III. Die Plastik.
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eines ursprünglichen Daseins; allen Reiz legt sie in die flotte Bewegung eines anmuthig entwickelten
Körpers, in den schalkhaften oder naiven Ausdruck eines nichts weniger als klassisch geschnittenen
Kopfes. Die Urheber dieser Richtung sind Rude und Duret, zwei Meister der vorangegangenen
Zeit; nun aber nimmt sie den breitesten Platz ein. Mit genrehaftem und demokratischem Sinn schildert
sie in ihren Einzelgestalten ein fröhliches um alle Ideale unbekümmertes Volk: Fischer und Jäger,
jugendliche Männer bei leichter Feldarbeit oder bei Tanz und Gesang, Bogenschützen, laufende Neger
und spielende Faune. Nicht sowohl in athletenhafter Kraft als in den eleganten Wendungen
eines spielend bewegten Körpers. Dabei ist es ihr namentlich um die weiche Schwellung des Fleisches
zu thun und um den wechselvollen Reiz von Licht und Schatten auf feiner gewellten Fläche. Un-
zweifelhaft gehören gerade diese Leistungen zu den tüchtigsten der neuesten Plastik, und nicht selten
findet sich hier mit einem entschiedenen Talent eine gewisse Virtuosität der Behandlung vereinigt.
Von den hierher zählenden Franzosen sind insbesondere Gumery, Feugsre des Forts, Chapu,
Maniglier, Lequesne, Sanson und Falguiäre zu nennen.
Das sinnliche Element aber, das in diese Plastik schon stark hineinspielt, tritt in einer andern
Anzahl von Werken gerade durch eiue durchsichtige Verhüllung noch entschiedener zu Tage. Es sind
das jene Darstellungen Halbwüchsiger Knaben und Mädchen, aus deren unschuldsvollem Wesen die
greisenhafte Neigung einer überfeinerten Gesittung blickt. Ihre schmächtigen, halb entwickelten
Formen, die im Grunde unplastisch sind, die eben beginnende Rundung der Glieder, der Ausdruck
der noch verschleierten Seele und der noch in kindischem Spiel gefangenen Sinnlichkeit, welche den
berauschenden Duft der aufspringenden Blüte ahnen läßt, — das Alles lockt den Beschauer mit
unreinem Reiz und zieht die Schönheit des Leibes aus dem heimlich schonenden Dunkel ihres stillen
Werdens, noch ehe sie reis ist, auf den öffentlichen Markt. Geschick und Talent sind natürlich auch
hier zu finden; nicht felten ist das naiv befangene Gebaren der Jugend, der lebenswarme Hauch
des Fleisches überzeugend versinnlicht. Auch auf diesem Felde hat sich Gumery durch seine „Jugend"
ausgezeichnet: ein liebliches Mädchen, das mit noch geschlossenen Augen eben erst zum Leben zu
erwachen und schon alle seine Lust mit schwülen Sinnen vorauszuempfinden scheint. Neben ihm sind
Aizelin, Trupheme, Delorme, Gaston-Guitton, Loison und Durochel hervorzuheben.
Auch manche Italiener sind von dem klassischen Wege abgewichen, um sich in die Zierlichkeit
solcher halbreifer Natur zu verlieren. Von ihnen gehören namentlich hierher die Mailänder
Barzaghi und Argenti, der Sienefe Sarocchi, der Römer Andrei und der Genuese Lazzarini.
Bezeichnend für diese ganze Gattung ist vor Allem das schlafende Mädchen von Argenti („ein
Traum bei fünfzehn Jahren"). Natürliche, unbefangene Anmuth ist dem zarten Geschöpfe nicht
abzusprechen; aber zugleich ist es mit allen Sünden gegen die Gesetze der plastischen Schönheit
behaftet. Offenbar arbeitet der Künstler nach einem hübschen Modell, das er sich ausgesucht hat;
aber damit er ja bei der Natur bleibe, nimmt er auch ihre Gebrechen in das Werk seines Meißels
auf, eckige Schultern, zu plötzlich ausgeschweifte Hüften, unflüssige Bewegungen. Ja, auch die
kümmerlichen Zeichen, welche die Noth und Gewohnheit der Realität der Gestalt aufdrücken, weiß
er nicht auszulöschen; daher z. B. die gequetschten Füße, denen man den verunstaltenden Zwang
des Schuh's noch anmerkt.
Wie dieser ganze Naturalismus der Gegenwart gleichsam im Blute liegt, das zeigt seine nun
beginnende Verbreitung bei den übrigen Nationen. Dem Romanen ist die Begeisterung für die
bloße Schönheit des nackten Leibes eingeboren; sie liegt ebenso im Naturell der Race, wie in den
Bedingungen des Klima's. Anders bei den Völkern mit germanischer Ader. Allein auch sie Haben
nun an dem Nackten ihre Freude, ohne daß es durch einen Götternamen oder durch den schützenden
Schild der Antike geadelt wäre. So namentlich die Belgier, von denen vorab Fiers und Sopers
mit Talent in den französischen Spuren gehen. Aehnlicher Art sind die Werke des Amerikaners
Ward, nur daß sie die Eingebornen seines Landes zum Vorwurf nehmen. Sogar die Engländer-
Haben in d'Epinay einen gewandten Vertreter der Richtung. Bei ihnen ist sonst wenig Sinn,
auch abgesehen von den Vorurtheilen ihrer Gesittung, für den in sich befriedigten Reiz der nackten
Form. Vielmehr hat ihre Plastik, wo sie eigentümlich ist, durch irgend eine interessante, aber un-
bildnerische Beziehung einen aparten und grell modernen Anstrich. Der Art ist eine Statne von
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eines ursprünglichen Daseins; allen Reiz legt sie in die flotte Bewegung eines anmuthig entwickelten
Körpers, in den schalkhaften oder naiven Ausdruck eines nichts weniger als klassisch geschnittenen
Kopfes. Die Urheber dieser Richtung sind Rude und Duret, zwei Meister der vorangegangenen
Zeit; nun aber nimmt sie den breitesten Platz ein. Mit genrehaftem und demokratischem Sinn schildert
sie in ihren Einzelgestalten ein fröhliches um alle Ideale unbekümmertes Volk: Fischer und Jäger,
jugendliche Männer bei leichter Feldarbeit oder bei Tanz und Gesang, Bogenschützen, laufende Neger
und spielende Faune. Nicht sowohl in athletenhafter Kraft als in den eleganten Wendungen
eines spielend bewegten Körpers. Dabei ist es ihr namentlich um die weiche Schwellung des Fleisches
zu thun und um den wechselvollen Reiz von Licht und Schatten auf feiner gewellten Fläche. Un-
zweifelhaft gehören gerade diese Leistungen zu den tüchtigsten der neuesten Plastik, und nicht selten
findet sich hier mit einem entschiedenen Talent eine gewisse Virtuosität der Behandlung vereinigt.
