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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0026

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27

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. I.

28

Gothische Steinkanzel zu Nienberge bei Münster i. W.

Mit 3 Abbildungen.

sf^n der Zusammenstellung der mittelalterlichen
Steinkanzeln in dem bekannten trefflichen
Werke von Otte-Wer-
t nicke' ist Westfalen mit
drei Exemplaren, den
Kanzeln von Korbach,
Münden und Warburg
vertreten.1) Wenn sich auch eine ab-
schliefsende Uebersicht über den wirklich
vorhandenen Bestand erst gewinnen lassen
wird, nachdem die Inventarisirung der west-
fälischen Kunstdenkmäler zu Ende geführt ist,2)
so unterliegt es aber schon jetzt keinem Zweifel,
dafs Westfalen noch eine weitere Zahl von mittel-
alterlichen Steinkanzeln besitzt. Zwei solche be-
finden sich in der Nähe von Münster, die eine
zu Nienberge, die andere zu Havixbeck. Beide
sind nachahmungswürdige Beispiele einer ein-
fachen, aber doch reizvoll wirkenden Kanzel-
anlage. Bei der zwischen ihnen herrschenden
Uebereinstimmung genügt es, wenn nur die
eine von ihnen hier zur Veröffentlichung ge-
bracht wird. Die hierzu gewählte Kanzel von
Nienberge zeigt etwas strengere Formen als die
Havixbecker; aufserdem verdiente sie deshalb
den Vorzug, weil sie den ursprünglichen Fufs,
der in Havixbeck einem Renaissance-Ständer
hat weichen müssen, sich bewahrt hat.

Die an der Südwand der Kirche angebrachte
und von der anstofsenden Sakristei aus zugäng-
liche Kanzel ist in Figur 1 in einer auf photo-
graphischer Aufnahme beruhenden Abbildung
zur Darstellung gebracht; zur Vervollständigung
dient der Grundrifs (Figur 2) und der Kanzel-
fufs (Figur 3).3) Wie diese Abbildungen, welche
das einfache klare System deutlich zur An-

!) Otte-\Vernicke »Handbuch der kirchlichen
Kunstarchäologie«,-5. Aufl. I. Bd. (1883), S. 300.

2) Dieselbe ist von der Provinzialverwaltung dem
Regierungs-Baumeister Ludorff übertragen worden.

3) Die den Fufs umgebenden Kirchenbänke sind,
weil an der Mauer befestigt, nicht zu entfernen, und
behindert die hierdurch hervorgerufene Dunkelheit eine
ausreichend klare photographische Aufnahme dieses
Kanzeltheils. Aus diesem Grunde hat auch in Figur 1
die Sockelplatte des Ständers nicht wiedergegeben
werden können. Figur 3 bietet für diesen Mangel
Ersatz.

schauung bringen, darthun, ist die Kanzel aus
dem Achteck konstruirt, aber nur der Ständer
zeigt alle Achteckseiten; beim Aufbau werden
zwei Seiten durch die Eingangsöffhung weg-
genommen. Diese hat an der engsten Stelle
eine lichte Weite von 50 cm\ der innere freie
Kanzelraum ist 75 cm breit.

Der Aufbau der Kanzel, die sogen. Bütte,
ist aus einzelnen Stücken zusammengesetzt, und
zwar so, dafs die mit Fialen besetzten Eck-
stücke die Pfosten bilden, zwischen welchen
die durchbrochen gearbeiteten Füllungstafeln
eingefügt sind. Unten in die aus einem Stück
bestehende Fufsplatte eingelassen, werden sie
oben durch das Deckgesims untereinander ver-
bunden und festgehalten.

Die Kanzel ist aus dem in den naheliegen-
den Baumberger Brüchen gewonnenen Steine
hergestellt. Die zarte hellgelbe, durch sparsame
Bemalung noch gehobene Farbe dieses Materials
bietet einen lebhaften Kontrast gegen das tiefe
Dunkel der Mafswerk-Durchbrechungen. Der-
selbe gewinnt noch an Reiz, wenn das Innere
der Kanzel mit farbigem Tuche behangen ist:
Architektur und Farbe, Licht und Schatten ver-
einigen sich dann zu einem wirkungsvollen Bilde.

In gewisser Weise ist die Kanzel von Nien-
berge ein Gegenstück in Stein zu der eisernen
Kanzel in Ober-Diebach, welche im IL Jahrg.
dieser Zeitschrift (Sp. 25 ff.) durch Wiethase
eine treffliche Veröffentlichung gefunden hat.
Auch dort wurde durch farbige (gestickte), an
der inneren Seite aufgehängte Stoffe der Durch-
blick verhindert und damit zugleich ein Grund
geschaffen, von dem die Linien des Eisenwerks
sich kräftig abheben.

Die Kirche von Nienberge — eine einschif-
fige Kirche mit Westthurm — gehört in ihrem
gegenwärtigen Bestände zwei verschiedenen Bau-
perioden an, der Thurm der romanischen, das
Schiff der gothischen Zeit. Die Erbauung des
letzteren ist inschriftlich bestimmt durch die
im Schlufsstein des Chorgewölbes angebrachte
Jahreszahl 1499.4) Derselben Zeit bezw. dem

4) Aufser der Jahreszahl zeigt der Schlufsstein das
Bild des hl. Sebastian, des Patrons der Kirche.
 
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