, wo
man das Getreide ans- und umschüttet, unten mit dem kleinen Comtoire und der großen
Thüre, darüber des Speichers Name nnd Zeichen, darunter das Schlupfloch für seine Katze,
die die gefräßigen Mäuse in Zucht hält. Von den gewaltigen Massen des hier lagernden
Getreides bildet sich über den Stadttheil Jahr ein und ans eine eigene Atmosphäre, der
Korngeruch. Ein reges Leben beginnt hier Morgens zu bestimmter Stunde, dann kommen
in langen Zügen die berüchtigten, trotzig wilden Sackträger, herkulische Gestalten, aus ihren
fernen Wohnungen herbei, vertheilen sich an die einzelnen Speicher nnd empfangen die
Ordre für ihre Tages-Arbeit. Kein fremder Arbeiter darf sich unter sie mischen, er riskirt
sein Leben; selbst der Kanfherr, der ihn annimmt, ist dem Aergsten ausgesetzt.
Nun schnell entkleidet — bis ans das Nöthigste —, und die Arbeit beginnt. Hier
schaufeln sie drinnen, man hört ihren eintönigen Gesang zum Takte; dort liegt ein
Schiff am Bollwerk, nnd in langer Reihe hinter einander tragen sie die gefüllten Kornsäcke
aus dem Schiffsräume in den Speicher hinanf, oder umgekehrt, sie bringen die Säcke
hinunter an's Schiff, öffnen die mnsknlöse Hand, und wie flüssiges Gold strömt der
Weizen in den offenen Schiffsbanch.
Mit Sonnenuntergang endet die Arbeit, kein Feuer, kein Licht, keine Cigarre darf seit
den großen Speicherbränden von 1813 und 1840 hier angezündet werden *). Todtenstille deckt
die ganze Insel, nur die Wächter wandern umher nnd erheben ihren schnarrenden Ruf;
nicht lange ist's her, da Waren ihnen noch riesige Hunde beigesellt, nnd wuchtige Gitter-
thore sperrten die Danziger Schatzkammer Nachts von allen Straßen ab.
Wie frisch nnd bnnt strömt gegenüber den düsteren Speicherluken das Leben auf
der „langen Brücke" von Holz, die sich, just nnr durch den Mottlanarm von jenen ge-
trennt, am linken Flußufer, wie jene am rechten, längs der Südostgrenze der Rechtstadt
und eines Theils der Altstadt wol zehn Minuten lang in verschiedener Breite an den
Hänsern hinzieht. Hier merkt man, daß man wieder auf der Rechtstadt weilt, im Mittel-
punkte des Danziger Treibens! Die Mottlau wimmelt in guter Zeit von Schiffen.
Da liegt der gravitätische, etwas massig gebaute Engländer nnd vom Bord Herunter
verhandelt man die letzen Worte mit dem Faktor des Kausmanns auf der Brücke wegen
der Kohlen, die man geladen; sein Landsmann daneben mnß unter tansend Goddams das
Schiff wenden, da er nur Ballast von Sand nnd Steinen brachte, die in der Stadt nicht
auszuladen sind. Dicht davor stehen ein Paar holländische Fahrzeuge, unverkennbar an
den stark geschweiften Borden, den hochbusigen Stenerwänden; Glas haben sie gebracht
und Eisenwaaren, und auf dein Banche lang gestreckt erwartet der Steuermann ans Deck
den Tag des Einladens. Dazwischen liegen oder krenzen die kleinern Kalk- und Herings-

*) Neuerdings ist es jedoch erlaubt, Wobnbäuser auf der Speicheriusel zu bauen, in Folge dessen auch
Licht und Feuer anzuzUuden.
 
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