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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0029

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33

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 1.

34

Ob er, im Hinblick auf den Ton und die,
wie in der »Köln. Volkszeitung« (1889, Nr. 330)
im Einzelnen nachgewiesen ist,, der Loyalität
ermangelnde Art der Polemik des Herrn Graus
sich dazu herbeiläfst, erscheint übrigens als
sehr fraglich.

Nicht glimpflicher, als mit der Person Janssens,
verfährt Herr Graus mit den „modernen Gothi-
kern" insgesammt. Er bezichtigt dieselben der
Unduldsamkeit, des Mangels an Wahrhaftigkeit,
ihr Verhalten gegenüber der Renaissance sei
unkatholisch, sie urtheilten über die Objekte
ohne eigene Kenntnifs derselben, den heutigen
Studien gegenüber befänden sie sich auf einem
unhaltbaren Standpunkt, und was dergleichen
Artigkeiten mehr sind, womit er seine Erörte-
rungen würzt. Insofern gilt das Alles auch gegen-
wärtiger Zeitschrift, als das jhr zu Grunde
hegende Programm sich dahin ausspricht, dafs
auf dem Gebiete der Architektur „an die Schöp-
fungen der drei letzten Jahrhunderte des Mittel-
alters anzuknüpfen" sei, und als „moderne
Gothiker" zu den Mitarbeitern an derselben
zählen. Demnach eignen sich denn auch wohl
ihre Spalten zu einer Beleuchtung jener Angriffe.
Natürlich kann hierorts über die so weitgreifende
Materie nicht nach allen Richtungen hin ge-
handelt werden. Das Nachfolgende soll denn
auch nur die, ebenwohl von Herrn Graus vor-
zugsweise betonte Frage von der Kirchlich-
keit der Renaissance betreffen.

In seiner oben bereits erwähnten Schrift:
»Die Kirche und die Renaissance« legt Herr
Graus von vornherein ganz besonderes Gewicht
darauf, dafs die Renaissance aus Italien stammt,
„welches stets ein katholisches Kernland ge-
wesen und bis zum heutigen Tage katho-
lisch geblieben sei, aus dem Centralland der
katholischen Kirche, aus dem Land der Heiligen,
der Heimath der kirchlichen Kunsttraditionen".

Auch

m späteren Veröffentlichungen des Herrn

Graus spielt, zu Gunsten der Kirchlichkeit der
Renaissance, dieses Argument eine Hauptrolle.
Es ist in hohem Grade verwunderlich, ja kaum
zu begreifen, dafs ihm das Bedenkliche desselben
nicht zum Bewufstsein kam. Fast sollte

man

meinen, es sei ihm die Geschichte Italien!
Uch fremd geblieben. Anderen Falles hätte er sich
sagen müssen, dafs in Italien während des ganzen
Laufes seiner Geschichte, neben den Heiligen
gar viele Gottlose hervorgetreten sind, dafs
letztere sogar nicht selten die Oberhand hatten;

er hätte nicht ignoriren können, dafs insbe-
sondere die „Stadt der Päpste" nicht weniger
selten letztere ins Exil trieb, dafs selbst Päpste,
abgesehen von den kirchlichen Glaubens-
wahrheiten, Verirrungen, mitunter schwer-
wiegender Art, sich zu Schulden kommen liefsen.
Aber auch abgesehen von der Vergangenheit
hätte schon ein Blick in gewisse Encykliken
des dermalen regierenden Papstes Herrn Graus
dahin belehren müssen, dafs demselben kaum
noch die Möglichkeit gelassen ist, von Rom aus
die Kirche Gottes zu regieren. Man sieht, Herr
Graus ist um Mittel zur Vertheidigung seiner
Stellung nicht verlegen. Macht er doch sogar
zu Gunsten seines Lieblingsstiles geltend, dafs
die — zahlreichen — verliederlichten Künstler
der Renaissanceperiode, zum Unterschied von
gewissen, zum Protestantismus übergetretenen,
zeitgenössischen deutschen, sammt und sonders
„katholisch geblieben" seien! Es ist das aller-
dings richtig, und zwar gilt es betreffs aller
Künstler in den sog. katholischen Ländern, bis
zu den südamerikanischen, von Geheimbündlerei
durchwühlten und beherrschten Republiken hin.
Auch sonstige offene Verächter der Kirche fan-
den sich nicht gemüfsigt, förmlich derselben ab-
zusagen. In Italien namentlich ist nicht blos
ein Pietro Aretino „katholisch geblieben", son-
dern auch in unserer Zeit noch Mazzini und Gari-
baldi, welcher letztere sich sogar einen „katho-
lisch gebliebenen" Feldkaplan gehalten hat.

Aus dem vorstehend besprochenen Funda-
mente, auf welchem die Beweisführung des Herrn
Graus ruht, wird man sich schon einigermafsen
eine Vorstellung von dem Büchlein bilden können.
An Kühnheit läfst dasselbe jedenfalls nichts zu
wünschen übrig. Wie der, mehrfach von ihm
als Gewährsmann angerufene Kunstschriftsteller
Willi. Lübke (»Grundrifs der Kunstgeschichte«,
8. Aufl. IL Bd., S. 90), datirt er die Renaissance
zurück auf Petrarka, welchen er mit dem Bei-
namen „der Grofse" schmückt (»Die kath. Kirche
und die Renaissance«, S. 5). Hören wir, wie ein
deutscher Gelehrter, Professor an der Berliner
Universität, Friedr. Paulsen, welchen Herr Graus
wohl nicht als „modernen Gothiker" perhorres-
ziren wird, in seiner »Geschichte des gelehrten
Unterrichts, vom Ausgang des Mittelalters bis
zur Gegenwart« (S. 29), wo er die Renaissance in
Bezug auf unser Unterrichtswesen bespricht, jene
„Gröfse" charakterisirt, welche er als Portotyp
der „humanistischen Bildung" bezeichnet.
 
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