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Zeitschrift für christliche Kunst — 3.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.3822#0204

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359

1890.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 11.

360-

Bücherschau.

Die Kunst- und Alterthums - Denkmale im
Königreich Württemberg. Im Auftrag des Kgl.
Ministeriums des Kirchen- u. Schulwesens bearbeitet
von Dr. Eduard Paulus, Konservator der vater-
ländischen Kunst- und Alterthums-Denkmale. I. u. II.
Liefg.; dazu Atlas in Quer-Folio, Liefg. 1 bis 13.
Stuttgart 1889/90, Paul Neff. Preis: a Liefg. 1,60 Mk.
In charakteristischer Weise, nicht zu seinem Nach-
theil, unterscheidet sich dieses staatliche Inventarisations-
werk von andern Staatswerken gleichen Zweckes. Der
Hauptunterschied springt sofort in die Augen. Wie-
wohl als Textformat Grofsoktav gewählt ist, hielt man
doch den damit geschaffenen Raum für Einfügung von
Textillustrationen und Bildtafeln noch fUr zu eng, und
man entschlofs sich zur Beigabe eines Atlas, dessen
Blätter die respektablen Dimensionen: 50 cm Breite zu
3ß cm Höhe haben. Damit ist nun der Illustration
ein Spielraum vergönnt, wie meines Wissens in keinem
andern Staatswerk. Es war jetzt möglich, den nicht
unbedeutenden Reichthum Schwabens an Kunstwerken
erster Gröfse in imponirender Weise zur Ausstellung
und Anschauung zu bringen. Diese Wohlthat kam bis
jetzt zu gut den grofsen Klosterbauten zu Maulbronn,
Bebenhausen, Grofskomburg, Denkendorf, Neresheim,
der Frauenkirche zu Efslingen, der Walderichskapelle
in Murrhardt, den Skulpturwerken an und in der Stifts-
kirche in Stuttgart, dem Chorgestithl zu Ulm, einem
romanischen Elfenbeinreliquiar im Museum in Stuttgart,
das in Chromotypie wiedergegeben ist, endlich einem
nicht mehr in Wirklichkeit, blofs noch im Bild vor-
handenen Profanbau von Bedeutung, dem ehemaligen
Lusthaus zu Stuttgart.

Aber über den Werken ersten Ranges sind die be-
scheidenem nicht vergessen. Es zeugt für die ver-
ständige Oberleitung und es bedeutet wieder eine lobens-
werthe Eigenthümlichkeit dieses Staatswerks, dafs eine
ganz besondere Aufmerksamkeit zugewendet ward
einem wenig glänzenden und gleifsenden, aber doch
werthvollen Schatz, den Württemberg vor manchem
andern Land voraus hat: der grofsen Zahl von gothi-
schen, namentlich spätgothischen Dorfkirchen. Die
liebende Sorgfalt geht hier weiter, als in irgend einer
noch so reich illustrirten Statistik. Wie bei jenen grofs-
artigen Werken, so wird bei jeder Dorfkirche von
irgend stilistischer Tüchtigkeit nicht blofs Grundrifs,
Aufrifs, Querschnitt, Aufsenansicht geboten, sondern
auch das Detail, die Profilirungen der Gesimse, Ge-
wölberippen, Dienste, Fenster und Portale, die Mafs-
werke der Fenster, die Konsolen und Schlufssteine der
Gewölbe, — alles je mit ganz genauer Beifügung der
Mafse. Das ist ein Moment, welches natürlich den
Werth des Werkes in den Augen der Sachverständigen
gewaltig steigert. Für diese Einläfslichkeit und Ge-
nauigkeit mufs die Forschung ebenso dankbar sein
wie die Praxis. Die Forschung, denn ihr wird ein
Bild der Kunstobjekte aufs Pult gelegt, welches ihr
ermöglicht, ohne einen Fufs zu rühren, dieselben ins
einzelnste zu prüfen und deren individuellste Züge zu
erforschen, sie auch mit verwandten Werken zu ver-
gleichen. Was die Praxis anlangt, so ist bekanntlich