Von den hierher zählenden Franzosen sind insbesondere Gumery, Feugsre des Forts, Chapu,
Maniglier, Lequesne, Sanson und Falguiäre zu nennen.
Das sinnliche Element aber, das in diese Plastik schon stark hineinspielt, tritt in einer andern
Anzahl von Werken gerade durch eiue durchsichtige Verhüllung noch entschiedener zu Tage. Es sind
das jene Darstellungen Halbwüchsiger Knaben und Mädchen, aus deren unschuldsvollem Wesen die
greisenhafte Neigung einer überfeinerten Gesittung blickt. Ihre schmächtigen, halb entwickelten
Formen, die im Grunde unplastisch sind, die eben beginnende Rundung der Glieder, der Ausdruck
der noch verschleierten Seele und der noch in kindischem Spiel gefangenen Sinnlichkeit, welche den
berauschenden Duft der aufspringenden Blüte ahnen läßt, — das Alles lockt den Beschauer mit
unreinem Reiz und zieht die Schönheit des Leibes aus dem heimlich schonenden Dunkel ihres stillen
Werdens, noch ehe sie reis ist, auf den öffentlichen Markt. Geschick und Talent sind natürlich auch
hier zu finden; nicht felten ist das naiv befangene Gebaren der Jugend, der lebenswarme Hauch
des Fleisches überzeugend versinnlicht. Auch auf diesem Felde hat sich Gumery durch seine „Jugend"
ausgezeichnet: ein liebliches Mädchen, das mit noch geschlossenen Augen eben erst zum Leben zu
erwachen und schon alle seine Lust mit schwülen Sinnen vorauszuempfinden scheint. Neben ihm sind
Aizelin, Trupheme, Delorme, Gaston-Guitton, Loison und Durochel hervorzuheben.
Auch manche Italiener sind von dem klassischen Wege abgewichen, um sich in die Zierlichkeit
solcher halbreifer Natur zu verlieren. Von ihnen gehören namentlich hierher die Mailänder
Barzaghi und Argenti, der Sienefe Sarocchi, der Römer Andrei und der Genuese Lazzarini.
Bezeichnend für diese ganze Gattung ist vor Allem das schlafende Mädchen von Argenti („ein
Traum bei fünfzehn Jahren"). Natürliche, unbefangene Anmuth ist dem zarten Geschöpfe nicht
abzusprechen; aber zugleich ist es mit allen Sünden gegen die Gesetze der plastischen Schönheit
behaftet. Offenbar arbeitet der Künstler nach einem hübschen Modell, das er sich ausgesucht hat;
aber damit er ja bei der Natur bleibe, nimmt er auch ihre Gebrechen in das Werk seines Meißels
auf, eckige Schultern, zu plötzlich ausgeschweifte Hüften, unflüssige Bewegungen. Ja, auch die
kümmerlichen Zeichen, welche die Noth und Gewohnheit der Realität der Gestalt aufdrücken, weiß
er nicht auszulöschen; daher z. B. die gequetschten Füße, denen man den verunstaltenden Zwang
des Schuh's noch anmerkt.
Wie dieser ganze Naturalismus der Gegenwart gleichsam im Blute liegt, das zeigt seine nun
beginnende Verbreitung bei den übrigen Nationen. Dem Romanen ist die Begeisterung für die
bloße Schönheit des nackten Leibes eingeboren; sie liegt ebenso im Naturell der Race, wie in den
Bedingungen des Klima's. Anders bei den Völkern mit germanischer Ader. Allein auch sie Haben
nun an dem Nackten ihre Freude, ohne daß es durch einen Götternamen oder durch den schützenden
Schild der Antike geadelt wäre. So namentlich die Belgier, von denen vorab Fiers und Sopers
mit Talent in den französischen Spuren gehen. Aehnlicher Art sind die Werke des Amerikaners
Ward, nur daß sie die Eingebornen seines Landes zum Vorwurf nehmen. Sogar die Engländer-
Haben in d'Epinay einen gewandten Vertreter der Richtung. Bei ihnen ist sonst wenig Sinn,
auch abgesehen von den Vorurtheilen ihrer Gesittung, für den in sich befriedigten Reiz der nackten
Form. Vielmehr hat ihre Plastik, wo sie eigentümlich ist, durch irgend eine interessante, aber un-
bildnerische Beziehung einen aparten und grell modernen Anstrich. Der Art ist eine Statne von