DAS HAUS DES DEUTSCHEN REICHSTAGES.
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I
'TW,
3S
wertung der Heraldik,
die hier nach langer
Zeit einem verzopften
Kanon enthoben und
wirklich weiter geführt
ist, und nicht zum ge-
ringsten in der Art,
wie hier an Stelle des
üblichen indifferenten,
nichtssagenden Orna-
ments ein solches ge-
setzt ist, das Gedanken
offenbart, gleichsam re-
det und dem Geiste des
BeschauersBedeutungs-
volles mitteilt, und in
vielem anderen strömt
diese schöpferischeKraft
machtvoll aus. Ja, wer
Augen hat, zu sehen,
der sehe! Seine lichte
Freude wird er an der
Meisterschaft h aben, mit
der das Typische in
jedem Schmuckmotiv, in
jedem Adler, in jedem
Kopf hervorgehoben ist.
Weichliche Verschwom-
menheit, wohl abgerun-'
dete, gleichsam glatt
gedrechselte Formen
finden sich nicht. Die
straffe Energie, die den
ganzen Bau durch-
dringt, offenbart sich
auch in allen Details.
Lessing und Widemann,
von denen der orna-
mentale Beichtum der
Fronten modellirt wur-
de, haben trefflich ver-
standen, diesen kerni-
gen Geist Wallot'scher
Kunst zum Ausdruck
zu bringen. Scharf ist
beim Modelliren Fläche
gegen Fläche abgesetzt,
auf dass die bedingende
Hauptform zu klarem Ausdruck kommt — die von Lessing
modellirten Adler auf den Postamenten über dem Ri-
salit der Süd- und Nordfront und die von Widemann
modellirten Köpfe in den Schlusssteinen der Fenster
der Westfront und der Türme seien daraufhin ange-
sehen. Eine solche Behandlung sichert der ornamen-
talen Dekoration eine weite Fernwirkung und den Reiz
M
Horme (Fensterpfosten) über dem
Eingang in die Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.
eines malerischen Spiels zwischen tiefem Schatten und
hellem Licht. Den Modellen entsprechend haben auch
die Steinmetzen gemeißelt. In Wahrheit, auch als eine
Musterleistung ersten Banges hinsichtlich der Meißel-
arbeit steht der Reichstagsbau da, zumal die Eigen-
schaften des Materials, das aus Alt-Warthauer, Cudo-
waer, Burgreppacher, Nesselberger und Teutoburger
Wald-Sandstein besteht, gleichfalls mit höchstem Ver-
Säulenkapitäl am Eingang in die Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.
ständnis beachtet sind. Geradezu Bedauern weckt der
Gedanke, dass nun, da der Bau vollendet ist, so manche
tüchtige Kraft, die sich an diesen Sandsteinblöcken mit
Hammer und Meißel erprobt, Berlin den Rücken ge-
wandt hat.
Und nun das Innere des Baues! Würdig, feierlich,
echt monumental ist die Stimmung, von welcher Seite
auch das Gebäude betreten wird. Mit feinstem künstle-
rischen Gefühl ist der Übergang von außen nach innen
durchgeführt. In den Vorhallen und in der großen
Wandelhalle rauscht nochmals die gewaltige Musik der
Steinarchitektur dahin, um alsdann in den Sälen mil-
deren Tönen zu weichen.
Konsole über den Säulen der Stirnseite der Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.
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I
'TW,
3S
wertung der Heraldik,
die hier nach langer
Zeit einem verzopften
Kanon enthoben und
wirklich weiter geführt
ist, und nicht zum ge-
ringsten in der Art,
wie hier an Stelle des
üblichen indifferenten,
nichtssagenden Orna-
ments ein solches ge-
setzt ist, das Gedanken
offenbart, gleichsam re-
det und dem Geiste des
BeschauersBedeutungs-
volles mitteilt, und in
vielem anderen strömt
diese schöpferischeKraft
machtvoll aus. Ja, wer
Augen hat, zu sehen,
der sehe! Seine lichte
Freude wird er an der
Meisterschaft h aben, mit
der das Typische in
jedem Schmuckmotiv, in
jedem Adler, in jedem
Kopf hervorgehoben ist.
Weichliche Verschwom-
menheit, wohl abgerun-'
dete, gleichsam glatt
gedrechselte Formen
finden sich nicht. Die
straffe Energie, die den
ganzen Bau durch-
dringt, offenbart sich
auch in allen Details.
Lessing und Widemann,
von denen der orna-
mentale Beichtum der
Fronten modellirt wur-
de, haben trefflich ver-
standen, diesen kerni-
gen Geist Wallot'scher
Kunst zum Ausdruck
zu bringen. Scharf ist
beim Modelliren Fläche
gegen Fläche abgesetzt,
auf dass die bedingende
Hauptform zu klarem Ausdruck kommt — die von Lessing
modellirten Adler auf den Postamenten über dem Ri-
salit der Süd- und Nordfront und die von Widemann
modellirten Köpfe in den Schlusssteinen der Fenster
der Westfront und der Türme seien daraufhin ange-
sehen. Eine solche Behandlung sichert der ornamen-
talen Dekoration eine weite Fernwirkung und den Reiz
M
Horme (Fensterpfosten) über dem
Eingang in die Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.
eines malerischen Spiels zwischen tiefem Schatten und
hellem Licht. Den Modellen entsprechend haben auch
die Steinmetzen gemeißelt. In Wahrheit, auch als eine
Musterleistung ersten Banges hinsichtlich der Meißel-
arbeit steht der Reichstagsbau da, zumal die Eigen-
schaften des Materials, das aus Alt-Warthauer, Cudo-
waer, Burgreppacher, Nesselberger und Teutoburger
Wald-Sandstein besteht, gleichfalls mit höchstem Ver-
Säulenkapitäl am Eingang in die Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.
ständnis beachtet sind. Geradezu Bedauern weckt der
Gedanke, dass nun, da der Bau vollendet ist, so manche
tüchtige Kraft, die sich an diesen Sandsteinblöcken mit
Hammer und Meißel erprobt, Berlin den Rücken ge-
wandt hat.
Und nun das Innere des Baues! Würdig, feierlich,
echt monumental ist die Stimmung, von welcher Seite
auch das Gebäude betreten wird. Mit feinstem künstle-
rischen Gefühl ist der Übergang von außen nach innen
durchgeführt. In den Vorhallen und in der großen
Wandelhalle rauscht nochmals die gewaltige Musik der
Steinarchitektur dahin, um alsdann in den Sälen mil-
deren Tönen zu weichen.
Konsole über den Säulen der Stirnseite der Wandelhalle.
Modellirt von Professor 0. Lessing.