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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Springer, Anton: Hans Holbein und sein neuester Biograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0091

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ßs )Hans Holbein und sein neuester Biograph.
Herrlichkeit schöner Formen wiederzugeben außer Stande sind, desto gefügiger dagegen sich jeder
Regung der Phantasie anschmiegen, das Bild inhaltreich gestalten. Gemeinsam mit der italieni
schen Renaissance hat diese Kunstrichtung den Bruch mit der mittelalterlichen Tradition, die durch-
greifende Macht der künstlerischen Persönlichkeit, von welcher die ganze Schöpfung ansgeht, deren
eigenthümliches Denken und Empfinden zunächst das Kunstwerk wiederspiegelt, und endlich den Zu-
sammenhang mit dem Humanismus. Was Woltmann ganz treffend von Holbein's Zeichnungen der
Passion Christi hervorhebt, daß hier nicht kirchlicher, sondern historischer Geist weht, daß in der
Darstellung das rein Menschliche ausschließlich betont wird, gilt mehr oder weniger von der ganzen
Gattung. Aehnlich wie in Italien das Schönheitsgefühl, das aus jedem Renaifsaucewerke spricht,
als persönliches Eigenthum des Künstlers angesehen werden mnß, wir hier in jedem Bilde das
Produkt einer bestimmten Individualität besitzen, so wurzeln auch die sinnigen Gedankenspiele, die
eckigen Charaktere, das dramatische Znspitzen, das epische Ausspinnen uralter Borstellungskreise,
welches die deutsche Kunst des sechszehnten Jahrhunderts offenbart, in der persönlichen Bildung der
Meister. Und wenn schließlich zwischen den italienischen Humanisten und Nenaissancekünstlern ein
enges Band sich knüpft, so fehlt es auch in Deutschland nicht an inneren Weckselbeziehungen
zwischen Humanisten und Künstlern. Als Vermittler treten die Basler, Straßburger Buchdrucker
auf, die nach beiden Richtungen hin sich thätig erweisen, humanistische Schriften durch reiche künst-
lerische Illustration zu heben sich bemühen. Besitzen wir auch noch keine monographische Schilde-
rung der illustrirten Bücher des 16. Jahrhunderts, so wissen wir doch so viel, daß die letzteren in
der Geschichte des Holzschnittes eine große Rolle spielen, den illustrirten biblischen Schriften aber
an Zahl und Bedeutung die mit Holzschnitten, Vignetten, Initialen, Bordüren, Leisten geschmückten
Uebersetzungen klassischer und italienischer Autoren gleich kommen. Eins ging mit dem Anderen
Hand in Hand. Die reiche literarische Thätigkeit, die im Gefolge der humanistischen Bewegung sich
zeigt, förderte den Holzschnitt, dieser wieder machte die humanistischen Schriften schon für das Auge
anziehend und verbreitete sie in weiteren Kreisen.
Wir haben also ein wohlbegründetes Recht, auch dort von einer Renaissance zu reden, wo die
Formfreude und das Verständniß der idealen Körperschönheit nicht ausschließlich waltet. In dieser
deutschen Renaissance, die freilich bald zur Reformation umbog, steht nun als bahnbrechender Meister
Dürer obenan. Dürer hat zuerst dem Kupferstiche und Holzschnitte die Fähigkeit, bestimmte Ge-
dankenkreise vollendet zu verkörpern, verliehen, diese beiden technischen Weisen zu künstlerischer Be-
dentsamkeit erhoben, zuerst die biblischen Vorstellungen menschlich gefaßt, den poetischen, bald
idyllischen, bald dramatischen Kern derselben blosgelegt nnd die Rechte der künstlerischen Indivi-
dualität zu Ehren gebrackt. In diesem Sinne kann ihm Niemand den Namen des ersten deutschen
Nenaissancekünstlers streitig machen. Da ist und bleibt Holbein bei aller genialen Selbständigkeit
doch nnr sein Nachfolger. Aber während Dürer in seinem dnrch Melanchthon uns überlieferten Ge-
ständnisse nur theoretisch die Einfachheit und die Harmonie und das Ebenmaß als die Konsequenz
seines Strebens anerkennt, hat Holbein auch praktisch diesen Prozeß vollzogen und somit ist
Woltmann vollkommen berechtigt, Holbein als den eigentlichen Renaissancekünstler auszurufen.
Man muß die kulturhistorische und die spezifisch-ästhetische Renaissance auseinander Halten, um
beiden Künstlern, Dürer und Holbein, gerecht zu werden.
Hält man diesen Unterschied fest, so gewinnen manche Thatsachen eine natürliche Erklärung.
Dürer's Wirken greift über die unmittelbaren Grenzen der Kunst hinaus, feine Persönlichkeit ist die
reichere, dieselbe haftete daher auch tiefer in der Erinnerung der Zeitgenossen; selbst seine Schwächen
sind weniger individuelle Mängel, als Eigenthümlichkeiten seiner Zeit und seines Volkes, das sich
auf solche Weise in dem Meister vollständig wiedergespiegelt erkennt, sein Andenken dankbar bewahrt.
Holbein's geschlosseneres Wesen und entschieden malerischer Blick förderte die Vollendung jedes ein-
zelnen Werkes. In dem Maße jedoch, als er sich der italienischen, formschönen Renaissance näherte,
verlor er den Zusammenhang mit der deutschen Anschauungsweise. Eine aristokratisch angelegte
Natur, wurde er nur von den Besten, von den harmonisch Gebildeten vollkommen verstanden. Sein
persönliches Schicksal wurzelt nicht so fest im heimischen Boden; ohne Schaden für seine Entwickelung
kann er feinen Aufenthalt wechseln, feiner Empfänglichkeit stets neue Anregungen zuwenden. Doch
 
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