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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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M. O.: [Rezension von: G. F. Waagen, Die vornehmsten Kunstdenkmäler in Wien]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0068

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Die vornehmsten Knnstdenkmäler in Wien. Von G. F. Waagen.

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sogar in Frankreich wirklich gemacht hat, daran zweifle ich keineswegs, sowie ich auch überzeugt bin,
daß seine Bücher nicht minder als seine Persönliche Wirksamkeit zu diesem Resultat wesentlich beige-
tragen haben. Daß aber andererseits der Zustand der Dinge in Wien nicht nur, sonderu in
Deutschland überhaupt iu der augesührten Beziehung sehr viel zu wüuschen übrig lasse, das ist für
mich ebenfalls eine ausgemachte Sache. Wie oft hat mich, wenn ich beim Besuche des Belvedere
oder der Pinakothek im Geiste mir die Schaaren vergegenwärtigte, die in den Räumen des Louvre
oder der Trafalgar- Square-Gallery sich drängen, ein wehmüthiges Gefühl beschlichen: unsere
deutschen Zustände erschienen mir als gar zu trostlos, so zu sagen an Barbarei streifend. Wenn ich
behaupte, daß die beiden letztgenannten Anstalten tagtäglich von Tausenden besucht werdeu, so ist
dies keineswegs Uebertreibung, wie Jeder weiß, der Paris und London kennt. Und wie steht cs da-
gegen bei nns? Kann man da nicht die Besucher der öffentlichen Bildergalerien, felbst die Fremden
eingerechnet, sehr bequem zählen, sofern überhaupt etwas zu zählen ist? Das Leben der Bewohner
so mancher deutschen Stadt, die sich wohl gar für einen Heerd der Bildung, für eine Pflanzschule der
Kunst hält, dreht sich in sehr engem Kreise und mit einer geisttödtenden Regelmäßigkeit, die das
Zwingende eines Naturgesetzes angenommen hat. Es ist sür Bedürsniß und Erholung, für Hunger
und Durst (namentlich für den Durst) gesorgt; Theater und Concertsaal, Tanzvergnügungen nnd eng-
lische Reiter, nichts ist vergessen, aber unter Tausenden ist kaum Einer, der die Bildergalerie ans
sein Programm schriebe. Nnd wie viele Künstler selbst, die nicht einmal im Jahre sich den Genuß
verschaffen, oder das Bedürfniß fühlen, ein altes Bild anzufehen !*) — In das Einzelne einzugehen,
erlaubt uns die Natur des vorliegenden Buches nicht, das begreiflicher Weise aus lauter Eiuzelheiteu
besteht, indem nicht viel weniger als 1500 Bilder, allen Zeiten und Schulen angehörig, darin ge-
prüft, besprochen und kritisch gewürdigt werden. Wollten wir unsererseits jedes hier abgegebene
Urtheil abermals kritisch in's Auge sasseu, wo ließe sich da eiue Grenze sinden? Zudem bürgt das
Ansehen und der weitverbreitete Ruf des Verfassers, dessen langjährige Beschäftigung mit solchen
Untersuchungen, so wie dessen bekannte Einsicht und Gewissenhaftigkeit für die möglichst befrie-
digende Lösung der so anstrengenden und verwirrenden Aufgabe, wozu die Elemeute hänfig unter
äußerlich ungünstigen und erschwerenden Uniständen zusammengetragen werden müssen. Hundert-
mal sind wir versucht, bei einer erschöpfenden Beschreibung, einer scharfsinnigen Deutung, einer ge-
lungenen Bemerkung Beifall zu klatschen, nnd unr sehr selten nnd ausnahmsweise begegnet es nns,
auf ein Urtheil zu stoßen, das uns als ungegründet und irrthümlich erscheinen will. Letzteres ist
beispielsweise der Fall mit zwei Bildern, die an derselben Wand im siebenten Saale des Belvedere
Hängen. Nr. 7 desselben erscheint mir, im entschiedenen Gegensätze zu der Ausicht des Vers., als
eines der Meisterwerke des Luca Signorelli, von ungewöhnlich sorgfältiger Vollendung, während
ich in Nr. 18 nur eiue schwächere Wiederholung (Kopie) von kreidig fahlem Tone sehe, die noch
dazu verriebeu ist. Das unvergleichlich schöne Original dieses sogenannten Velazqnez, Philipp 1K.
in späteren Lebensjahren vorstellend, ist 1865 erst aus der fürstlich Demidoffsehen Sammlung in
die National Galerie in London übergegangen. — Im zweiten Saale der Niederländer hängen unter
Nr. 30, 35 und 49, und als Caspar Dughet bezeichnet, drei Landschaften, von denen keine einzige
dem Stile dieses gallo-römischen Meisters entspricht. Die beiden ersten werden ihm auch vou dem
I Die Thatsache des geringeren Besuches der Galerien von München und Wien dürfte denn doch wobl
nicht allein der minderen Entwickelung des Kunstsinnes der Bevölkerungen, sondern hauptsächlich auch der
ungünstigen weit entfernten Lage der betreffenden Galerien znznschreiben sein, während andererseits sowohl
das Lonvre als die Londoner Nationalgalerie in den Mittelpunkten des Verkehrs liegen. Die Vortheile dieser
Lage hat man übrigens jetzt auch in Wien bei dem Plan für das nene Galeriegebäude in's Auge gefaßt, nnd
darf dafür unter Anderem die bei dem Oesterreichischen Museum gemachten Erfahrungen als günstige Gewähr
in Anschlag bringen. Dieses Museum wird notorisch im Durchschnitt monatlich von 10,000 Personen aller
Stände besucht; an Sonntagen ist der Andrang häufig ein so starker, daß burchstäblich kein Apfel znr
Erde fallen kann. Und dabei darf endlich der enorme Unterschied nicht anßer Acht gelassen werden, der
speciell zwischen Wien und Paris hinsichtlich des Fremdenverkehrs besteht. In Wien verkehren jährlich
nach amtlichen Erhebungen nicht mehr als — 8000 Fremde; werden wir sehr weit fehl greifen mit der
Behauptung, daß in Paris deren täglich ebenso viele verkehren? Und welch' ein Kontingent stellen wohl
diese allein ziun Lonvre-Besnch?! A. d. H.
 
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