Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 5.1892

DOI Artikel:
Schneider, Hugo: Die Thürme der St. Martinskirche zu Kassel
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4357#0208

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
319

1892. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

320

Die Thürme der St. Martinskirche zu

Mit Abbildung.

it der feierlichen Wiedereröffnung
der St. Martinskirche zu Kassel am
16. Okt. d. J., gelangte die Restau-
ration des Gotteshauses im Innern

Aeufsern zum Abschlufs. Die

galt auch der Vollendung des

Kassel

sowohl wie im

kirchliche Feier

um 1350 unter Landgraf Heinrich dem Eisernen

gegründeten Domes des St. Martinsstiftes.

Der im Aeufsern schlicht gehaltene, im Innern
aber reich gegliederte Bau, eine dreischiffige
Hallenkirche, kam Anfangs des XV. Jahrh. bis
auf die beiden, nur bis zum Hauptgesims der
Kirche gediehenen, westlichen Thürme zur Voll-
endung. Der Weiterbau des südlichen Thurmes
fiel in die Mitte des XV. Jahrh., wurde aber
schon nach Aufführung zweier Stockwerke und
Bekrönung derselben durch ein weit ausladendes
Galleriegesims aus Mangel an Mitteln wieder
eingestellt. Erst hundert Jahre später, zur Zeit
Philipp's des Grofsmüthigen, nahm man die Bau-
thätigkeit wieder auf, um wenigstens den schon
bis zu einer beträchtlichen Höhe gediehenen
Unterbau dieses Thurmes, wenn auch nur noth-
dürftig, zum Abschlufs zu bringen. Der Re-
naissanceaufbau mit seinem stumpfen geschweiften
Dache, durch Jahrhunderte ein Merkmal für das
Kasseler Stadtbild, wurde vor zwei Jahren abge-
tragen, nachdem man den Aufbau des nördlichen
Thurmes vollendet hatte. Herr Superintendent
Kröner hat die Restauration der Kirche, in erster
Linie den Aufbau der Thürme, in Anregung ge-
bracht und in seiner Eigenschaft als Vorstand
des Baukomites mit Energie gefördert und zu
Ende geführt. Im Jahre 1883 ertheilte das Bau-
komite mir den Auftrag, Plan und Kostenanschlag
für den Aufbau der Thürme anzufertigen. Weit-
gehende Sammlungen und hauptsächlich eine
vom Staat genehmigte Lotterie erbrachten die
nach dem Bauanschlag für diese Arbeiten erfor-
derliche Summe von 270000 Mk. Die höhere
Genehmigung des Baues wurde verzögert, weil
der damalige Konservator der Kunstdenkmäler
Herr von Dehn-Rotfelser, die Weiterführung der
quadratischen Grundform über der ersten Gallerie,
das Wesentliche meines Planes, für unzulässig
erklärte. Nachdem ich meine Lösung noch-
mals eingehend motivirt hatte, legte der Kultus-
minister die Frage, ob die Grundform des Auf-
baues ein Quadrat, oder, wie ein von Herrn

von Dehn bearbeiteter und ebenfalls einge-
reichter Plan zeigte, ein reguläres Achteck sein
müsse, der Akademie des Bauwesens zur Ent-
scheidung vor. Das Urtheil fiel in den wesent-
lichen Punkten zu meinen Gunsten aus.

Nach meinem Gefühle konnte über dem bis
zu einer bedeutenden Höhe gediehenen mittel-
alterlichen Unterbau des südlichen Thurmes ein
jäher Wechsel der Grundform nicht vorgenom-
men werden. Gleichwie die ganze Höhe des
Thurmes bei gegebenen Dimensionen der Grund-
form nicht über ein gewisses Mafs hinausgehen
darf, war auch für die Höhenentwickelung der
neuen Stockwerke ein fast genau bestimmtes
Mafs schon gegeben, welches aber nicht aus-
reichte, um eine Eckfialenentwickelung, ähnlich
wie an den Kölner Domthürmen, genügend
schlank ausspielen zu lassen, zumal eine direkte
vertikale Verbindung des neuen Theiles mit dem
alten wegen des Fehlens der Pfeilervorlagen an
der betreffenden Stelle unmöglich war. Um eine
harmonische Verbindung der neuen Formen mit
dem bestehenden alten Thurmtheile zu erreichen,
schien es mir rathsam, die im alten Theile vor-
herrschende Linienführung auch in dem neuen
Theile weiter klingen zu lassen. Unter der Bei-
behaltung des quadratischen Grundrisses sollen
die leicht und durchbrochen gehaltenen Eck-
parthien den Uebergang zur Grundform des
Helmes, zum regulären Achteck, vermitteln. Die
Wiederkehr der ununterbrochen durchgeführten
Horizontalen ist durch Anlage der zweiten Gallerie
bewirkt. Nachdem im Herbst vorigen Jahres die
Thürme vollendet, auf dem nördlichen Thurm
über dem reich verzierten Kreuz das alte Wahr-
zeichen von Kassel, das „Glöckchen über dem
Thurm" und auf dem südlichen, zuletzt voll-
endeten Thurm der Hahn aufgesetzt war, er-
übrigte noch die Restauration und Ergänzung
des zwischen den Thürmen befindlichen West-
portals nebst darüberliegendem Fenster und
Giebel, welcher Bautheil wegen des ungleichen
Setzens der beiden Thürme sehr beschädigt war.
Heute sind ebenfalls nach den Entwürfen des
Unterzeichneten sowohl diese Arbeiten als auch
die stilgerechte Ergänzung des Nordportals,
ferner die Bemalung des Innern und die reiche
Verglasung sämmtlicher Fenster vollendet.

Kassel. Hugo Schneider.
 
Annotationen