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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Korrespondenz. Aus Dresden.Die Gothik - Aus den Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0041

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Korrespondenz.
Aus Dresden.
Die Gothik. — Aus den Sammlungen.
Im November.
Lieber Freund! Da ich das Glück hatte, einmal wieder ein paar Tage in dem vielbesuchten Dresden
zuzubringen, so lassen Sie mich Ihnen einige von meinen Beobachtungen mittheilen, mit denen
hoffentlich der Tourist Ihrem stäudigen Berichterstatter nicht in die Quere kommen wird. Diese
Mittheilungen betreffen zwei Dinge. Zum ersten die Gothik — die Gothik in Dresden!
Sie wissen, daß ich mit der Gothik persönlich nicht grade aus unfreundlichem Fuße stehe und mich
ganz wohl mit ihr vertragen kann, aber was Dresden betrifft, so muß ich die Lauze gegen sie kehren.
Und zwar geschieht dies für das Rokoko, diesen nun schon geraume Zeit depossedirten Regenten, aus deu
in den letzten Jahrzehnten auch alles hiugeschlagen hat, ohne es in allem besser zu macheu, der, ohne
alle Freundschaft bei den hohen Kunstgewalten, nur noch in den Herzen feiner niedersten Unterthanen,
im gewöhnlichsten bürgerlichen Hausgeräth, eine kaum noch bewußte Eriunerung sich bewahrt hat.
Wenn eine deutsche Stadt noch einen einheitlichen Baucharakter trägt, so ist es das alte
Dresdeu. Ich sage dies selbst Nürnberg gegenüber, dessen gesammte kirchliche Kunst fast ausnahmslos
mittelalterlich ist, dessen civile Bauten aber, zumal die Wohnhäuser und die Mauern, fast ebenso
ausnahmslos der Renaissance angehören. Zwei entgegengesetzte Stile also halten sich hier die Wage.
Dagegen ist in Dresden das ganze Mittelalter gleich Null; seiue Kunst, soweit sie noch vorhanden
ist, beginnt erst etwa mit dem Jahre 1550 oder kurz vorher, also überhaupt mit dem Ausleben der
deutfchen Renaissance, und endet gegen den Ausgang des 18. Jahrhunderts. Dieser Zeit von
etwas über zweihundert Jahren aber können wir insoweit sicherlich einen Harmonirenden Kunst-
charakter zuschreiben, als Barockstil und Rokoko nicht als Gegner der Renaissance entstanden, sondern
nur als eiue Art üppiger Verwilderung aus ihr Hervorgegaugen sind und die Grundzüge dieser
Abstammung noch auf das deutlichste an sich tragen. Ist das schon richtig, so wird in Dresden der
harmonische Eindruck des architektonischen Charakters noch dadurch erhöht, ja zu einem geschlossenen
gemacht, daß die Ueberreste der eigentlichen Renaissance fast unbedeutend sind im Vergleich mit dem,
was die Zeit der Auguste im blühendsten Stil des Rokoko geschaffen hat. Ja diese Schöpfungen
sind an Zahl, an Kunstaufwand, an Bedeutung fo Hervorragend und fo originell in der Erfindung
zugleich, daß Dresdeu als die eigentlichste und ächteste Stadt des Rokoko in Europa überhaupt
betrachtet werden kann. Die Auguste erst Habeu Dresden geschaffen, feine große und feine kleine
Kunst, seine Kirchen und Paläste, seine Sammlungen, seine Figuren in Stein und seine Figürchen
in Porzellan. In diesem Sinne ist Dresden ein Ganzes und giebt ein harmonisches Bild, das wahr-
lich, wie das Rokoko überhaupt, uicht blos kulturhistorische Reize besitzt.
Was also iu Dresden diesem Geiste widersprechend gebaut wird, das stört seiueu Charakter,
ist ein Flecken auf dem Bilde uud verriugert feinen Reiz. Damit will ich jedoch für die Neubauten
in Dresden nicht etwa das Rokoko, wie es in der Ungebundenheit des Zwingers lebt, empfohlen
Haben; man kann und muß die wilden Auswüchse abschueideu und aus eiue edle, blühende Renaissance
zurückkehren, wofür uns die besten Mnster auf der Heidelberger Burg im Otto-Heinrichs- und im
Ruprechtsban erhalten sind, eine Renaissance, von deren zierlicher Ornamentik im Stil der Klein-
meister auch das Schloßthor in Dresden noch einige Ueberreste bewahrt. Man muß das Rokoko auf
feinen edlen Ursprung zurückführen, ohne eine disharmonirende Wirkung eintreten zu laffen. Das
ist es, was Semper mit feinem Theater und der Galerie richtig erkannt nnd durchgeführt hat.
Weichen hiervon fchon die nüchternen Zinshäuser des euglischeu Viertels mit wenigen Aus-
nahmen durch ihre moderue Charakterlosigkeit ab, während einzelne Landhäuser sich der Stadt uud
der Natur gefällig aufchließen, fo ist volleuds die Gothik an diesem Orte ganz und gar unan-
gemessen. Sie ist auch glücklich feru gehalten worden, bis sie in jüngster Zeit in zwei Hauptbauten
Platz gegriffen hat, in dem Gebäude ves Gymnasiums 'der Kreuzschule und in der Restauration oder
dem Znbau der Sophienkirche. Müssen wir diese beiden Bauten schon deshalb an diesem Orte ver-
wersen, blos weil sie gothisch sind, so haben wir uns auch noch insofern gegen sie zu erklären, weil
sie ihren Stil ungenügend in Anwendung gebracht haben.
Wer in Dresven gothisch bauen will, der muß bedenken, daß er in anderem Stil Werke neben seinem
Werke findet, die, was immer ihre Fehler sein mögen, von bedeutender architektonischer Wirkung
sind, ja selbst wie der Zwinger von origineller Phantasie und unter Umständen von poetischer Kraft
Zeugniß ablegen. Er muß also trachteu, ihnen mit gleicher Wirkung, mit gleichen Kräften ent-
gegen zu treteu, soll sein Werk sich neben jenen behaupten. Das gilt aber durchaus nicht von dem
jedenfalls auf das Bedeutende angelegten Anban der alten gothischen Sophienkirche, die eine Fayade
mit zwei durchbrochenen Thürmen erhalten Hat. Diefe an sich fchon in ihrer Art unschöne, mit
schmucklosen Fenstern versehene Kirche, die mit ihren zwei gleichhohen Schiffen unvollendet erscheint
 
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