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Zeitschrift für christliche Kunst — 1.1888

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449

1888.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

450

Geschichte des Barockstils in Deutschland
von Cornelius Gurlitt. Vollständig in ca. acht
Lieferungen ä M. 1,40. Stuttgart, Ebner & Seubert.
Erste Lieferung.

Unser Jahrhundert eilt zum Abschlüsse, und sein zu-
rückschauendes Schaffen ist beim Barock angekommen.
Da greift man gerne nach einer Geschichte dieses Stiles.

Das vorliegende erste Heft derselben gibt ohne
einleitende Abgrenzung und Eintheilung des Stoffes
das 1. Kapitel: „Der Jesuitenstil" und vom 2. Kapitel:
„Der protestantische Barockstil" einen Theil. Nach
diesen Ueberschriften zu schliefsen ist die bislang be-
liebte Eintheilung nach Territorien vom Verfasser auf-
gegeben zu Gunsten einer solchen nach konfessionellen
Gesichtspunkten. Ob diese letztere zur Vermeidung
von Wiederholungen und Vorwegnahmen geeigneter
sei, mufs man wohl bezweifeln, nachdem im 1. Kapitel
die Salzburger Bischofsbauten und die vom Fried-
länder beherrschte Prager Bauthätigkeit jener Zeit, im
2. Kapitel die Münchener Residenz besprochen worden
sind. Als wichtig und erschöpfend kann sie aber offen-
bar nur dann erscheinen, wenn Jesuitismus und Katholi-
zismus getrennte Begriffe sind, und die damals so scharf
in Meinungen und Thaten getrennten Lutheraner und
Reformirten unter dem Gesammtbegriff des Protestantis-
mus jenen Beiden gegenüber gestellt werden dürfen.

Das Bestreben, die falsche Münze der bisher gang-
baren Begriffsbestimmung des Jesuitenstiles mit ihren
Schlagwörtern: Ueberladung, Effekthascherei, Phan-
tasielosigkeit als weder den Regeln noch den Lei-
stungen des Ordens entsprechend aufser Kurs zu
setzen, verdient Anerkennung. Leider aber ist eine
neue Begriffsbestimmung nicht erreicht worden, viel-
mehr die baugeschichtliche Darstellung, losgelöst vom
Grund und Boden, unter dem Drucke sehr subjektiver
historischer Anschauungen und unglaublicher Leicht-
fertigkeit mit sich selbst wie mit dem Befunde der Denk-
mäler in höchst bedenkliche Widersprüche gerathen.

„Das Eigenartige der jesuitischen Reform" wird
u. a. darin gefunden, „dafs die Rechtgläubigkeit in
Deutschland von aufsen hereingetragen, gegen tüchtige,
glaubensstarke Volkskreise ankämpfte und einen freien,
auf Gewissensprüfling begründeten Gedanken mit Ge-
walt und der Stumpfheit einer auf geistigem Verzichte
beruhenden Glaubeusdisziplin entgegentrat." „Die Je-
suiten brachten die klassische Bauweise in ihren Kutten
mit und den italienischen Hafs gegen die Gothik.
Dem Orden „mufste die deutsche Renaissance,
weil heiter als weltlich, weil volksthümlich als ketzerisch,
weil unbefangen als kindisch erscheinen."

Begleiten wir den Verfasser auf der Suche nach
Opfern und Zeugen dieses doppelten Hasses gegen
deutsche Gothik und Renaissance: „Das grofse
Hauptwerk, mit dem der Orden sich in Deutschland
einführte, die St. Michaelskirche in München (1582
bis 1597), ohne Frage", wie vorbehaltlos nach Lübke
citirt wird, „die gewaltigste kirchliche Schöpfung der
deutschen Renaissance", hat kein unmittelbares
Vorbild in Italien . . . Trotz der Nähe der italienischen
Grenze „hängt Innsbruck eng mit München zusammen,
. . kennzeichnet" die Jesuitenkirche zu Hall „sich als
eine Studie nach St. Michael". — Den Bauten des
Ordens in bayerischen und österreichischen Landen

