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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0058

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1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

86

Neuentdeckte spätgothische Wandgemälde in der Kirche zu Niederzwehren.

Mit 3 Abbildungen.

n geringer Entfernung von Kassel
liegt das Dorf Niederzwehren, des-
sen Name wohl nur durch den Um-
stand, dafs dieser Ort es war, wo
sich die schönsten der von den Gebr. Grimm
gesammelten Volksmärchen bis in unser Jahr-
hundert lebendig erhalten hatten, über die nächste
Umgegend hinaus bekannt geworden ist. Jetzt
ist hier unerwartet ein Fund von anderer Art
gemacht worden: verhältnifsmäfsig gut erhal-
tene mittelalterliche Wandgemälde, die als ein
ganz einheitliches und abgeschlossenes Werk
der Ausschmückung eines kirchlichen Raumes
die höchste Beachtung verdienen, und die als
Beispiel eines mit den allerbescheidensten Mit-
teln, mit Handwerkerhänden, aber mit hoch-
künstlerischem Sinne ausgeführten Schmuckes
einer anspruchslosen Dorf kirche vielleicht einzig
in ihrer Art dastehen.

Als im Jahre 1790 die Gemeinde Nieder-
zwehren sich eine neue Kirche erbaute, behielt
sie von der alten Kirche den Thurm bei. Dieser
Thurm ist ein in seiner Art sehr hübsches Bau-
werk: eine stämmige, viereckige Masse, aus wel-
cher oben an den Ecken vier Erkerthürmchen
hervorspringen, deren spitzige Dächlein mit dem
mäfsig hohen achtseitigen Thurmhelm zu einer
weithin auffallenden, wirkungsvollen Bekrönung
der Mauermasse verschmelzen; die Mauern in
eigenthümlicher Weise belebt durch festungs-
mäfsige „Pechnasen" unter den Schalllöchern.
Die Bildung der Fenster und die wenigen vor-
handenen Schmuckformen lassen auf die zweite
Hälfte des XV. Jahrh. als die Zeit der Erbauung
schhefsen. Der Thurm steht, wie es bei hes-
sischen Dorfkirchen nicht selten ist, an der Ost-
seite des Gebäudes. Demgemäfs war sein Erd-
geschofs, ein mit einem Kreuzgewölbe ge-
schlossener Raum von ungefähr B1/,»» im Ge-
viert, ursprünglich der Chor der Kirche. Bei
dem Umbau des Kirchenschiffs aber wurde er
von d.esem durch Vermauerung des Triumph-
bogens abgetrennt. Der ehemalige Chorraum
wurde in eine Art von Treppenhaus verwandelt;
hölzerne Treppen und Bühnen wurden in ihm
angelegt, welche einerseits zu einer in der
Triumphbogenwand durchgebrochenen Thür,
dem Zugang zur Kanzel, führte, andererseits den
Aufstieg zu dem vermittelst eines Durchbruches

im Gewölbe erschlossenen — früher nur vom
Söller des Kirchenschiffs aus zugänglichen —
Glockenstuhl bewirkten.

So war das Erdgeschofs des Thurmes zu
einem Nebenraum geworden, bei dem auf ein
gefälliges Aussehen keinerlei Werth gelegt wurde.
Die Vermauerung des Triumphbogens bekam
auf dieser Seite keinen Verputz, der Durchbruch
im Gewölbe blieb ohne Einfassung, ein formloses
Loch. Im Uebrigen waren Wände und Wöl-
bungen mit mehrfachen Schichten von Tünche
aus früherer Zeit bedeckt; nur hatten die Tün-
cher des XVII. u. XVIII. Jahrh., was heutzutage
vielleicht nicht mehr der Fall sein würde, immer
so viel richtiges Gefühl gehabt, dafs sie die
bildnerischen Schmuckformen unberührt liefsen.
So bewahrten die letzteren theilweise ihre ur-
sprüngliche Bemalung, und die durch schwarze,
rothe und hellgrüne Färbung ihrer verschiede-
nen Theile belebte Architektur eines kleinen
Wandtabernakels, sowie der gleichfalls in leb-
haften Farben bemalte, mit einem Engel ge-
schmückte Schlufsstein der Kreuzrippen des
Gewölbes hoben sich fremdartig von der weifsen
Tünche ab. Zeitweilig waren bescheidene Ver-
suche gemacht worden diesen Gegensatz einiger-
mafsen zu vermitteln: Einfassungslinien um die
mit Köpfen geschmückten Tragsteine der Ge-
wölberippen, stufenartige Linien an der Basis
des Tabernakels und dergl.; den Triumphbogen
umgab eine mattrothe Einfassung, welche Hau-
steine nachzuahmen beabsichtigte, und welche
oben mit einer ganz gut gemeinten, aber höchst
kindlich ausgeführten Nachahmung gothischer
Krabben in schwarz und gelb verziert war, —
diese Einfassung anscheinend das Werk eines
Anstreichers aus dem Anfang des XVII. Jahrh.

Die Vermuthung, dafs der Raum, von dessen
ehemaliger Bedeutung die künstlerische Meifsel-
arbeit zeugte, ursprünglich auch malerischen
Schmuck besessen haben müfste, und dafs die
Malerei möglicherweise unter der Tünche er-
halten sei, wurde zuerst von dem gegenwärtigen
Pfarrer, Herrn Metropolitan Befs ausgesprochen.
Demselben waren, wenn er über das Treppen-
gerüst zur Kanzel stieg, an mehreren Stellen
des Gewölbes grünlich schimmernde Linien,
welche Ranken zu bilden schienen, aufgefallen,
und ganz besonders wurde er in seiner Vermu-
 
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