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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Die französische Malerei seit 1848: mit Berücksichtigung des Salons von 1866[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0032

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Von Julins Meyer.

17

Das soll freilich nicht heißen, daß es nun mit der Malerei aus gewesen wäre. Nicht
einmal gleich trat ein durchgreifender Unterschied zwischen der neuen und der abgeflossenen
Epoche Hervor, wie denn auch die Bewegung des Jahres 1848 nicht schon für sich selber
einen Kapitaleinschnitt in die moderne Geschichte bildet, sondern nur deu Beginu einer
neuen Regung innerhalb der vom Jahre 1789 eingeleiteten Zeit. Was seitdem auf allen
Lebensgebieten unsere Tage kennzeichnet, ist ein Suchen und Ringen nach neuen und
charaktervollen Formen, welche mit der Bildung, den Anschanungen und Ansprüchen des
Zeitalters übereinstimmen, d. H. das ihm gesetzte Ideal verwirklichen. Das umwälzende
Bewußtsein von der Halbheit der bisherigen Zustände ist durch alle Kreise gedrungen; an
ausgesprochen, daß die Bewegung der modernen Kunst nicht am Leitseile der politischen Umwälzung ver-
läuft, sondern eine selbständige ist, wenn sie gleich mit jener wie natürlich in Berührung tritt. Nicht in
der David'schen Schule — wie mir der Recensent unterschiebt — spricht sich mit voller Eigentümlichkeit
ihr revolutionärer Charakter aus, sondern erst im Naturalismus Göricaults und in der romantischen Kunst-
weise. Das zweite Kapitel des dritten Buches beleuchtet ausdrücklich diesen interessanten Punkt, einen
jener lebensvollen Wellengänge der Geschichte, in denen sich die Gewalt einer großen Bewegung in weitere
Kreise zugleich vertieft und ausbreitet. Es heißt dort: „Diese Kunst — nämlich diejenige Göricanlts und
nach ihm die der Romantiker — war, um es mit einem Worte zu sagen, ihrer innersten Natur nach revo-
lutionär. Ein wilder stürmischer Zug der Umwälzung geht durch ihre Werke; auf dem Gebiete des Geistes
vollzieht sie die umstürzende Erhebung des dritten Standes, welche vorher auf dem des Staates die Revo-
lution vollzogen Hatte. Daß sie erst ein Vierteljahrhunbert nach dieser zum Ausbruch kam, kann nicht be-
fremden. Die Zeit des Aufruhrs und der That ist nicht zugleich die der selbständigen Ent-
wickelnng der Kunst". Nachdem daun David und Gericault Jeder in seiner Bedeutung für die eigen-
thümliche Ausbildung der modernen Malerei verglichen sind, wird das Ergebniß gezogen: „So tritt
zuerst in Gericault das revolutionäre Princip ganz in die Malerei ein, und wie immer
nach der Umwälzung des politischen Lebens der neubefruchtete Boden des geistigen nur
allmälig eine neue Blüte treibt, so begann erst mit ihm der eigenthümliche Aufschwung
der modernen Kunst in Frankreich" (vergl. S. 191). Offenbar hat der Recensent von der großen
Bedentung Görioault's gar keine Ahnung und meinte daher getrost das betreffende Kapitel Überschlagen
zn können.
In jenen Sätzen schon ist ausgesprochen, weshalb David, rein künstlerisch genommen, nicht von durch-
greifender Bedeutung ist, weshalb weiter die Jahre 1789—95 eine „unfruchtbare Zwischenperiode" bildeten.
Daß dennoch er und seine Schule sich wesentlich von der Knust des 18. Jahrhunderts unterscheiden und
trotz einzelner Vorläufer, einzelner Berührungen mit jener am Beginn einer neuen Epoche stehen, ist S. 55,
dann S. 87 ff. zur Genüge auseinandergesetzt. Uebrigens bringt darin mein Buch nichts Neues, wie denn
schon Vischer in seiner Aesthetik — vergl. 3. Theil, S. 747 ff. — das Verhältnis ganz ebenso auffaßt.
Wie aber wollte mein Kritiker die Hauptzweige der modernen französischen Malerei: die romantische
Schule, die idealistische Kunstweise von Ingres und Flandrin, die vermittelnde (und historische) Richtung
von Delaroche, H. Vernet und L. Robert, endlich den neuesten Realismns im Sittenbilde nnd der Landschaft
— aus dem 18. Jahrhundert ableiten? Gewiß, ich wäre der Erste das Kunststück zn bewundern, wenn er
es zu Stunde brächte — ob es gleich nichts Anderes bieße, als den Epochen ihre eigene Seele ausweiden
und sie dafür mit grundlosem Naisonnement ausstopfen. Wenn nun unser Mann meinte, in einem Punkte
wenigstens Recht zn behalten, darin nämlich, daß die neueste klassische Schule auf das 18. Jahrhundert zu-
rückgeführt werden müsse, so hätte er auch hier über das Ziel hinaus geschossen. Diese Schule ist der eigene
Ausdruck der moderuen französischen Gesittung, und sofern die letztere sich berührt mit dem Zeitalter
Ludwig's XV., zeigt anch erstere verwandte Züge mit der Kunst desselben; zugleich aber finden sich, wie die
zweite Hälfte meines Buches darthun wird, wesentliche Unterschiede.
Was endlich „historische Komposition" ist, die der Recensent so gern im Munde führt, in meinem
Werke aber vermißt, das scheint er mir, falls ich aus allen jenen Prämissen den Schluß ziehen darf,
überhaupt nicht zu wissen. Und doch ist die Sache, möchte ich meinen, jedem Gebildeten geläufig. Historische
Komposition ist nicht gewisser Aehnlichkeiten halber ganze Kunstepochen in denselben Topf werfen; viel-
mehr jede sowohl in ihrem Verhältniß zu der voraugegangenen als in ihrer Eigenthümlichkeit nnd aus dem
Charakter ihres Zeitalters begreifen, danu ihre innere Entwickelung und den Zusammenhang ihrer ver-
schiedenen Kunstweisen sowohl unter einander, als mit den allgemeinen Kulturzügen in einem gegliederten
Ganzen darstellen. Wer aber über die Grundbedingungen geschichtlicher Betrachtung so verworrene Gedanken
wie Referent zu Tage bringt, der hat auch kein Urtheil über die Tüchtigkeit eines Werkes nnd die Begabung
seines Verfassers. Daher kann ich das Lob, das der Kritiker dem Buche und seinem Autor schließlich doch
spenden zu müssen glaubt, von ihm so wenig annehmen, als jenen Tadel.
Zeitschrift für bildende Kunst. II.Z
 
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