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Zeitschrift für christliche Kunst — 5.1892

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Prill, Joseph: Gothisch oder romanisch: Briefe an einen Freund, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4357#0015

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1892. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

12

Gothisch oder Romanisch?

(Briefe an einen Freund.)

Fünfter Brief,
ieber Freund! Im letzten Briefe
suchte ich nachzuweisen, dafs die
Gründe, welche (»Ztschr. f. christl.
K.« Bd. III, Sp. 377 ff.) für die Be-
rechtigung des romanischen Stils neben dem
gothischen angeführt wurden, nicht stichhaltig
sind. Wie der Hinweis auf die Jesuitenkirchen
der Barockzeit nicht zu Gunsten des Barockstils,
sondern gerade gegen ihn und für die Gothik
spricht, so sprechen auch die andern Gründe
mehr für als gegen die Gothik. Da der gothische
Stil das letzte, in folgerichtigem Verlauf ausge-
bildete Glied einer von der Antike ausgehenden
Entwickelung darstellt, so werden unsere ge-
schichtlichen Beziehungen zur Antike nicht ab-
gebrochen, wenn wir nur gothisch bauen. Da
er ferner ganz in demselben Geiste, der in der
romanischen Bauweise erwachte, sich bis zum
Höhepunkt weiter entwickelte, so kann man
auch nicht sagen, dafs der romanische Stil eine
glücklichere Verschmelzung germanischen Em-
pfindens mit antiken Ueberlieferungen aufweise.
Vielmehr sind auch in der Gothik die wirk-
lichen Vorzüge alter Kunst beibehalten, die
Schwächen aber überwunden. Unrichtig ist
weiterhin die Behauptung, der gothische Stil sei
„schematischer", d. i. mehr an ein einmal be-
stimmtes Schema gebunden, als der romanische,
da vielmehr die Gothik der Freiheit des Künst-
lers einen unvergleichlich weiteren Spielraum
bietet. Auch ist der romanische Stil (als Massen-
stil) nicht monumentaler als der gothische, denn
zum Monument genügt doch die Massenhaftig-
keit allein nicht. Eine gewisse Gröfse ist ja er-
forderlich, die bietet aber der gothische Bau
ebenso wie der romanische; das Gepräge der
Festigkeit, Beständigkeit findet sich in der go-
thischen Konstruktion ebensowohl als in der
romanischen; aber dasjenige, was eigentlich das
Wesen des Monumentalen ausmacht, die Idee,
der Geist, der dem todten Stoff das Siegel auf-
prägt, kommt im .gothischen Stil mehr und
mannigfaltiger zur Geltung.

Zu leugnen ist freilich nicht, dafs unsere
„Zeit" einen gewissen Zug zum Massenstil zeigt,
aber ebensowenig läfst sich leugnen, dafs dieser
Zug ein ungesunder ist. Es ist derselbe Zug,
der im wirthschaftlichen und bürgerlichen Leben

nur auf das Stoffliche gerichtet ist und vom
Geiste und der Geistesarbeit sich abwendet, der
in der Malerei von religiösen und geschicht-
lichen Bildern eiligst hinübereilt zum Stillleben
mit umgestürzten Weingläsern und angeschnit-
tenen Früchten, der in der Musik den Ton-
schwall höher schätzt, als die klare Durchfüh-
rung eines Gedankens.

Wenn nun dieser Zug der Zeit sich vom
gothischen ab- und dem romanischen Stil als
dem massiveren zuwendet, so sind nicht die
wirklichen Vorzüge der romanischen Bauweise
die Ursache, es ist auch nicht die Baumasse als
ein Ganzes von bestimmter Ausdehnung — da
sie an und für sich keine Eigenheit des Stils
ist und in gothischen Bauten ebensowohl her-
vortritt als in romanischen — sondern die
Schwerfälligkeit und die Abwesenheit eingreifen-
der Gliederung der Massen, mit einem Worte
nicht die Masse, sondern die Massigkeit. .Wunder-
lich ist nur, dafs der Verfasser trotz diesem Zug
der Zeit gerade die Massigkeit des roma-
nischen Bausystems durch geschickte Anwendung
von Walzeisen ersetzen will.

Die Schwäche seiner Gründe scheint übrigens
der Verfasser selbst gefühlt zu haben; denn er
hält es für nöthig, den romanischen Stil ge-
wissermafsen zu entschuldigen. Der romanische
Stil, sagt er, habe keine Zeit gehabt, den
Höhepunkt seiner Entwickelung zu er-
reichen, er sei von der Gothik, der damals
modernen Kunst, verdrängt worden.

Diese Entschuldigung kann man aber durch-
aus nicht gelten lassen. Um ihre Haltlosigkeit
einzusehen, müssen wir uns zunächst klar dar-
über sein, was eigentlich die Worte romanischer
und gothischer Stil bedeuten. Stil überhaupt
nennt man ein zusammenhängendes Ganze von
Eigenthümlichkeiten, welche bezüglich der Idee
und Form in der Kunst einer bestimmten Zeit
oder eines bestimmten Volkes, oder schliefslich
auch eines einzelnen Künstlers oder einer Schule
hervortreten. Der romanische Stil ist also die
Summe der Eigenthümlichkeiten, welche unserer
Baukunst vom Beginn des Mittelalters bis zum
Beginn des XIII. Jahrh. (in Frankreich bis zum
Ende des XII.) ihr Gepräge verliehen; gothischer
Stil ist die Gesammtheit der Eigenthümlich-
keiten, welche die Bauweise vom XIII. Jahrh.
 
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