Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Badischen Kunstgewerbevereins zu Karlsruhe — 6.1895

DOI Artikel:
Groth, Ernst: Das Kunstgewerbe als Nährquelle für das Handwerk
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3803#0186

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
150

DAS KUNSTGEWERBE ALS NÄHRQUELLE FÜR DAS HANDWERK.

Vase aus der Königlichen Porzellaiimanufaktur
in Meißen.

Die auf diese Verbindung gerichteten Bestrebungen
beherrschen gegenwärtig alle Kulturvölker. Soeben ist
in Übersetzung ein vortreffliches Buch von zwei belgi-
schen Architekten Blockhuys und Gervais erschienen
„Das Kunstgewerbe" (Neuwied und Leipzig, Schupp).
Es ist infolge einer vom Provinzialrat in Antwerpen
ausgeschriebenen Preisbewerbung entstanden, und die
Verfasser nennen es ein Volksbuch. In der Einleitung
wird über den Rückgang und den trostlosen Zustand
des einst blühenden belgischen Handwerks gesprochen,
und die Verfasser sagen: „Die Anwendung der Dampf-
kraft aus den Gewerben zu verbannen, die Maschinen
zu zertrümmern oder doch zum Stillstand zu verurteilen,
davon kann fürwahr keine Rede sein. Das ist aber auch
ganz und gar nicht nötig. AVas aber gut möglich ist,
was geschehen kann, geschehen mnss, dass ist, den Hand-
werker mit Hülfe von Kunstkenntnis, Kunstsinn und des
guten Geschmackes über die Maschinen zu erheben.
Welche Wunder auch die Dampfkraft verrichtet, es bleiben
auf dem Gebiete der Kunst noch Hunderte von Dingen,
die nur die Menschenhand verfertigen kann, die einer
geschickten Hand bedürfen. Um aber den einfachen

Handwerker zum Kunsthandwerker heranzu-
bilden, müssen wir ihn durch Wissenschaft
und Kunstkenntnis, durch Belehrung über das
Schöne im allgemeinen und für sein Handwerk
insbesondere dazu anleiten. Mit anderen Wor-
ten: Wir müssen ihn einweihen in die Geheim-
nisse des Kunstgewerbes, denn darin liegt seine
Erhebung über die Maschinenarbeit und zu-
gleich seine Rettung."

Diese wohlthätige Verbindung von Hand-
werk und Kunst hat es früher thatsächlich
gegeben. In den alten Werkstätten der roma-
nischen und der gotischen Perioden und auch
noch in den Zeiten der Renaissance kannte
man eine Kluft zwischen beiden nicht. Man
braucht nur an Männer wie Michael Wohlge-
muth, Albrecht Dürer, und Hans Holbein den
Jüngeren zu erinnern, die neben der hohen
Kunst auch das Handwerk pflegten; ferner
au die Meister Aldegrever, Sebald Beham, An-
ton Eisenhut, Hans Mielich und vor allem Wen-
zel Jamnitzer, dessen schönstes Werk, der sog.
Merkel'sehe Tafelaufsatz, die großartigste
Schöpfung des deutschen Kunstgewerbes, in
diesem Jahre von den Rothschild'schen Erben
leider nach Paris geschafft worden ist. Von
jedem Zunftmeister wurde verlangt, dass er
in seinem Handwerk das Beste, das künstlerisch
Gediegene leistete. Die Bezeichnungen Kunst-
schlosser, Kunsttischler, Kunstdrechsler u. s. w.
waren damals unbekannt, denn jeder Meister, wollte er
damals nicht als Böhnhase oder Pfuscher behandelt werden,
musste auch die Kunst seines Gewerbes gründlich kennen,
eine Kunst, die nicht auf Akademien und Schulen gelernt
wurde, sondern die sich jeder Lehrling und Geselle in
der praktischen Arbeit, in der Werkstatt seines Meisters
anzueignen hatte. Diese alten Meister gehörten damals
zu den Trägern der geistigen Bildung, sie waren der
Kern des deutschen Volkes, daher auch ihr Selbstgefühl, ihr
Bürgerstolz, ihre Macht gegenüber den beiden andern
Ständen, der Geistlichkeit und dem Adel.

„Künstlerischer Sinn und künstlerische Freiheit",
sagt der Kunsthistoriker Schnaase in der Geschichte der
bildenden Künste, „waren selbst auf die Männer über-
gegangen, welche den schweren Hammer zu führen und
das spröde Eisen zu schmieden hatten. So sehen wir
die Kunst nicht als das Eigentum weniger, vorzugsweise
begabter und sorgfältig durchgebildeter Geister, sondern
als ein Gemeingut aller, die irgendwie für höhere Zwecke
mitzuarbeiten berufen waren; in ihren höchsten Leistungen
so bescheiden, dass die Urheber nicht einmal daran ge-
dacht haben, ihr geistiges Eigentum zu bezeichnen; in
den bescheidensten Aufgaben noch so rege, dass sie auch
ihnen ein eigentümliches Gepräge in künstlerischer Form
zu geben wussten."
 
Annotationen