die Verhältnifsunsicherheit der schwächste Punkt unserer
heutigen Architektur, wenigstens soweit sie sich in alten
Stilen bewegt; auch neuestens aufgeführte Kirchen-
bauten kranken an diesem Hauptgebrechen, gegen
welches es kein Heilmittel giebt, weil das Uebel zu tief
sitzt, im Bau selbst versteinert ist. Fortgesetzte Studien
über die Verhältnisse alter Bauten, grofser und kleiner,
unterstützt und ermöglicht durch solche mafsgenauen
Aufnahmen, könnten uns wohl wieder einmal auf
jene Gesetze führen, von welchen die Alten, sei es
bewufst, sei es unbewufst, sich dirigiren liefsen. In-
zwischen soll der, welcher sich in diesem Punkt nicht
sicher fühlt, die hier gebotene schöne Gelegenheit be-
nutzen, von der Verhältnifssicherheit der Alten zu pro-
fitiren; er schliefse sich an die gegebenen Verhältnisse
eines alten Baues an, welcher mit dem zu erstellenden
nach Stil, Gröfse, Anlage sich ungefähr deckt. Und
er bearbeite auch sein Detail nach diesen alten Mustern
und suche an ihnen sich immer mehr in die Stiltüch-
tigkeit einzuschulen. Eben das schlagen wir an diesem
Staatswerk hoch an, dafs in ihm auch jene alten Bauten,
welche für uns nicht blofs admiranda, sondern imitanda
sind, sich so berücksichtigt finden, dafs man nach
den gebotenen Rissen und Detailplänen die Bauten
kopiren könnte.

Der Atlas in Querfolio ist bis zur 13. Lieferung
gediehen; die Aufnahmen wurden zum gröfsten Theil
von Architekt Cades, zum kleineren von G. Loesti ge-
fertigt; besonders die Zeichnungen von Cades sind von
grofser Gewandtheit, Genauigkeit und Schärfe. Ihre
Wiedergabe erfolgte mittelst Zink-Cliches. Daneben
fand das Lichtdruckverfahren glückliche Verwendung.
Vom Text sind zwei Lieferungen mit 112 Seiten er-
schienen, ebenfalls reichlich mit Illustrationen durch-
woben. Derselbe zeigt jene gewählte und schmuck-
reiche Sprache, welche wir in den Schriften von Paulus
gewöhnt sind; er ist nicht fachwissenschaftlich, sondern
im edelsten Sinn populär und erlaubt durch seine bei
aller Eleganz knappe und konzise Fassung die An-
sammlung einer grofsen Fülle von geschichtlichen und
kunstgeschichtlichen Notizen. Einige eigenthümlich
formulirte Sätze der Einleitung, welche den Katholiken
die alleinige Schuld an früher vorgekommenen vanda-
lischen Zerstörungen von Kunstwerken zuschieben zu
wollen scheinen, riefen lebhafte Proteste im Lande
hervor; doch sind diesen Sätzen keine ähnlichen nach-
gefolgt; dafs Seite 82 gesagt ist: „Der Sarkophag, in
den die heiliggesprochenen Gebeine damals zu ruhen
kamen" statt: die Gebeine der Heiliggesprochenen, ist
blofs lapsus calami. Die Aufnahme, welche das Werk
im Land fand, ist eine gute, und die katholische Be-
völkerung ist sicher in reger Beiheiligung am Unter-
nehmen nicht zurückgeblieben. Die Stände haben
freudig eine erste Rate von 20000 M. für die Her-
stellung bewilligt; sie werden gewifs nicht verfehlen,
auch die zum Fortgang und Abschlufs nöthigen Mittel
noch zur Verfügung zu stellen. Möge das Unternehmen
glücklich zu Ende geführt werden und auch aufserhalb
des Landes jene Beachtung finden, die es verdient!

Tübingen. Keppler.
 
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