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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0070

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10?

1890. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

1Ö3

und innere Ausstattung der Kirchen des ausgehenden
Mittelalters im deutschen Nordosten.

I. Kirchen. Denn sie bringen vielfach sehr genaue

Beschreibungen der einzelnen Altäre mit ihrem
Schmuck an Malereien und Skulpturen, und die
Inventarien verzeichnen .nicht nur die einzelnen
Stücke genau, sondern beschreiben sie auch ziem-
lich anschaulich nach Stoff und künstlerischer
Ausstattung. Für Ermland liegen solche Visi-
tationsberichte , beginnend mit der Mitte des
XVI. Jahrb., einige noch früher, in reicher Fülle
vor, und gerade für die Zeit des Ueberganges
zu der neuen Geschmacksrichtung, das ist um's
Jahr 1600, sind sie ganz besonders genau und
sorgfältig angelegt.

An der Hand solcher Aufzeichnungen und
unter Benutzung einzelner noch vorhandener
alter Einrichtungsstücke, Dekorationen u. dergl.
soll hier der Versuch gemacht werden, die innere
Einrichtung und Ausstattung mittelalterlicher
Kirchen des Nordostens, wenn auch nur skizzen-
haft, zu beschreiben.

Die Stadtkirchen im deutschen Nordosten
sind meistens geräumige und hohe, dreischiffige
Hallenkirchen. Die überhöhten Mittelschiffe sind
selten und werden nach Osten hin immer sel-
tener (Wormditt); ebenso verschwinden, je weiter
nach Osten desto mehr, die polygonen Chor-
abschlüsse und finden sich östlich der Weichsel
nur an sehr wenigen Kirchen (Braunsberg). Die
Landkirchen haben, wenige ausgenommen, flache,
in Felder eingetheilte Holzdecken. Die Täfelung
ist meistens durch aufgenagelte, schön profilirte
Holzleisten hergestellt. Nur wenige solcher
Decken dürften sich aus dem Mittelalter erhal-
ten haben; vielfach aber begegnen uns in den
Landkirchen Holzdecken aus dem XVII. oder
dem Anfange des XVIII. Jahrh., welche ganz
nach der Art der mittelalterlichen Decken an-
gelegt sind und im Grofsen und Ganzen als
Nachbildungen derselben angesehen werden
dürfen (Schal mey bei Braunsberg).

Bei der Vorliebe des Mittelalters für das
Malerische, für reiche Farbenpracht, war es un-
denkbar, dafs eine Kirche an Wänden, Gewöl-
ben, Pfeilern u. s. w. einen gleichartigen Anstrich
erhielt, wie es die neuere Zeit liebte. Um diese
Monotonie zu vermeiden, gab es zwei Wege:
entweder behielt man auch für das Innere, wie
für das Aeufsere, den Rohbau bei, oder man ver-
putzte das Mauerwerk mit Kalkmörtel, um es

Inneres Aussehen

eicht ist es, sich von der einstigen
äufseren Gestaltung der mittelalter-
lichen Kirchen eine Vorstellung zu
machen. Denn trotz aller Umände-
rungen an Thüren, Fenstern, Giebeln und Thür-
men, welche eine neue Geschmacksrichtung zu
fordern schien, waren auch vor den neueren Re-
staurationen die ursprünglichen Bauformen noch
unschwer zu erkennen; nicht wenige Kirchen
auch hatten, alle Stürme der Zeit überdauernd,
sich in ihrer alten Gestalt erhalten.

Viel schwerer aber ist es, sich von dem
inneren Aussehen jener Kirchen, ihrer Deko-
ration und Ausstattung, ein völlig klares und
durchweg zutreffendes Bild auszumalen. Vielerlei
Umstände haben sich vereinigt, um eine mehr
oder minder radikale Umgestaltung des Innern
herbeizuführen: geringe Haltbarkeit der Deko-
ration, Abnutzung der Gewänder, Brände, Zer-
störung und Plünderung in den Kriegen, die
Noth der Zeit, welche manches kostbare Stück
zur Linderung allgemeiner Drangsale hinzugeben
gebot, mehr als alles dieses aber der Wechsel
in dem Geschmacke. So hat der Kunsthistoriker
meistens die schwierige Aufgabe, aus noch vor-
handenen Ueberresten von Mobilar, Dekoration,
Gewandstücken u. dergl. die alte innere Ein-
richtung jener Kirchen im Geiste sich zu re-
konstruiren. Merkwürdigerweise ist aber gerade
in den katholischen Kirchen des Nordens und
Ostens mit den Erinnerungen an frühere Zeiten
gründlicher aufgeräumt worden, als in manchen
protestantischen, von denen einige, nachdem
sie die Umwälzung des XVI. Jahrh. glücklich
überdauert, die ursprüngliche Einrichtung noch
ziemlich treu bewahrt haben, z. B. die herrliche
Marienkirche in Danzig. Bei dieser kommt noch
der Umstand in Betracht, dafs durch einen gün-
stigen Zufall sich auch noch eine reiche Samm-
lung von alten liturgischen Gewändern u. a. bis
in unsere Zeit herübergerettet hat. Dafür bieten
aber die in den Archiven der katholisch geblie-
benen Diöcesen aufbewahrten Visitationsberichte
der drei letzten Jahrhunderte mit ihren Descrip-
tiones eccksiarum und Inventarien einen erfreu-
lichen Ersatz und eine leider bisher noch nicht
ausgiebig genug benutzte Quelle für die Kennt-
nifs des ehemaligen inneren Zustandes der alten
 
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