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1892.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. i.
12G
sichten über deren künstlerischen Werth birgt, andern-
theils weil es geeignet ist, in weiten Kreisen das Inter-
esse an den Künsten zu wecken, und manch einen zu
dahingehender ernster Arbeit zu bewegen vermag, der
bis dahin den Kunstwerken seiner engeren Heimath
gegenüber sich gleichgültig verhalten.
Grade bei den Rheinlanden, wo in vielen Städten
ein beispiellos blühendes Kunstleben einst herrschte,
lag es nahe, diese besonders zu behandeln; aber den-
noch hat man auch hier die gleichen allgemeinen Grund-
sätze walten lassen, nach welchen bei der Inventari-
sation der Kunstdenkmäler im übrigen Deutschland
verfahren wird. Vor allem hat man sich der bestehen-
den Eintheilung nach Kreisen angeschlossen, und die
Beschreibungen der letzteren, mit historisch-topogra-
phischer Einleitung versehen, bilden abgerundete Ar-
beiten, in denen jedoch Abhandlungen über römische
Inschriften, Inventarien der Klöster und Stifter, sowie
über mittelalterliche Bilderhandschriften nicht aufgenom-
men sind, die man ihres ganz ungewöhnlichen Unifanges
und der Wichtigkeit halber, welche sie hinsichtlich der
Alterlhumswissenschaft wie auch der Kunstgeschichte
für sich beanspruchen, besonders zu veröffentlichen
beabsichtigt. Dagegen enthält das Werk genaue An-
gaben über die Ortslitteratur und die handschriftlichen
Quellen, aus welchen die Nachrichten über die Geschichte
der einzelnen Stätten und deren Kunstdenkmäler ge-
schöpft sind. Bezüglich der Beschreibung derselben
ist eine feststehende Reihenfolge beobachtet, welche
bei Gebäuden zuerst die geschichtliche Entstehung,
dann das Aeufsere und Innere, schliefslich deren
Kunstwerke behandelt. Es ist seitens des Herausgebers
wie auch des Verlegers richtig erkannt worden, dafs
das blofse Wort nicht vermag, eine annähernde Vor-
stellung eines Kunstdenkmals zu bieten, und daher ist
— in erfreulichem Gegensatz zu anderen gleichartigen
Veröffentlichungen — ein grofses Gewicht auf die
Beigabe maafsstäblich gehaltener Illustrationen gelegt
worden, welche sowohl das Wichtigste der Bauten selbst,
als auch eine ausgewählte Zahl darin enthaltener Aus-
stattungsgegenstände in Lichtdruck vorführen.
Mit der interessanten aber auch schwierigen und um-
fangreichen Aufnahme der Kunstdenkmäler der Rhein-
provinz ist Seitens deren Provinzialverbandes Herr
Dr. Paul Clemen betraut worden. Seines Auftrages
hat er sich in der Veröffentlichung der beiden ersten
Hefte des Gesammtwerkes vollauf entledigt. Sie be-
handeln die Kreise Kempen und Geldern, also solche,
von denen im Allgemeinen nur wenig in die Oeffent-
lichkeit gedrungen ist; und doch besitzen sie eine Fülle
von Kunstschätzen, welche wohl verdienen, allgemeiner
bekannt und gewürdigt zu werden, als dies bisher der
Fall gewesen. Insbesondere gilt dies von dem erst-
genannten Kreise, in welchem die mittelalterliche Holz-
schnitzkunst auf dem Gebiete der kirchlichen Mobilar-
ausstattung Meisterwerke allerersten Ranges geschaffen
hat, deren hervorragendsten Stücke wohl die hoch-
interessante Stiftskirche der Kreishauptstadt bergen
dürfte. Indessen hat auch die Renaissance- und Ro-
kokozeit bedeutende Schöpfungen hinterlassen, nament-
lich in umfangreichen Profanbaulen, welche ebenfalls
eingehend gewürdigt werden. Aus der grofsen Zahl
der Kunstdenkmäler in beiden Kreisen seien besonders
diejenigen zu Amern St. Georg, Brüggen, Diilken, Hüls,
Kempen, Lobberich, Oedt, Sitchteln, Aldekerk, Geldern,
Kevelaer, Nieukerk, Straelen, Wachtendonk, Wissen
hervorgehoben.
