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Zeitschrift für christliche Kunst — 5.1892

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Prill, Joseph: Gothisch oder Romanisch?: Briefe an einen Freund, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4357#0098

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143

1892.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST _ Nr. 5.

144

Gothisch oder Romanisch?

(Briefe an einen Freund.)

Siebenter Brief,
ieber Freund! Dafs der romanische
Stil für unsere kirchlichen Neubauten
nicht die gleiche Berechtigung be-
anspruchen könne, wie der gothische,
haben Sie mir unbedingt zugegeben. Aber ihm
alle Berechtigung für die Gegenwart absprechen,

wollen Sie auch nicht. Sie finden für ihn wenigstens
noch „einige" Berechtigung in dem Bedürfnisse
der Mannigfaltigkeit oder Abwechselung. „Ich
selbst", ... gestatten Sie mir, Ihre eigenen Worte
zu wiederholen . . . „habe mich entschlossen,
meinen Neubau im gothischen Stile auszuführen,
weil mir der letztere — wie ich jetzt bei Ver-
gleichung der Pläne und Kostenanschläge deut-
lich sehe — thatsächlich mehr bietet, ich also
mit den gleichen Mitteln einen praktischeren
und künstlerisch werthvolleren Bau errichten
kann. Aber darum möchte ich doch nicht leug-
nen wollen, dafs der Mannigfaltigkeit und Ab-
wechselung wegen auch jetzt noch dem roma-
nischen Stile wenigstens einige Berechtigung
zuerkannt werden müsse. Ich finde die Berech-
tigung in der Mannigfaltigkeit selbst. Ist näm-
lich auch an und für sich der gothische Stil
dem romanischen überlegen, so würde schliefs-
lich doch bei nur gothischen Bauten ein unan-
genehmes geisttödtendes Einerlei entstehen, ein
Bau in anderer Formensprache daneben würde
erfrischend und anregend wirken. Da letzteres
nun auch eine Forderung der Kunst ist, so ent-
spricht in dem gegebenen Falle die an sich
minderwerthige Bauweise einem höheren Bedürf-
nisse und erhält dadurch eine gewisse Berech-
tigung."

Ihre Beweisführung ist ja wirklich bestechend.
Wenn ich sie trotzdem nicht annehme, so wollen
Sie mir das nicht übel nehmen, denn ich glaube
triftige Gründe gegen dieselbe anführen zu
können.

1. Zunächst gebe ich Ihnen rückhaltlos zu,
dafs die Mannigfaltigkeit eine berechtigte For-
derung der Kunst ist. Das Kunstwerk soll ja
den Stempel des Geistes tragen und darf nicht
zur blofsen Nachahmung des bereits Vorhande-
nen herabsinken. Damit ist aber nicht gesagt,
dafs einerseits jede Wiederholung und Nach-
ahmung verwerflich sei, und anderseits der
Mannigfaltigkeit keine Schranken gezogen

seien. Sind aber der Mannigfaltigkeit Schranken
zu ziehen, dann genügt sie allein nicht, um
irgend etwas als berechtigt erscheinen zu lassen,
sondern es mufs zunächst feststehen, dafs sie
selbst innerhalb der Grenzen des Statthaften ge-
blieben ist. Wo sind bezüglich des Kirchen-
baues in unserer Zeit und unseren Gegenden
diese Grenzen? Das ist ja eben die Frage, die
wir zu lösen suchen.

Wie Sie sehen, haben Sie gerade auf das-
jenige Ihren Beweis aufgebaut, was Sie erst be-
weisen sollten. Sie wollten beweisen, dafs man
aufser im gothischen auch noch in einem andern
Stile bauen dürfe, nnd eben dieses setzen Sie
als bereits feststehendes Prinzip voraus. Ihr Be-
weis hält also nicht Stich. — Wohin sollte es
auch kommen, wenn Mannigfaltigkeit allein et-
was an sich Unberechtigtes berechtigen sollte?
Dann dürfte man nicht blos romanisch bauen,
sondern wir könnten der Abwechselung halber
auch chinesisch, persisch, maurisch und noch
anders bauen. Sagen Sie mir nicht, dafs hier
die Sache doch ganz anders liege, weil diese
Stile bei uns niemals eine Spur von Berechtigung
gehabt hätten! Nein, bezüglich der Hauptfrage
liegt die Sache ganz gleich, der Frage nämlich:
Kann die Erzielung einer gröfseren Mannigfaltig-
keit ein genügender Grund sein, in einem Stile
zu bauen, der sonst keine wirkliche Berechtigung
mehr hat? Ich glaube nicht, dafs Sie die Frage
in dieser allgemeinen Fassung bejahen wollen.
Kann also Abwechselung allein eine Bauweise
nicht berechtigen, so müssen Sie für die Berech-
tigung des romanischen Stils jedenfalls andere
Beweisgründe bringen als diesen.

2. Sie sagen freilich, der minderwerthige Bau-
stil entspreche hier dem höhern Kunstbedürfnifs
und erhalte dadurch im gegebenen Falle den
höhern Werth. Aber auch diesem Satze gegen-
über erhebt sich wieder dieselbe Frage: Ist wirk-
lich eine Mannigfaltigkeit, die über die Grenzen
des Stils hinaus geht, eine Forderung der
Kunst? Genügt nicht ein Stil allen berechtig-
ten Ansprüchen auf Abwechselung? Sie glau-
ben innerhalb eines und desselben Stiles müsse
schliefslich geisttödtende Langeweile entstehen.
Aber warum denn, lieber Freund? Sind die
mittelalterlichen Städte, in denen ein Stil herrscht
oder jetzt noch vorherrscht, langweiliger als die
 
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