werden nach dieser glänzenden Selbstwiderlegung zum
Aufbau eines noch überraschenderen Beweises die-
jenigen gegenübergestellt, „welche vom Rhein aus
geschaffen wurden". „Köln gewann die gröfste Be-
deutung. Es ist jedoch keineswegs das vom Orden hier
besetzte Gotteshaus von besonderem künstlerischem
Werthe, . . eine ältere gothische Kirche, . . welche
er in ihrer Weise umgestaltete. Diese Veränderung
der Kölner Jesuitenkirche (1618—1629) ist jedoch von
kunstgeschichtlicher Bedeutung. Denn alsbald wurde
dem gothischen Bau, wie jenen in Belgien, eine Ge-
staltung gegeben, welche ihm das mittelalterliche
Wesen nehmen und ihn der Antike zuführen sollte.
Wieder beginnt die Kunst des Restaurirens, d. h. des
Umkleidens . . . Namentlich an der Fagade sind die
Mafswerkfenster der alten Anlage mit Renaissance-
gewänder umgeben, an Stelle der Strebepfeiler . .
hochgestelzte Ordnungen getreten, der Giebel erhielt
eine dem deutschen Geschmacke (sie!) jener Zeit ent-
sprechende Form . . . Die herrliche Hallenkirche mit
ihren spätgothischen Rundpfeilern wurde nur wenig
geändert, dafür aber der Altar in allem Prunke jener
Zeit neu aufgerichtet . . . ." Soweit die Dichtung!
Wahrheit und Thatsache ist, dafs der interessante, so
genau beschriebene Umbau nie stattgefunden hat.
An der Stelle der unbedeutenden altern Kirche sieht
heute die Emporen-Basilika des XVII. Jahrhunderts,
die Konstruktion gothisch, das treffliche Detail Re-
naissance, ganz aus einem Gusse und von so gewal-
tigen Raumverhältnissen, dafs der Volksmund vom
„kleinen Dom" bis in unsere Zeit sprechen konnte. —
„Aehnlichen Charakters", lesen wir, „ist die Jesuiten-
kirche zu Bonn, welche als Umbau eines gothischen
Gotteshauses zu gleicher Behandlung der alten Formen
führte". Thatsächlich ist von jenem gothischen Gottes-
hause historisch Nichts bekannt, noch auch in den
alten Stadtplänen und Prospekten eine Spur zu finden
an der Stelle, wo die laut Inschrift im letzten De-
cennium des XVII. Jahrhunderts vollendete Hallen-
kirche steht, klassische Renaissance, in Verhältnissen
und Details unsäglich roh. — „Die Jesuitenkirche
St. Johann zu Koblenz, welche 1617 aus einer wohl
romanischen Anlage umgestaltet" sein mufs — sie
hat nämlich rundbogige Arkaden und Fenster, sowie
keine Strebepfeiler am Langhause —, steht an Stelle
des Kapellchens eines ärmlichen Nonnenkonventes.
Der durch höchst geschickte Konstruktion inter-
essante Bau eröffnet die 'Reihe der gothischen Em-
poren - Basiliken des Ordens am Rhein, Köln an
Grazie ebenbürtig und in seiner einheitlicheren West-
fagade mit der grofsen Rosette wohl überlegen. Der
Altar mit seiner riesenhaften Breite und Höhe, nur
durch Biegung am Gewölbe entlang und schräge Auf-
stellung im Chore möglich, und mit seinem monstranz-
artigen Aufbau ein Prachtexemplar originellster, tollster
Barockkunst, hätte die Aufmerksamkeit des Verfassers
von dem Kölner ablenken können. Mögen Holzwurm
und Restauration ihn als abschreckendes Muster noch
eine Weile verschonen!

Die barocke Jesuitenkirche St. Andreas zu Düssel-
dorf, „unverkennbar auch früher ein gothischer Lang-
hausbau mit schmalen Seitenschiffen", ist bezüglich
dieses ungeschichtlichen Baues in gleicher Lage, wie


 
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