Sehr instruktiv sind die beigefügten Illustrationen,
welche namentlich in den Grundrissen durch verschie-
denartige Schraffur ein einfaches aber klares Bild der
Entstehung eines Gebäudes geben, was durch Ansicht
und Durchschnitt mitunter nicht unwesentlich vervoll-
ständigt wird.
Dem trefflichen Werke kann nur eine ausgedehnte,
die Grenzen der heimathlichen Provinz weit über-
schreitende Verbreitung aufrichtig gewünscht werden.
Heiiuann.
L'Art gothique: l'Architecture, la Peinture, la Sculp-
ture, le Decor, par Louis Gonse. Paris, May & Mot-
teroz. Preis 100 Frcs.
Eine eindringlichere und zugleich glänzendere Lob-
rede auf die mittelalterliche Kunst, insbesondere die
golhische Baukunst, kann nicht leicht gehalten werden,
als durch das vorstehend bezeichnete Werk geschieht.
In jeder Beziehung ein wahres Prachtwerk, zählt es
476 Folioseiten, 29 ganze Seiten einnehmende und
250 dem Text eingefügte Abbildungen trefflichster Aus-
führung. Wie der Verfasser bemerkt, ist dasselbe weder
auf Archäologen, noch auf Architekten besonders be-
rechnet; es soll den Kunstfreunden, ohne Unterschied,
eine Vorstellung von dem künstlerischen Schaffen wäh-
rend der gothischen Periode gewähren. Dieser Auf-
gabe entspricht es in anziehendster Art. Unverkenn-
bar ist es dabei dem Verfasser indefs nicht blos um
die Verherrlichung der Gothik, sondern zugleich um
die Verherrlichung seines Vaterlandes zu thun. Nach
ihm ist den Franzosen das Entstehen jener Kunst-
weise zu danken, haben die anderen Länder, in welchen
die Gothik herrschend ward, dieselbe von Frankreich
überkommen und ist Frankreich immer führend, ton-
angebend geblieben („Bref, pendant la periode gothique
la superiorite artistique de la France est universelle-
ment reconnue", S. 381). Der Patriotismus des Herrn
Gonse führt ihn zunächst insofern in die Irre, als er
dem Franzosenthum zuerkennt, was den germanischen
Westfranken von rechtswegen gebührt. Es steht bei
ihm aufser Zweifel, dafs die gothische Bauweise wäh-
rend des XII. Jahrh. im nördlichen Frankreich, nament-
lich in der Provinz Isle-de-France, dem Paris in sich
beschliefsenden sogen. Domaine du Roi, gewurzelt und
alsbald ringsumher, in der Picardie, der Champagne
u. s. w., die schönsten Blüthen getrieben hat. In diesen
Landestheilen war nun aber damals das Franken-
thum unbedingt herrschend, und zwar nicht blos in der
gebietenden Schichte, bis zum König hinauf, sondern
auch innerhalb der Masse des Volkes, wie dies sich
schon daraus ergibt, dafs althergebrachtes germanisches
Gewohnheitsrecht innerhalb derselben Geltung hatte.
Im weiteren Verfolg erst erstand aus der sehr allmäh-
lich stattfindenden Verschmelzung der romanisirten
Gallier mit den herrschenden Franken eine neue, nach
diesen sich nennende Nationalität, das Franzosenthum.
Zur Zeit des Aufblühens der Gothik war die Bewohner-
schaft des heutigen Frankreich noch in scharf von-
einander geschiedene Dialekte und Einrichtungen ge-
1892.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. i.
