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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0186

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271

1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

272

Das Gemach ist im Renaissancestil gehalten.
Das scheint auf den ersten Blick der Art Mem-
ling's zu widersprechen, allein eine Betrachtung
der reichen Renaissance-Architektur auf dem
Florentiner Bilde und auf dessen Gegenstück
aus dem Belvedere zu Wien zeigt, dafs die
Formen dieses Baustiles dem Memling durch-
aus vertraut waren, so vertraut, dafs man ent-
gegen den Ansichten von Crowe und Cavalca-
selle annehmen mufs, dafs Memling in Italien
selbst sich von dem Geist der Renaissance
durchdringen liefs. Im Uebrigen kehrt die Form
der einfachen Säulen auf dem Trierer Bilde bei
Memling in der Darstellung der heiligen Nacht
und auf dem Flügelaltar der Anbetung der hei-
ligen drei Könige in Brügge wieder.

Wunderbar fein ist die Wiedergabe der Reflexe
auf der braunen Marmorsäule rechts an der Thür
zwischen der Maria und dem Verkündigungs-
engel. Dieselben heben den warmen Ton, der im
Innern des Gemaches herrscht, sehr wesentlich.

Bemerkenswerth erscheint mir auch der aus
Marmormosaik gefügte Fufsboden, welcher auf
den echten Memling'schen Gemälden häufig und
in derselben Malweise erscheint. Dabei ist im
Trierer Bilde die Mannigfaltigkeit und Unregel-
mäfsigkeit des Mosaiks auffallend. Uebrigens
zeigt sich dasselbe noch auf anderen Memling'-
schen Bildern, wie an dem Fufsboden im Bilde
der heiligen Jungfrau und der heiligen Ursula
vom Ursulaschreine in Brügge.

Der Ausblick aus dem Gemach durch die
offene Thür auf den Hof eines vornehmen, alt-
flandrischen Hauses zeugt für den flandrischen
Ursprung des Gemäldes. Auch dabei kommen
Memling'sche Züge zum Vorschein. Die über
der Hofmauer und über ein niedriges, hinter
derselben angrenzendes Dach sich erhebenden
Bäume stimmen in der Art der Ausführung und
in der Wiedergabe des losen Laubes durch
Tüpfel mit der Baumzeichnung auf dem Bilde
des heiligen Benedikt (Uffizien, Florenz), sowie
namentlich auch mit der auf dem Gemälde der
Anbetung der heiligen drei Könige (St. Johann,
Brügge) überein. Die schlanken Bäume, welche
durch das Thor und durch das rechte Fenster
der Hütte sichtbar werden, zeigen das deutlich.

Damit hätte ich nun den Versuch, die Her-
kunft des Trierer Bildes festzustellen, beenden
können, allein ich kann es mir bei dieser Ge-
legenheit nicht versagen, einige Fragen zu be-
rühren, welche mich in den letzten Jahren leb-

haft beschäftigt haben, und welche mir recht
wohl eine eingehende Erörterung zu verdienen
scheinen. Die Fragen lauten:

Welche Bedeutung haben bestimmte
Personen in den Memling'schen Gemäl-
den für die Zeitbestimmung derselben?
Wer sind diese Personen?

Ich will gleich von vornherein hervorheben,
dafs ich unter diesen Personen vor Allem die
heilige Jungfrau, Johannes d. T, sowie den durch
das Fenster sehenden Mann und den einen Alten
auf dem Lübecker Dombilde verstehe.

Die erstere Frage läfst sich verhältnifsmäfsig
leicht beantworten, und zwar, wie ich glaube,
in dem Sinne, dafs zunächst die Wiedergabe der
Gestalt der heiligen Jungfrau in vielen Fällen die
Zeitfolge der Gemälde anzeigt.

Die typischen Madonnen Memling's sind
einander durchaus ähnlich, aber in verschie-
denen Lebensaltern dargestellt. Daraus ziehe
ich nicht allein den Schlufs, 'dafs Memling für
die Mehrzahl seiner Madonnen immer dasselbe
Modell gebrauchte, sondern dafs es sich auch
um eine Persönlichkeit handelte, welche dem-
selben irgendwie nahe stand. Dafür spricht vor
Allem die liebevolle, in allen Einzelheiten sich
stets gleich bleibende Behandlung der Gestalt
von Seiten des Malers. Giebt man dies zu, dann
wäre das wundervolle Bild in Wien, Maria mit
dem Jesuskinde und dem Stifter, entsprechend
der Jugendlichkeit der Madonna eines seiner
frühesten bekannten Gemälde, während das Lon-
doner Bild „Maria auf dem Throne mit dem
Stifter" weit später, etwa 20 Jahre, anzusetzen
wäre, ebenso wie das Bild die „Vermählung
der heiligen Katharina" in St. Johann zu Brügge.
Letzteres trifft ja auch vollkommen zu, da die-
ses Gemälde etwa um das Jahr 1478 angefertigt
wurde und Memling 1495 starb.

Die Zeitbestimmung der Memling'schen Ge-
mälde gelingt aber noch weit besser, wenn wir
uns zugleich die Frage vorlegen, wer ist die
heilige Jungfrau und wer sind die anderen immer
wiederkehrenden Persönlichkeiten ?

Es geht ja die Sage, dafs der durch das
Fenster der „Anbetung der heiligen drei Könige"
zusehende Mann in St. Johann zu Brügge Mem-
ling sei, und ebenso soll Johannes der Täufer
auf den verschiedensten Gemälden des Meisters
seine Züge tragen. Behauptet wird ferner, dafs
die in der linken Ecke des Mittelbildes des
im Lübecker Dom befindlichen Flügelaltares mit
 
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