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Zeitschrift des Badischen Kunstgewerbevereins zu Karlsruhe — 6.1895

DOI Artikel:
Buss, Georg: Das Haus des deutschen Reichstages, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3803#0111

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DAS HAUS DES DEUTSCHEN REICHSTAGES.

Höhe beiderseits eines jeden Giebels auf schlank aus den
Eckpfeilern des Risalits entwickelten, hoch über die
Attika ragenden Postamenten frei und kühn thronen.
Ein gekröntes und reich geschmücktes Schild mit dem
Initial des Kaisers ziert die Vorderseite eines jeden
Postaments. (S. Abb. S. 79 und S. 80.)

Idealer, hoch strebender Sinn durchströmt lebendig
diesen wahrhaft packenden Aufbau. Figuraler Schmuck
gibt ihm noch eine besondere Weihe. Über dem Süd-
eingange, den die Eeichstagsboten benutzen, ruht die
von Klein-Berlin modellirte, in Stein gemeißelte Alle-
gorie der Stärke, dargestellt durch einen neben der
Kaiserkrone ruhenden gewaltigen Löwen, dessen eine
Vorderpranke auf dem mit „Elsass" beschriebenen
Reichsapfel ruht und unter dessen Schutz Genienknaben
die Reichsfahne aufpflanzen. (S. Abb. S. 83.) Über

Eingangs-Portal von der Südvorhalle zu den Bundesratgräumen.
Modellirt von August Vogel.

dem Nordeingange, der vom Publikum und von den Be-
amten benutzt wird und die Durchfahrt zu den beiden
Höfen bildet, lagert die von Brütt-Berlin modellirte Ge-
stalt der Wahrheit, ein die Pracht des Leibes unver-
hüllt zur Schau tragendes, ernst und tief blickendes
Weib, das, von einem zu seinen Füßen hockenden Jüng-
ling begeistert angestaunt, sich halb aufgerichtet mit
der Linken auf eine Erdkugel stützt und mit der Rechten
hoch über seinem Haupte, auf dem der Stern funkelt,
die lichtspendende Fackel hält.

Eine weitere Steigerung der Wirkung durchströmt
die Türme. Ikre Lage an den Ecken der Baumasse
lässt ihre scharf ausgeprägte, meisterlich gezeichnete
Silhouette zu großartiger Geltung gelangen. In trotziger
Unbezwingbarkeit scheinen sie den Druck der Kuppel,
deren vier Gräte gegen sie gerichtet sind, spielend auf-
zunehmen. An jedem von ihnen ragt an den beiden
äußeren Seiten voll und frei ein mächtiges Säulenpaar
empor, das oben das vorgekröpfte Gebälk des Haupt-
gesimses trägt. Zwischen sich schließt das Säulenpaar
eine gewaltige Rundbogenöffnung ein, in welche unten
ein von Säulen flankirtes Giebelfenster eingestellt ist
und oben zwei gesockelte Steinpfosten den Rundbogen
teilen. Die noch immer bedeutende Öffnung des Giebel-
fensters hat wiederum eine dreigeteilte Einstellung in
Sandstein mit nach außen auf die Plattform führen-
den Glasthüren erhalten, ganz wie sie die großen Licht-
öffnungen des Hauptgeschosses in der Front am Königs-
platz aufweisen. So sind die großen Massen und ins-
besondere die ausgedehnten Lichtöffnungen wahrhaft
genial gegliedert und geteilt, kaum dass dem Auge auf-
fällt, wie bedeutend die Dimensionen sind. Aber weiter
— oberhalb der Säulenriesen stehen über dem vorge-
kröpften Hauptgesims auf Postamenten mächtige Statuen
und hinter ihnen steigt in einem zweiten Absatz der
freistehende Turmkörper hinan: erst ein Sockel mit um-
rahmter Inschriftenfläche, dann Pilaster und dorisch ge-
drungene Dreiviertelsäulen, diese als trennende Glieder
dreier Rundbogenfenster, und über ihnen, 39,68 Meter
über dein Erdboden, ein abschließendes Gesims mit der
in umrahmte Felder geteilten und zwischen Festons von
Palmettenmasken gekrönten Attika, auf deren Ecken die
von Brütt lebensvoll modellirten prächtigen Putten-
gruppen Kaiserkronen hoch in die Luft recken.

Klar und folgerichtig entwickelt sich ein stützen-
des Glied aus dem andern zu imposanter Höhe. Der
reiche flgurale und ornamentale Schmuck steigert den
Eindruck festlicher Pracht. Von den 3,80 m hohen,
kühn und frei vorstehenden Statuen auf den Verkröpfun-
gen über den Säulen weisen am Südwestturm, in dem
sich einer der Restaurationssäle befindet, „Ackerbau"
und „Viehzucht" von Prof. Otto Lessing und „Wein-
bau" und „Bierbrauerei" von R. Diez-Berlin auf die
Gewerbe der Volksernährung, am Nordwestturm, der
den großen Schreibsaal der Reichstagsboten enthält,
 
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