12G
sichten über deren künstlerischen Werth birgt, andern-
theils weil es geeignet ist, in weiten Kreisen das Inter-
esse an den Künsten zu wecken, und manch einen zu
dahingehender ernster Arbeit zu bewegen vermag, der
bis dahin den Kunstwerken seiner engeren Heimath
gegenüber sich gleichgültig verhalten.
Grade bei den Rheinlanden, wo in vielen Städten
ein beispiellos blühendes Kunstleben einst herrschte,
lag es nahe, diese besonders zu behandeln; aber den-
noch hat man auch hier die gleichen allgemeinen Grund-
sätze walten lassen, nach welchen bei der Inventari-
sation der Kunstdenkmäler im übrigen Deutschland
verfahren wird. Vor allem hat man sich der bestehen-
den Eintheilung nach Kreisen angeschlossen, und die
Beschreibungen der letzteren, mit historisch-topogra-
phischer Einleitung versehen, bilden abgerundete Ar-
beiten, in denen jedoch Abhandlungen über römische
Inschriften, Inventarien der Klöster und Stifter, sowie
über mittelalterliche Bilderhandschriften nicht aufgenom-
men sind, die man ihres ganz ungewöhnlichen Unifanges
und der Wichtigkeit halber, welche sie hinsichtlich der
Alterlhumswissenschaft wie auch der Kunstgeschichte
für sich beanspruchen, besonders zu veröffentlichen
beabsichtigt. Dagegen enthält das Werk genaue An-
gaben über die Ortslitteratur und die handschriftlichen
Quellen, aus welchen die Nachrichten über die Geschichte
der einzelnen Stätten und deren Kunstdenkmäler ge-
schöpft sind. Bezüglich der Beschreibung derselben
ist eine feststehende Reihenfolge beobachtet, welche
bei Gebäuden zuerst die geschichtliche Entstehung,
dann das Aeufsere und Innere, schliefslich deren
Kunstwerke behandelt. Es ist seitens des Herausgebers
wie auch des Verlegers richtig erkannt worden, dafs
das blofse Wort nicht vermag, eine annähernde Vor-
stellung eines Kunstdenkmals zu bieten, und daher ist
— in erfreulichem Gegensatz zu anderen gleichartigen
Veröffentlichungen — ein grofses Gewicht auf die
Beigabe maafsstäblich gehaltener Illustrationen gelegt
worden, welche sowohl das Wichtigste der Bauten selbst,
als auch eine ausgewählte Zahl darin enthaltener Aus-
stattungsgegenstände in Lichtdruck vorführen.
Mit der interessanten aber auch schwierigen und um-
fangreichen Aufnahme der Kunstdenkmäler der Rhein-
provinz ist Seitens deren Provinzialverbandes Herr
Dr. Paul Clemen betraut worden. Seines Auftrages
hat er sich in der Veröffentlichung der beiden ersten
Hefte des Gesammtwerkes vollauf entledigt. Sie be-
handeln die Kreise Kempen und Geldern, also solche,
von denen im Allgemeinen nur wenig in die Oeffent-
lichkeit gedrungen ist; und doch besitzen sie eine Fülle
von Kunstschätzen, welche wohl verdienen, allgemeiner
bekannt und gewürdigt zu werden, als dies bisher der
Fall gewesen. Insbesondere gilt dies von dem erst-
genannten Kreise, in welchem die mittelalterliche Holz-
schnitzkunst auf dem Gebiete der kirchlichen Mobilar-
ausstattung Meisterwerke allerersten Ranges geschaffen
hat, deren hervorragendsten Stücke wohl die hoch-
interessante Stiftskirche der Kreishauptstadt bergen
dürfte. Indessen hat auch die Renaissance- und Ro-
kokozeit bedeutende Schöpfungen hinterlassen, nament-
lich in umfangreichen Profanbaulen, welche ebenfalls
eingehend gewürdigt werden. Aus der grofsen Zahl
der Kunstdenkmäler in beiden Kreisen seien besonders
diejenigen zu Amern St. Georg, Brüggen, Diilken, Hüls,
Kempen, Lobberich, Oedt, Sitchteln, Aldekerk, Geldern,
Kevelaer, Nieukerk, Straelen, Wachtendonk, Wissen
hervorgehoben.
