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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0030

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1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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„Auf die Frage: Was ist denn des Strebens eines
Mannes würdig? antwortet Petrarka: Die Weisheit
und die Tugend und als Drittes die Beredsamkeit.
Eines von diesen drei Dingen hat Petrarka erlangt:
Die Beredsamkeit. Die Weisheit und die Tugend,
von welchen er zum Entzücken zu reden verstand,
blieben in seiner Rede; sie kamen nicht in sein Leben.
Er pries die Einsamkeit; er schrieb über die Ver-
achtung der Welt; er wufste das einfache Landleben
unter friedlichen Landleuten, ohne Begierden, ohne
Furcht, ohne Täuschungen, die Ruhe und Freiheit
eines sich selbst genügenden Lebens mit der Natur
und den befreundeten Büchern zu schildern und zu
preisen, wie Niemand, seitdem die Sprache Virgils
und Horazens verstummt. Und er lebte am Hof von
Avignon, stets bedacht, durch alle geeigneten Mittel
seine reichen Pfründen zu mehren; er diente dann
dem Visconti in Mailand als Schaustück und Prunk-
redner. Er schalt, wie ein Moralprediger und Pro-
phet, die Kleriker um ihrer Ueppigkeit und Unent-
haltsamkeit willen; er selbst war Priester und hatte
Konkubinen und Kinder, für die er aufs neue auf
die Pfründenjagd ging. Er schall den Wissenshoch-
muth der Philosophen, um seine eigene höhere Weis-
heit, die Sokratische des Nichtwissens, zur Schau
zu stellen. Wie jenem Diogenes ging es Petrarka.
Durch die Löcher seines Philosophenmantels blickte
überall die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit."

Eine gewisse Ueberwindung wird den Herrn
Graus doch wohl die Annahme gekostet haben,
dafs aus solcher Quelle eine kirchliche oder
auch nur mit Kirchlichkeit verträgliche Strömung
hervorgegangen sei. In Wirklichkeit hat sich von
letzterer das Gegentheil begeben; immer mehr
hat von da ab die Kunstübung dem vorchrist-
lichen Gedankenkreis sich zugewendet, immer
mehr heidnische Elemente sich angeeignet. Dafür
nachfolgend ein Beleg, welcher statt vieler wird
gelten können, entnommen der »Geschichte der
Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters« von
Professor Ludwig Pastor (Bd. I, S. 269). Es han-
delt sich um ein Thor aus Erz, welches im
Jahre 1464 für die Metropole der Christenheil,
die uralte Peterskirche in Rom, angefertigt ward
und auf den nunmehrigen St. Petersdom über-
gegangen ist (!). Den Gestalten des Heilandes,
seiner jungfräulichen Mutter und des Apostel-
fürsten sind da Mars, Zeus mit seinem Ganymed,
ein, eine Nymphe über das Meer entführender
Centaur, ja selbst Leda mit dem Schwan, bei-
gegeben. Gewifs eine starke, dem antiken Klassi-
zismus dargebrachte Huldigung, in der „Stadt
der Päpste". Und dennoch ward sie noch einige
Jahre später innerhalb der Mauern einer Stadt des

nördlichen Italiens, in Rimini, einem Bischofs-
sitze, überboten. Auf Bestellung des Sigismundo
Malatesta, eines jener zahlreichen Gewaltherr-
scher, welche die Zerfleischung und Ausbeutung
Italiens betrieben, ward die gothische Kirche
S. Francesco zu Rimini in eine antikisirende
umgewandelt. Das da Geleistete mufs jedes, auch
noch so abgeschwächte christliche Gefühl em-
pören. Die künstlerische Ausstattung bezweckte
eine Verherrlichung des genannten Tyrannen
und seiner Geliebten, Namens Isotta. Ihnen
huldigt eine dem Olymp entlehnte Gesellschaft,
auch die dem Meere entsteigende Venus. Ueber-
all finden sich die ineinander verschlungenen
Anfangsbuchstaben der Namen Isotta und Sigis-
mundo angebracht; Inschriften vergöttern letz-
teren als den Jupiter, den Apollo von Rimini
(S. Pastor a. a. O. Bd. II, S. 83). Der mit dem
Baue betraut gewesene Künstler war kein anderer
als Battista Alberti, welcher, um mit Guhl's
Worten (»Künstlerbriefe« I, S. 5) zu reden, „als
Repräsentant jenes grofsen Umschwunges gelten
kann, den die Wiedererweckung des klassischen
Alterthums in der damaligen Zeit hervorgebracht
hat, durchdrungen von antiker Weltanschauung,
von der mittelalterlichen vollständig
losgelöst, so dafs man in den Kirchen nur
antike Tempel, in den Heiligen nur antike He-
roen zu erkennen vermochte". Es ist dies der-
selbe Alberti, der die, selbst von seinem Lob-
redner Lübke (a. a. O. II, S. 94) als „unglücklich"
bezeichnete Erfindung des volutenartigen Glie-
des gemacht hat, welches die Breite des Unter-
geschosses mit dem schmaleren Aufbau des
oberen Stockwerkes vermittelt und fortan eine
grofse Rolle im kirchlichen Fassadenbau spielte
— eine der Erfindungen, welche, wie Lübke
weiter bemerkt, im Laufe der Folgezeit, die
„prinzipielle und ausschliefsliche Be-
seitigung der mittelalterlichen Ueber-
lieferungen, eine durchaus neuarchitektonische
Schöpfung hervorrief".

Wenn es so, wie wir eben gesehen, in den
Höhen des künstlerischen Schaffens herging, so
kann man sich leicht vorstellen, wie es in den
Niederungen aussah und in welcher Richtung
sich die mehr oder weniger mafsgebenden Geister
bewegten. Es sei in dieser Beziehung auf einen,
dem Kampfe zwischen den Renaissancisten und
den Gothikem durchaus fremden Geschichts-
schreiber von hervorragender Bedeutung hin-
gewiesen, auf Gregorovius. In seinem Buche
 
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