Sehr instruktiv sind die beigefügten Illustrationen,
welche namentlich in den Grundrissen durch verschie-
denartige Schraffur ein einfaches aber klares Bild der
Entstehung eines Gebäudes geben, was durch Ansicht
und Durchschnitt mitunter nicht unwesentlich vervoll-
ständigt wird.
Dem trefflichen Werke kann nur eine ausgedehnte,
die Grenzen der heimathlichen Provinz weit über-
schreitende Verbreitung aufrichtig gewünscht werden.
Heiiuann.
L'Art gothique: l'Architecture, la Peinture, la Sculp-
ture, le Decor, par Louis Gonse. Paris, May & Mot-
teroz. Preis 100 Frcs.
Eine eindringlichere und zugleich glänzendere Lob-
rede auf die mittelalterliche Kunst, insbesondere die
golhische Baukunst, kann nicht leicht gehalten werden,
als durch das vorstehend bezeichnete Werk geschieht.
In jeder Beziehung ein wahres Prachtwerk, zählt es
476 Folioseiten, 29 ganze Seiten einnehmende und
250 dem Text eingefügte Abbildungen trefflichster Aus-
führung. Wie der Verfasser bemerkt, ist dasselbe weder
auf Archäologen, noch auf Architekten besonders be-
rechnet; es soll den Kunstfreunden, ohne Unterschied,
eine Vorstellung von dem künstlerischen Schaffen wäh-
rend der gothischen Periode gewähren. Dieser Auf-
gabe entspricht es in anziehendster Art. Unverkenn-
bar ist es dabei dem Verfasser indefs nicht blos um
die Verherrlichung der Gothik, sondern zugleich um
die Verherrlichung seines Vaterlandes zu thun. Nach
ihm ist den Franzosen das Entstehen jener Kunst-
weise zu danken, haben die anderen Länder, in welchen
die Gothik herrschend ward, dieselbe von Frankreich
überkommen und ist Frankreich immer führend, ton-
angebend geblieben („Bref, pendant la periode gothique
la superiorite artistique de la France est universelle-
ment reconnue", S. 381). Der Patriotismus des Herrn
Gonse führt ihn zunächst insofern in die Irre, als er
dem Franzosenthum zuerkennt, was den germanischen
Westfranken von rechtswegen gebührt. Es steht bei
ihm aufser Zweifel, dafs die gothische Bauweise wäh-
rend des XII. Jahrh. im nördlichen Frankreich, nament-
lich in der Provinz Isle-de-France, dem Paris in sich
beschliefsenden sogen. Domaine du Roi, gewurzelt und
alsbald ringsumher, in der Picardie, der Champagne
u. s. w., die schönsten Blüthen getrieben hat. In diesen
Landestheilen war nun aber damals das Franken-
thum unbedingt herrschend, und zwar nicht blos in der
gebietenden Schichte, bis zum König hinauf, sondern
auch innerhalb der Masse des Volkes, wie dies sich
schon daraus ergibt, dafs althergebrachtes germanisches
Gewohnheitsrecht innerhalb derselben Geltung hatte.
Im weiteren Verfolg erst erstand aus der sehr allmäh-
lich stattfindenden Verschmelzung der romanisirten
Gallier mit den herrschenden Franken eine neue, nach
diesen sich nennende Nationalität, das Franzosenthum.
Zur Zeit des Aufblühens der Gothik war die Bewohner-
schaft des heutigen Frankreich noch in scharf von-
einander geschiedene Dialekte und Einrichtungen ge-